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Kunst gegen VerwahrlosungWarum Skulpturen das Kölner Stadtbild nicht retten werden

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Rita McBrides Obelisk am Breslauer Platz kurz nach der Aufstellung

Köln – Wer am Kölner Neumarkt in die Schaufenster des Auktionshaus Lempertz schaut, sieht eine durch die Zufälle des Kunsthandels zusammengeführte, aber letztlich wohlgeordnete Welt des Schönen. Wer dagegen aus einem der Fenster bei Lempertz blickt, sieht das genaue Gegenteil. Was immer der Neumarkt, einer der zentralen Kölner Plätze, einmal darstellen sollte, geht unter im Karussell des tosenden Straßenverkehrs, davon hastender Menschen und einer Architektur, die sich für keinen Stil, geschweige denn für ein so verbrauchtes Wort wie Schönheit entscheiden kann.

Man kann also leicht verstehen, wie Lempertz-Inhaber Henrik Hanstein auf die Idee kam, der scheinbar unaufhaltsamen Verwahrlosung vor der eigenen Haustür etwas entgegen zu setzen. In diesem Fall den Abguss eines Denkmals, das der französische Künstler Auguste Rodin Ende des 19. Jahrhunderts von seinem Landsmann, dem Schriftsteller Honoré de Balzac anfertigte. Im klassischen Sinne schön ist auch die Rodin'sche Plastik nicht. Aber das Original ist zweifelsohne ein bedeutendes Kunstwerk und Balzac, Autor der „Menschlichen Komödie“, als melodramatischer Chronist des modernen Lebens die passende Figur, um die ungeschminkten Sitten am Kölner Neumarkt in den Blick zu nehmen.

Was kann Kunst im öffentlichen Raum bewirken?

Allerdings glaubt auch Hanstein sicher nicht, dass die Drogenhändler am Neumarkt weiterziehen werden, weil ihnen ab April ein behördlich genehmigter Balzac auf die Finger schaut. Wie sich ohnehin die grundsätzliche Frage stellt, ob Kunst, zumal moderne, wirklich geeignet ist, den öffentlichen Raum vor der gefühlten oder tatsächlichen Verwahrlosung zu bewahren? Vielleicht benehmen sich manche Menschen ja kurzfristig besser, wenn sie vor etwas Schönem stehen. Moderne Kunstwerke wie Rodins Balzac haben dagegen mitunter eine Neigung, urbane Vandalen anzuziehen.

Wofür braucht es überhaupt Skulpturen in der Stadt? Die in den 1960er Jahren mit der Losung „Kunst für alle“ verbundenen Hoffnungen auf ein freieres, schöneres oder zurückgewonnenes Stadtleben haben sich jedenfalls nicht erfüllt. Oft spiegelt sich in den heruntergekommenen Kunstwerken eher der allgemeine Zustand des öffentlichen Raums, was schon deswegen pikant ist, weil sich die demokratische Gesellschaft die Kunst als Medium der Selbstvergewisserung verordnet hat. Bei jedem Bauprojekt der öffentlichen Hand soll ein Prozent der Kosten für „architekturbezogene Kunst“ ausgegeben werden, dazu kommen zahllose Objekte, mit denen Städte sich zusätzlich zu verschönern hoffen - allein in Köln werden über 450 Skulpturen im Freien gezählt.

Rodin.Statue

Ein Abguss der Balzac-Statue von Auguste Rodin soll auf den Neumarkt.

Mittlerweile fehlen vielen Kommunen, aber auch privaten Unternehmen Geld und Wille, die einstigen Hoffnungsträger instand zu halten, zumal der Einsatz für die Moderne nicht überall auf Gegenliebe stößt. So steht Otto Pienes bewegliche Plastik auf der Kölner Hohe Straße seit Jahren still, während Wolfgang Göddertz' lange ausgetrocknete Wasserspiele immerhin den Niedergang des Ebertplatzes symbolisieren durften.

