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„Liebe deine Stadt“-SloganMerlin Bauer: „Liebe kann auch blind machen“

Lesezeit 6 Minuten

KölnMerlin Bauer, 2015 feierten Sie mit ihrem Projekt „Liebe deine Stadt“ Zehnjähriges – inmitten der Frustration um die geplatzte Eröffnung von Oper- und Schauspielhaus.

Ja, das war auch der Anlass für die Jubiläumskampagne „Liebe deine Stadt – trotzdem!“. Nach dem ursprünglich vorbildlich strukturierten Bauprozess war ich von der doch sehr kurzfristigen Verschiebung der Eröffnung sehr konsterniert. Aus dieser Situation entstanden die drei Foto-Motive „Frust“, „Trost“ und „Hoffnung“ welche die Stimmungslage in Köln reflektieren, aber eben auch an den Mehrwert einer gelungen Sanierung erinnern sollten. Insofern ist auch mein Projekt „Liebe deine Stadt“ leider nie erledigt. Die Probleme bleiben. Die Absicht, Menschen dazu zu motivieren, sich in der eigenen Stadt zu engagieren, bleibt auch.

Viele Kölner halten mit ihrer Liebe zur Stadt ja nicht hinterm Berg. Obwohl hier so vieles schief gelaufen ist und immer noch schief läuft.

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Der Kölner identifiziert sich viel mehr mit den weichen Werten, seiner Sprache, dem „Jeföhl“ und seinem Veedel, als mit dem Faktischen, der Architektur seiner Stadt . Gleichzeitig kann natürlich „Liebe“ auch blind machen und notwendige Entwicklungen ersticken.

Jetzt gibt es diesen Song von Lukas Podolski und Cat Ballou der sich Ihren Claim „Liebe deine Stadt“, sagen wir mal, ausleiht. Der setzt voll auf diese weichen Werte.

Als Künstler stellt man seine Arbeit erst mal in den Raum. Und dann gibt es darauf verschiedene Sichtweisen und Wahrnehmungsebenen. Insofern freue ich mich zunächst einmal über die Popularität meines Projekts. Die Vielschichtigkeit ist auch Teil der Strategie bei meiner Idee von „Liebe deine Stadt“.

Die ist also voll aufgegangen?

„Liebe deine Stadt“ hat sich in die DNA der Stadt eingeschrieben. Es gibt Menschen, die sich den Slogan sogar tätowieren lassen. Andererseits sehe ich es kritisch, wenn der Claim kommerziell benutzt wird, ohne dass sein Ursprung genannt wird.

„Leider gibt es inzwischen einen großen Plagiats-Markt“

Haben Lukas Podolski und Cat Ballou Sie vorher nicht gefragt?

Nein. Es gibt ja zum Beispiel in der Südkurve eine „Liebe deine Stadt“-Fahne von einem der Ultra-Fanclubs. Die sind vor ein paar Jahren auf mich zugekommen, haben gesagt, dass sie mein Kunstprojekt kennen und unterstützenswert finden. Das fand ich gut, weil man sich hier mit den Inhalten der Arbeit auseinandergesetzt hat. Was ich aber als Künstler zu unterbinden versuche, ist eben die Entkontextualisierung und die kommerzielle Nutzung. Ich refinanziere meine Projekte ja zu einem großen Teil aus den Verkäufen meiner Kunst. Leider gibt es inzwischen einen großen Plagiats-Markt, in dem Leute den Claim aus dem Zusammenhang reißen und verramschen.

Können Sie da Beispiele nennen?

Ausgeschnittene „Liebe deine Stadt“-Buchstaben und Frühstücksbrettchen finden sie auf jedem Weihnachtsmarkt. Es gibt „Liebe deine Stadt“-Gürtelschnallen, Lampen und T-Shirts. Vor ein paar Jahren hat sich ein Unternehmer bei Ikea eingekauft und einen „Liebe deine Stadt“-Stand dort aufgemacht. Der verkaufte dort Fotos explizit vom Schriftzug für bis zu vierstelligen Euro-Beträgen. Auf den Verkaufs-Schildern stand dann zu lesen: „Der Künstler Merlin Bauer hat den Schriftzug 2007 über der Nord-Süd-Fahrt aufgestellt“. Als ob ich an dieser Verramschung beteiligt gewesen wäre. Dabei habe ich noch nie eine kommerzielle Nutzungslizenz vergeben.

Werden Sie nun gegen Podolski und Cat Ballou gerichtlich vorgehen?

Ich hoffe jetzt mal darauf, dass die Protagonisten des Songs den Titel auch klar in Bezug setzen. Damit wäre der Sache am meisten gedient. Wir haben ja keine grundsätzlich unterschiedlichen Ziele. Wir wollen beide eine lebenswerte Stadt. Mein Blick darauf ist eben eher ein kritischer.

