Köln – Es läuft das Mixtape des Grauens. I Will Survive, Smoke On the Water, Radio Gaga. Popmusik kann so scheiße sein. Außerdem: es friert. Die Besucher klappen die Schirme ein, wischen den Regen von ihren vereinzelten Stühlen im Kölner Tanzbrunnen, holen mit Maske Bier während ihnen Agneta Fältskog erklärt, dass sich der Gewinner alles nimmt und Jeff Buckley „Halleluja“ knödelt.
Nur 4000 Wochen bleiben uns zum Leben, so im Durchschnitt. Gefühlt 2000 davon verbringen wir mit diesen Formatradio-Liedern. Schlimm, ganz schlimm.
Trainingshose statt Anzug
Da freut man sich, als um 20 Uhr endlich Martin Bechlers Trio Fortuna Ehrenfeld die Bühne betritt, A capella und schön sarkastisch die deutsche Überversorgung mit Kultur beklagt. Rainald Grebe, der Star des Abends, kommt gleich hinterher, statt Anzug trägt er eine schwarze Trainingshose, auch nicht unbequemer als die karierten Pyjamas, die sich Fortuna Ehrenfeld zur Banduniform erkoren haben.
Dem Publikum will man es aber nicht gar so gemütlich machen: Grebe ist der Poet der schlechten Laune. Melancholie braucht keinen Anlass, Weltschmerz ist ein romantischer Gestus. Grebe jedoch ist definitiv kein Romantiker — „Du bist doch gar nicht wahr, du bist doch Zufall!“, ruft er der Liebe in „Single in Berlin“ zu.
Er fühlt sich überflüssig
Und er findet stets ein Übermaß an Anlässen vor, die Mundwinkel nach unten zu ziehen. Die Tristesse des Tourens. Oder die Überflüssigkeit seines Berufsstandes, die ihm während der Pandemie immer wieder bestätigt wurde. „Sogar Journalisten gelten als systemrelevant“, ätzt Grebe.
Sein aktuelles Album heißt schlicht „Popmusik“ und er hat es mit Unterstützung von Bechler und dessen Band eingespielt. Jetzt, im Konzert, erweist sich das als die genau richtige Entscheidung: Weg von der verfluchten Nachdenklichkeit des Liedermachers am Klavier, hin zu Bratzgitarren, Keyboardflächen und schwerelos verhalltem Dub-Reggae.
Was noch lange nicht heißt, dass sich Grebe jetzt wohlfühlt. Der Titel-Schriftzug auf dem Albumcover ahmt denjenigen von Coca-Cola nach: Popmusik ist Kunst in Warenform, ein Schmiermittel des Kapitalismus. Damit das auch jeder versteht, haben Grebe und Band mehr oder weniger jeden Hit, der zuvor auf dem Mixtape des Grauens zu hören war, in ihre Lieder eingebaut. Und so kann man hier, was nun wirklich niemand erwarten konnte, Grebe Coldplay-Refrains singen hören oder zu „A La La La Long“, nun ja, tanzen.
Als er Keyboardspielerin und Backgroundsängerin Jenny Thiele als versierte Alleinunterhalterin vorstellt und sich von ihr Chris de Burghs „Lady in Red“ wünscht, scheint er endgültig den Bogen überspannt zu haben. Thiele spielt dann aber nur den Grebe-Song, der selbst in der Radiohölle gelandet ist: „Brandenburg“.
Zu viel Konzept
Dennoch: es ist alles ein bisschen viel Konzept und es droht Songs zu überfrachten, die als zielgenaue Zeitsatiren doch problemlos für sich allein stehen. Zum Beispiel „Der Klick“, in dem Grebe zum „Da Da Da“-Casio-Ticken die große weite Welt des Internets auf einen hospitalisierenden Zeigefinger reduziert: „Ick kauf Musik mit Klick/ Ick kauf mir 'n Fick mit Klick/ Ick hab’ ein‘n Schuhtick/ Ich klick’ Schuhe an, schick’ sie zurück“. Oder das Porträt des „Machers“, das in die Erkenntnis mündet: „Der Calvinismus ist Schuld an der Erderwärmung“.
Noch besser sind die Lieder, in denen Grebes böser Blick zärtlich wird, das Porträt der „alten Flugbegleiterin“ auf ihrem letzten Flug — „ich hab‘ jeden Tag die Sonne gesehen und jetzt Schluss“ — oder die alte Ballade von der Fete im alkoholisierten Auflösungszustand: „Freizeit und was man draus machen kann, das ist ein langes Thema“.
Glotz nicht so romantisch
Aber bevor hier jemand anfängt, romantisch zu glotzen, setzt Rainald Grebe lieber noch ein paar Irritationsmomente, holt den greisen Männergesangsverein „Harmonie“ der Zeche Victoria Lünen auf die Bühne, Glück auf und ein Bier, das den Durst erst schön macht. Oder lässt das Publikum „Hey Jude“ mitsingen, als hätte er sich plötzlich mit der Popmusik versöhnt.
Passender ist die letzte Zugabe, die Grebe an Fortuna Ehrenfeld delegiert. Ein Trennungssong, der in dem herausgebrüllten Refrain „Arschloch, Wixer, Hurensohn“ gipfelt. Es lebe die schlechte Laune! Warum schafft es eigentlich so ein Lied nie auf das Mixtape des Grauens?