Die Pianistin Nathalia Milstein spielte in der Kölner Philharmonie Werke von Rameau, Debussy und Rachmaninow. Es war ihr erster Auftritt in Köln, hoffentlich aber nicht der Letzte.
Nathalia Milstein in der PhilharmonieDieser Klaviergenuss ist nicht zu toppen
Rachmaninow genießt in Teilen der Hardcore-Klassikszene nicht den besten Ruf, gilt dort als sentimentaler Schmalzproduzent. Ein „anderer“ Rachmaninow war im jüngsten Abend der „Piano“-Reihe in der Kölner Philharmonie mit der französischen Pianistin Nathalia Milstein (nicht verwandt mit dem Geiger Nathan Milstein) zu erleben. Die spielte am Schluss ihres Programms die schweren Études-Tableaux opus 39 von 1916/17, also aus der Zeit der russischen Revolution.
Rachmaninow rührt hier durchaus nicht im Schmalztopf, sondern erweist sich als Meister der subtilen Verwandlungen und Fortsetzungen (etwa des Dies irae-Motivs im zweiten Stück) und der einander großartig überlagernden Stimmen, als genialer Fortschreiber russischer Lied-Folklore und der Entfesselung eines orchestralen Klavierklangs.
Nathalia Milstein tritt in der Kölner Philharmonie auf
So muss man ihn allerdings auch spielen – und das gelang der jungen Künstlerin, die mit ihrem Auftritt ihr Köln-Debüt absolvierte (warum eigentlich erst jetzt?) in herausragender Weise. So realisierte sie zum Beispiel mit großem und nie unterbrochenem Atem zwingend die jeweilige interne Dramaturgie der einzelnen Sätze zwischen Ekstase und Erschöpfung. Und sie schaffte es, die manischen Wiederholungen in ihrer „Bohrerqualität“ darzustellen und trotzdem jenen gelassenen Charme einzubringen, für den technische Souveränität eine notwendige, allerdings keineswegs hinreichende Voraussetzung ist.
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Milstein lässt sich, wenn es drauf ankommt, nicht lange bitten. Aber ihre Virtuosität, unterfüttert durch einen sehr dosierten Pedalgebrauch, schwitzt nicht, sie bleibt allemal schlank, fokussiert, deutlich, atmet Dignität und Dekor. Am schönsten wird es immer wieder, wenn irgendwo im Dickicht der Partitur eine Stimme beseelt zu singen beginnt.
Konzert mit Werken von Rameau und Debussy
Der erste Teil des Abends stand dem zweiten kaum nach. Der war „französisch“ (für die Klavierkunst ihres Heimatlandes hat Milstein zweifellos ein besonders glückliches Händchen), reichte von Rameau über Debussy („Images“) bis zu Fauré. Und es gab werkübergreifende Verbindungen – sei es, dass das zweite Stück der „Images“ ausdrücklich an Rameau erinnert, sei es, dass Rachmaninows „dies irae“ bereits in deren drittem Teil erscheint.
In den – delikat, aber nie puppig gestalteten – Rameau-Piécen wurde, weit jenseits eines klimpernden Durchschnitts-Barock, eindrucksvoll der kühn-modernistische Experimentator kenntlich. Der Klaviersatz zeigt eine gewisse Verwandtschaft mit demjenigen Scarlattis, und doch war es Milsteins gut entwickeltem „Stimmenbewusstsein“ zu verdanken, dass man im dritten Stück sehr gut den Chaconne-Bass der Goldberg-Variationen hören konnte.
Die Pianistin kommt hoffentlich schnell wieder nach Köln
Ausgezeichnet gelang auch der Debussy in der Fülle seiner suggestiv herausgestellten Farbnuancen, im Wechselspiel von verhaltenem Leuchten und Choralapotheose. Das interessanteste Stück des Abends aber waren wohl Faurés im deutschen Konzertsaal kaum bekannte Variationen opus 73 (die streckenweise an Schumann erinnern). Gerade in Milsteins hochpoetischer Interpretation aber lohnt die Bekanntschaft allemal. Es zeichnet nicht nur das Werk, sondern eben auch den Stil seiner Interpretin aus, wenn die große Aufgipfelung nicht am Schluss erfolgt, sondern vorher – und die Musik dann mit auf- und absteigenden Tonleitern in einem erfüllten Decrescendo verdämmert.
Fazit: Diese manuell souveräne, kluge, gewissenhafte und – muss es noch einmal gesagt werden? – hochmusikalische Künstlerin, die für den reichen Beifall mit Nikolaj Karlowitsch Medtners drittem Satz aus den vier Märchen opus 26 dankte, sollte so bald wie möglich wiederkommen. Aktuell garantiert sie einen Klaviergenuss, der so schnell nicht zu toppen ist.