Selbst leidenschaftliche Verfechter der Moderne laufen beim Thema Kunst im öffentlichen Raum zur Gegenseite über. So nannte Werner Schmalenbach, langjähriger Direktor der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, den Kunstdekor deutscher Innenstädte einst ein „Trauerspiel“ und empfahl, wenn man es schon nicht ganz lassen könne, Skulpturen auf Plätze, Straßen und in Parks zu stellen, sich wenigsten an den Grundsatz „Weniger ist mehr“ zu halten.

Im Flickenteppich der Stadt gehen einzelne Kunstwerke unter

Seine Abrechnung mit der „städtebaulichen Misere“ begründete der 2010 verstorbene Schmalenbach insbesondere damit, dass es im zersplitterten modernen Stadtbild unmöglich geworden sei, homogene Plätze, Straßen oder Räume zu gestalten. „Wir träumen und träumen von Integration, aber wie soll man Kunst in Städte integrieren, wenn die Städte desintegriert sind.“

Was Schmalenbach vor Jahrzehnten beschrieb, lässt sich bis heute in Köln beobachten. Die Stadt ist ein Flickenteppich wechselnder Architekturstile, Bau- und Verkehrskonzepte, an dem amtliche Stadtplaner und private Investoren unablässig weiter wirken und der durch keine Maßnahme zu bändigen ist. In dieser Hinsicht gehört Köln zu den Idealstädten einer demokratischen Gesellschaft, in der große städtebauliche Ideen im pluralistischen Kleinklein auf ein verträgliches Maß zerrieben werden - und in dem Kunstwerke entweder untergehen oder als bloße Fortsetzungen gesichtsloser Fassaden und anderer moderner „Bausünden“ erscheinen.

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Allerdings lässt dieser allgemeine Sündenfall die Kunst gerade in Köln oft erstaunlich gut aussehen. Einige Skulpturen im Stadtraum fügen sich auf geradezu gerissene Weise in ihr Schicksal, unsichtbar und wirkungslos zu sein: Wolf Vostells „Ruhender Verkehr“, ein in Beton gegossener Opel auf den Ringen, ist dafür das prominenteste Beispiel, die drei Linden von Joseph Beuys vor St. Gereon und Braco Dimitrijevics Steintafel am Dom zwei beinahe vergessene Anklagen gegen die Unwirtlichkeit der Innenstädte.

Der letzte prominente Versuch, das Kölner Stadtbild künstlerisch zu verschönern, fand 2017 am Breslauer Platz und damit an symbolträchtiger Stelle statt. Hier treffen sich eine urinverseuchte Unterführung, ein Busbahnhof, der die Brache vor einem Musical-Zelt notdürftig verdeckt, ein kurioses Kommerz-Hotel, ein klassizistisches U-Bahn-Monument und Wasserspiele, die so kläglich in der Steinwüste vor dem Hauptbahnhof versickern, dass die Baufirma zunächst vergaß, die Leitungen zu legen.

Rita McBrides Obelisk soll den Breslauer Platz ordnen

In diese Einöde setzte die Stadt den „Obelisk des Tutanchamun“ der US-Künstlerin Rita McBride, und zwar mitten in einen Kreisverkehr. Er besteht aus schwarzem Karbon, ist acht Meter hoch, sitzt auf einem grauen Betonsockel und soll, so McBride, seine Umgebung einem organisierenden Prinzip unterwerfen. Das ist entweder pharaonischer Größenwahn oder ein genialer Witz, denn wer verstehen will, warum in Köln zuletzt so viel schiefgelaufen ist, muss sich nur den Wildwuchs am Breslauer Platz ansehen. Hier spiegelt sich das unheilvolle Durcheinander aus unklaren Zuständigkeiten, einer kaputt gesparten Verwaltung und dem politischen Prinzip Einfach-mal-laufen-lassen, das an anderen Stellen durchaus den Charme dieser Stadt ausmachen kann. Dank McBride gibt es jetzt das Mahnmal dazu.

Ihr Obelisk ist ein verlorener Posten gegen das städtebauliche Chaos und auf Anhieb ein kölscher Klassiker. Dass es der Rodin'sche Abguss am Neumarkt zu ähnlicher Statur bringt, kann man nur hoffen. Am richtigen Ort stünde er schon einmal.