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Ein Blick auf Kölner HochschulenWarum auch das Studium unter Distanz-Lernen leidet

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Auch Studierende lernen seit einem Jahr auf Distanz. 

Köln – Je älter die Schüler, desto besser funktioniert Distanz-Lernen. Auf diese Formel haben sich Politik und Gesellschaft während der Corona-Krise verständigt. Und damit hat es wohl auch zu tun, dass die Studierenden in Corona-Zeiten viel weniger Aufmerksamkeit bekommen als die Schüler. Schließlich sind die meisten erwachsen und halten keine gestressten Eltern vom Homeoffice ab, wenn sie zu Hause lernen. Und die Inhalte? Lassen sich in vielen Fällen auch sehr gut digital vermitteln. Zumal die Universitäten hier weit besser aufgestellt sind als die meisten Schulen (was allerdings auch keine große Kunst ist).

Dann könnte eigentlich alles so weiterlaufen? Nein, sagt Christiane Woopen. „Wenn es noch lange so weitergehen würde wie bisher, werden die Bildungsverluste viel zu groß. Zudem müssten wir uns über einen völlig neuen Bildungsbegriff verständigen. Denn Bildung ohne persönliche Begegnung ist auf Dauer nicht möglich“, sagt die Professorin für Ethik und Theorie der Medizin an der Kölner Universität. Für sie sei Bildung eine ganzheitliche Erfahrung, auch etwas Sinnliches: „Das ist digital nicht ersetzbar.“

Für eine Übergangszeit und als Ergänzung seien digitale Lösungen in Ordnung, findet die Professorin, die auch Vorsitzende des Europäischen Ethikrats ist und dem Corona-Expertenrat des NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet angehört. Aber ewig, sagt sie, möchte sie nicht vor ihrem Bildschirm sitzen und Kacheln statt echte Menschen anschauen.

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Kölner Hochschulen sind soziale Räume

Die reine Leistung ist nicht das größte Problem mit dem Studium in diesen Zeiten . Doch Bildung ist eben viel mehr als das. Nur dass dieses „Mehr“ viel schwerer zu greifen ist: das Miteinander, die Beziehung zwischen Lehrenden und den Studierenden. Schließlich sind auch Hochschulen soziale Räume.

Gerade in den kreativen Studiengängen ist Distanzlernen keine echte Alternative. Den „KISD-Spirit“ nennt Michael Gais das, was ihm gerade am meisten fehlt. Michael Gais ist Direktor der „Köln International School of Design“ – ein Institut der Kölner TH. Und dort gibt es untereinander „das Gefühl, zu einer Community zu gehören, dass man Erfahrungen miteinander hat und teilt“. Dieser „Spirit“ schaffe Identifikation und Stärke und könne Persönlichkeiten auch einen positiven Schub geben. Aus der Ferne ist dieser gute Geist nur schwer zu vermitteln: „Das soziale Leben hier in der Hochschule fehlt den Studierenden sehr und darunter leiden sie auch.“

Digitales Lernen: der direkte Kontakt und die kreative Atmosphäre fehlt

Auch er selbst vermisst auf Dauer den direkte Kontakt, die kreative Atmosphäre. Als die Studierenden ihre Abschlusspräsentation hatten zum Beispiel: „Da kommt man ja schon Tage vorher in so ein Bienenhaus rein, wo alle ganz aufgeregt herumlaufen und Sachen machen. Das pusht einen ja im Grunde selbst noch mal, und das ist einfach faszinierend und toll, das zu sehen. Und das findet jetzt leider alles hinter verschlossenen Türen statt.“

Die Werkstätten an der KISD waren in den vergangenen Monaten meist geschlossen, oder die Studierenden konnten sie nur sehr beschränkt benutzen. Deswegen mussten sie viel improvisieren.

Das hat sie übrigens kaum gestört, erzählt Michael Gais. Im Gegenteil, einige hätten es sogar als Mehrwert gesehen, mit Materialien zu arbeiten, die sie normalerweise nicht nehmen würden. Qualitativ, so der KISD-Direktor, seien die Präsentationen genauso gut wie immer gewesen.