Was gab eigentlich damals den Anstoß für „Liebe deine Stadt“?

Ich habe 2002 in Köln begonnen, Projekte im öffentlichen Raum zu kultur- und gesellschaftspolitischen Themen zu realisieren. Zu dieser Zeit wurde das Josef-Haubrich-Forum abgerissen, das dann auch als „Das Loch“ bekannt wurde. Damit war einer der wichtigsten kulturellen Spielorte in Köln, auch als Geschichts- und Wissensspeicher, verloren gegangen, ein unter Denkmalschutz stehendes Gebäude, das unter anderem auch den ersten Kunstmarkt der Welt, die Art Cologne, beherbergt hatte.

Das wurde damals von Seiten der Stadt nicht in seinem Wert erkannt?

Genau. Das Gebäude wurde dem administrativen Vandalismus überlassen. Das war sinnbildlich für diese Zeit nach dem Mauerfall, in der sich alle nach Berlin orientierten, die Kulturstadt Köln an Substanz verlor und man hier nicht verstanden hat, diesen Prozess aufzuhalten. Über Jahre hinweg hatte man hier von der Lage zwischen Düsseldorf und der Bundeshauptstadt Bonn profitiert, Köln war ein Avantgarde-Ort.

„Ich lebe grundsätzlich gerne hier“

Sie kommen aus Österreich, hatten Sie sich damals nicht auch überlegt, nach Berlin zu ziehen?

Doch. Ziehe ich mit der Karawane weiter oder bleibe ich in dieser marodierenden Stadt? Genau diese wurde dann zu meinem Arbeitsfeld. Für mich ging es in der Debatte um die Architektur der Nachkriegsmoderne sehr stark um die Frage der eigenen Identität. Geht man selbstbewusst mit der eigenen Geschichte um? Damals haben die Kölner der Architektur der 1950er und 60er Jahre große Ablehnung entgegengebracht. Mich hat interessiert, wie man die Menschen für solche Themen gewinnen kann. Ende 2004 gab es im Museum für Angewandte Kunst eine Riphahn-Ausstellung, zeitgleich begann die Diskussion um den Abriss der Kölner Oper. Diese stand kurz vor der feuerpolizeilichen Schließung. Also wieder abreißen und neu bauen? Mir ging es darum, dass so ein Gebäude ein kultureller Schatz ist, ein Symbol des Wiederaufbaus in einer komplett zerbombten Stadt. In dieser Gemengelage habe ich dann das Projekt „Liebe deine Stadt“ entwickelt. Als provokativ affirmative Form, die auch mit dieser überbordenden Kölner Selbstliebe spielt.

Aber wenn jemand dieses Spiel nicht erkennt, „Liebe deine Stadt“ wie im Cat-Ballou-Song völlig unkritisch interpretiert, kann es doch schnell zum Befehl werden? Liebe deine Stadt, oder zieh weg!

Das war natürlich nicht meine Absicht. Allerdings sollte in der medialen Berichterstattung eine Einordnung stattfinden. Wenn zum Beispiel das WDR-Fernsehen über den Song berichtet und dabei unkommentiert meinen Schriftzug über der Nord-Süd-Fahrt einblendet, dann geht es auch um journalistische Sorgfaltspflicht.

Wie stark ist ihre Liebe zur Stadt denn in den vergangenen Jahren auf die Probe gestellt worden?

Ich lebe grundsätzlich gerne hier. Probleme wie die Verzögerung und Kostenexplosion bei der Opernbaustelle sind ja nicht ausschließlich Köln-spezifisch, und trotzdem wünscht man sich für seine Stadt das bestmögliche Krisenmanagement. Insofern wünsche ich Herrn Streitberger und seinem Team viel Erfolg, den gordischen Knoten am Offenbachplatz zu lösen.

Zur Person

Merlin Bauer

Merlin Bauer, 1974 im österreichischem Graz geboren, wirkt seit 2002 als Konzeptkünstler in Köln. Seit 2005 macht er mit seinem Projekt „Liebe deine Stadt“ auf die Geschichte der Kölner Nachkriegsarchitektur aufmerksam. Das Projekt kann man als Pixibuch nachlesen: Merlin Bauer, Jörg Biesler: „Liebe deine Stadt 2005-2015“, Strzelecki Books 2,95 Euro.

www.liebedeinestadt.org

Die Kölner Band Cat Ballou hat jetzt zusammen mit Lukas Podolski und dem Rapper Mo-Torres den Song „Liebe deine Stadt“ veröffentlicht, der sich sofort an die Spitze der iTunes-Charts setzte. (cbo)

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