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Kölner PhilharmonieDas Mahler Academy Orchestra ließ die Fünfte wie Katzen miauen

Lesezeit 3 Minuten
Philipp von Steinaecker schaut uns an.

Philipp von Steinaecker dirigierte Mahlers fünfte Sinfonie in Köln.

Philipp von Steinaecker und das Mahler Academy Orchestra präsentierten Mahlers Fünfte im „Originalklang“.

Ein Dolomiten-Mahler mit Zacken und Zinnen? Ja, von dort, wo der Meister, im Toblacher „Komponierhäusl“, im Angesicht der Berge mit seiner Materie rang, kommt eines der aufregendsten Mahler-Großprojekte dieser Tage und Jahre: Philipp von Steinaecker, Cellist, Dirigent und früherer Assistent des Academy-Gründers Claudio Abbado, erarbeitet dort mit dem Bozener Mahler Academy Orchestra auf Wiener Instrumenten der Entstehungszeit sukzessiv eine sinfonische Totale. Daran beteiligt sind Nachwuchsmusiker genauso wie Mitglieder von Spitzenformationen aus ganz Europa – von der Dresdner Staatskapelle bis zum Concertgebouw Orchester. Nach der 2022 auf CD erschienenen Neunten ist jetzt die Fünfte dran, mit der man derzeit auf Europa-Tournee geht. Soeben gastierten Ensemble und Dirigent mit ihr auch in der Kölner Philharmonie.

Streicher mit Darmsaiten klingen halt anders als solche mit modernen Metallsaiten

Grundsätzlich stellt sich – ähnlich wie bei dem neuen Original-Bruckner Pablo Heras-Casados – dem Hörer die Frage, wie er Dinge, die er auf Anhieb merkwürdig findet, einschätzen soll: Werden die Irritationen seines Gewohnheitshörens durch den ungeläufigen Sound und, in diesem Fall, durch eine der textkritischen Neuausgabe folgende Aufführung erzeugt – oder durch im schlimmsten Fall abwegige Marotten der Interpretation? Auffällig waren jetzt zum Beispiel die prononcierten und an das Miauen zärtlicher Katzen erinnernden Glissandi der Streicher. Klar, sie stehen in der Partitur, aber hier werden sie doch mit einiger Aufdringlichkeit exekutiert.

Das Meiste geht aber wohl auf die alten Instrumente: Streicher mit Darmsaiten klingen halt anders als solche mit modernen Metallsaiten – gedeckter, wärmer, irgendwie milder. In Köln dürfte die Positionierung der Kontrabässe an der Rückwand des Podiums das Ihrige dazu beigetragen haben. Die Holzbläser kommen dafür knackiger, pointierter heraus, als man es kennt. Mitunter gackern die Fagotte auffallend giftig.

Leif Ove Andsnes brillierte mit Rachmaninows drittem Klavierkonzert

Der Gesamtklang ist vital, belüftet, ohne Breitwand-Anmutung – wozu die durchweg ausgezeichnete Performance genauso beiträgt wie Steinaeckers differenziertes, auf nuancierte Farben und Charaktere, auf interne Dramatik setzendes Dirigat. Nicht nur dort, aber vor allem im Finale stellte sich immer wieder der Eindruck von Kammermusik ein. Entsprechend deutlich war die polyphone Motiv- und Themenschichtung zu hören – teils wurde man an Mozarts Jupitersinfonie erinnert. Der Choral kam nachdrücklich, aber ohne jenen Gestus aggressiver Überwältigung, den er in Status-quo-freudigen Standardaufführungen leicht annimmt.

Am enttäuschendsten geriet womöglich – auch das etwa eine Falle der Gewohnheit? – das Adagietto. Das kam sehr schön gleichsam aus dem Nichts, aber ein Zuviel an Input, ein Zuwenig an Gewährenlassen verhinderte, dass sich jene Trance, jenes Gefühl von Zeitlosigkeit einstellte, das der – zweifellos kitschanfällige – Satz in den besten Fällen auslösen kann. Trotzdem: Im Ganzen vermittelte sich der Eindruck, dass Mahler diese Aufführung akzeptiert haben könnte. Freilich, wissen kann und wird man das nie.

Vorangegangen war in diesem knapp drei Stunden langen Mammut-Programm Rachmaninows drittes Klavierkonzert mit einem grandiosen Leif Ove Andsnes, der das virtuose Schlachtross nicht auf einem modernen, sondern einem historischen Steinway aus der Zeit um 1910 aufgaloppieren ließ. Der Norweger spielte es hochenergetisch, mit großem Atem und einer fabelhaft souveränen Übersicht, dabei keineswegs schmachtend und sentimental, sondern mit einer starken Portion spielerischer Leichtigkeit (für sentimentalen Schmelz sorgten da eher schon mal die begleitenden Streicher). Vor allem brachte er Thematisches und Ornamentales in ein Verhältnis, in dem beides nicht mehr zu trennen ist. Sehr zu Recht, Substanz und „Beiwerk“ verschmelzen bei Rachmaninow zur Einheit (viele Musikfreunde verstehen das nicht und werfen dem Komponisten effekthaschende „Überladung“ vor).

Auch die – elegant-poetische absolvierte – Zugabe blieb bei Rachmaninow: Andsnes spielte die Etude Tableaux op 33, Nr. 2.