Studierende haben untereinander kaum Kontakt – Erstsemester allein in der Stadt

Doch gerade liegt nicht nur die Beziehung zwischen den Lehrenden und den Studierenden auf Eis – auch untereinander haben die Studierenden kaum die Gelegenheit zusammenzuarbeiten. Obwohl das essenziell für ein Studium ist, zumal ein kreatives: „Wir wollen zwar, dass gestalterische Persönlichkeiten sich entwickeln, aber wir forcieren sehr stark das Gruppenarbeiten.“ Schlussendlich, so Michael Gais, würden die KISD-Absolventen mindestens genauso viel von ihren Kommilitonen lernen wie von ihren Lehrenden.

Das sieht auch Solveig Klaßen so, Prorektorin für Studium und Lehre an der Kölner Kunsthochschule für Medien (KHM). Projekte werden dort oft in Kolloquien besprochen: „Und da kommt eben auch ganz viel Anregung und konstruktive Kritik von den Studierenden untereinander. Die lernen auch selber von den Fehlern oder Ideen der anderen. Und auch das fällt weg, wenn man das alles in den digitalen Raum verlegt.“ Doch um im Team arbeiten zu können, müssen sich überhaupt erstmal Teams bilden. Und das ist größtenteils flachgefallen – natürlich vor allem bei den Erstsemestern. „An der KHM waren etwa die Hälfte internationale Studierende, die jetzt zum Wintersemester angefangen haben – die müssen ja nicht nur im Studium, sondern auch in diesem Kulturkreis ankommen. Dafür ist es sicherlich nicht hilfreich, wenn die zu Hause in ihrem Kämmerlein sitzen“, sagt sie.

Wie kann ein Studium unter solchen Bedingungen trotzdem funktionieren? Mit Kreativität zum Beispiel: Im Bereich Dokumentarfilm gibt es an der KHM immer ein Thema für ein praktisches Kamera-/Regieseminar, erzählt Solveig Klaßen. In diesem Jahr arbeiteten die Studierenden zum Thema „Selbstbild“. „Sodass jeder mit seiner Kamera mit seinem Handy auch zu Hause bei sich mit seiner WG oder seiner Familie mit Hilfe von Archivmaterialien oder Fotos eine filmische Arbeit machen konnte.“

Studieren zu Hause: Viel Flexibilität und Kreativität sind gefragt

Neben Kreativität ist wohl Flexibilität (und eine ziemliche Frustrationstoleranz) die Eigenschaft, die im Moment von Studierenden und Lehrenden am meisten gefordert ist. „Gerade bei den Filmdrehs kommen die Studierenden im Moment nicht weiter. Da wird verschoben und verschoben. Sie müssen also auch sehr viel flexibler sein, Dinge zu verändern und ständig anzupassen.“

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Michael Gais ist zuversichtlich, dass seine Studierenden diese Fähigkeiten mit auf den Weg bekommen. „Das hat mit dem Verständnis von unserer Design-Ausbildung zu tun. Wir bilden nicht zu Spezialisten aus, weil wir gar nicht wissen können, wohin sich der Beruf in zehn Jahren entwickelt. Es geht im Grunde darum, sich jeden Tag neu zu erfinden.“

Aber nicht alle Studierenden schaffen das – auch wenn einige die digitalen Vorlesungen sehr praktisch und bequem finden. „Ich kenne etliche, die gesagt haben: So zu studieren, das kriege ich nicht hin, das kann und will ich nicht – die haben jetzt versucht, in eine Lehre zu wechseln“, erzählt Christiane Woopen aus ihrem Universitäts-Alltag. Denen, die während der Corona-Zeit ihr Studium abgebrochen haben, müsse der Rückgang an die Universität sehr leicht gemacht werden, findet sie und plädiert dafür, „schon jetzt darüber nachzudenken, welche Programme für Jugendliche und junge Erwachsene aufgelegt werden können, um sie ihre verlorene Zeit, ihre verpassten Gelegenheiten etwa für Auslandsaufenthalte und Praktika nachholen zu lassen, sobald die Pandemie uns wieder ein anderes Leben ermöglicht.“