Köln – Seit dem 1. November ist vieles anders – die Corona-Schutzmaßnahmen erzwingen derzeit in Deutschland auch die Einstellung des gewohnten Konzert- und Opernbetriebs. Dabei müsste man sogar eher von einem Deja-vu sprechen: Der Notbehelf der Geisterkonzerte, also regulärer Konzerte, die vor gänzlich leeren Publikumsreihen stattfinden, aber live oder zeitlich versetzt im Internet (auf der Homepage des jeweiligen Veranstalters) gestreamt werden – sie gab es schon im ersten Lockdown im Frühjahr und Sommer.
In der Kölner Philharmonie veranstalten vor allem die beiden großen ortsansässigen Formationen – Gürzenich- und WDR Sinfonieorchester – Geisterkonzerte. Der WDR-Klangkörper hatte soeben einen einschlägigen Auftritt unter dem Dirigenten Krzysztof Urbanski mit dem Geiger Augustin Hadelich, der diesmal nicht im Video-Livestream, dafür aber am 27. November auf WDR 3 zu hören ist.
Ein im Livestream zu verfolgendes Konzert findet am Freitag, 20. November, 20 Uhr, statt. Dann erklingen unter der Leitung von Chefdirigent Cristian Macelaru Werke von Karim Al-Zand, Beethoven (Violinkonzert mit Emmanuel Tjeknavorian) und Saint-Saens. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ fragte drei geisterkonzert-erfahrene WDR-Musiker nach ihren Erlebnissen mit diesem ungewöhnlichen Format.
Von einer „skurrilen Konzertsituation“ spricht Johanne Stadelmann aus den zweiten Violinen: „Wir kennen die Situation von CD-Produktionen her, wo es ja auch kein Publikum gibt – aber jetzt ist es doch etwas anderes, es ist eine andere Stimmung.“ Man setze sich hin und warte auf das Zeichen von der Regie zum Einstimmen, „und dann kommt der Dirigent rein und verbeugt sich vor leeren Stühlen.“
Allerdings, sagt Stadelmann, komme man dann aber doch schnell in die Stimmung: „Es ist ein richtiges Konzert, keine CD-Aufnahme.“ Es habe auch einen Unterschied gegenüber der Anspielprobe für die Kameras gegeben: „Da legt man wirklich noch mal eine Schüppe drauf.“ Sicher: Die Interaktion mit dem Publikum fehle, der Spirit, das gegenseitiges Geben und Nehmen. Deswegen sei man indes keinesfalls schlechter: „Wir spielen vielleicht nur für uns, aber das ist auch okay.“
Es ist also alles eine Sache der situativen Vertrautheit, und das gelte auch für das corona-bedingte Abstandsgebot auf dem Podium: „Am Anfang war das schon gewöhnungsbedürftig, aber Covid hat halt auch eine positive Begleiterscheinung: Es fordert dazu heraus, noch genauer auf die Kollegen zu hören.“ Was wiederum dadurch gefördert werde, „dass man halt im kleineren Ensemble spielt“. Den „großen satten Orchestersound“ vermisst Stadelmann trotzdem.
Michael Faust, Querflöte
„Nun ja, wir konnten uns auf die Situation ja seit längerem vorbereiten“, sagt Michael Faust, Soloflötist des Orchesters: „Die Publikumszahlen wurden ja immer kleiner.“ Im übrigen sei er, mittlerweile mehr als 30 Jahre in der Formation tätig, „daran gewöhnt, fürs Mikrofon zu spielen“, also für CD und Archiv: „Das rote Licht war immer da und ist immer da, jetzt halt zusammen mit der Kamera“.
Selbstredend sei es ein anderes Gefühl, vor leerem Saal zu spielen – „jetzt ist es halt live ohne Live-Publikum“. Für ihn sei damit, auch in der künstlerischen Performance, keine unzumutbare Beeinträchtigung verbunden: „Die Kollegen vom Gürzenich-Orchester, die jetzt nicht mehr in der Oper spielen können, sind da viel schlimmer dran.“ Auch die veränderte Akustik – ohne Publikum hallt es in der Philharmonie mehr – irritiert ihn nicht: „Das ist ja in den Proben auch so.“
Gestört fühlt sich Faust durch etwas anderes: „Das ist diese Duschkabine, das sind diese Plastik-Shields, hinter denen ich spiele.“ Tatsächlich wäre der Flötist als Bläser im Fall, dass er sich angesteckt hat, ein Superspreader par excellence – da sieht das Schutzkonzept dann besonders strikte Vorbeugemaßnahmen vor. Gestört wird auch Faust durch die Abstandsregel: „Da wird man – nein, nicht zum Solisten, sondern zum Einzel-, zum Alleinspieler. Und das, wo wir doch immer suchen, ein Teil des Ganzen zu sein.“
Peter Mönkediek, Trompete
„Keine Reaktion von Angesicht zu Angesicht, auch nicht am Ende des Konzerts – das fehlt mir schon sehr.“ Solotrompeter Peter Mönkediek vermisst in der aktuellen Situation die „Schwingungen, die normalerweise zwischen Musikern und Publikum entstehen“. Man gehe dann „erfüllt nach Hause“, während man „jetzt nicht einmal weiß, ob die Leute zuhause am Livestream nicht mal raus- und telefonieren gehen“. Diese „tiefe Geschichte, diese intensive Erfahrung ist halt nicht da.“
Spielt Mönkediek darob „schlechter“? „Nein, wir sind den Verzicht auf Publikum von CD- und DVD-Aufnahmen her gewohnt – und die können ja auch ohne packend sein.“ Aber dennoch fehle etwas: „Diese Automatik mit Publikum – wenn man bei 2000 Zuhörern eine Stecknadel fallen hört.“ Auch die Livestream- Zuschauer „haben nicht dieses Erlebnis wie in der Philharmonie“.
Der veränderten Raumakustik kann Mönkediek sogar etwas abgewinnen: „Wenn die Philharmonie voll ist, hat sie kaum Nachhall. Leer hat sie den – und das ist schön.“ Die teils fehlende Klangintegration liege an den corona-bedingten Abständen zwischen den Musikern, nicht an der Akustik. Bei aller Sympathie für die Kammerformation vermisst der Trompeter den satten Sound: „Jetzt hatten wir endlich mal wieder eine große Besetzung – 9, 9, 8, 7, 6 bei den Streichern. Das klang wie ein Sinfonieorchester.“