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lit.Cologne 2025Auf welches Buch Jonathan Lethem immer noch stolz ist

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Jonathan Lethem und Thomas Böhm (vorne) während ihrer lit.Cologne-Lesung in der Volksbühne am Rudolfplatz

Jonathan Lethem und Thomas Böhm (vorne) in der Volksbühne am Rudolfplatz

Der US-Autor Jonathan Lethem stellt auf der lit.Cologne sein neues Buch „Der Fall Brooklyn“ vor. Mithilfe von Willy Millowitsch. 

„Ich bin nicht der Texas-Billy, ne, ich bin der kölsche Willy“, intoniert Thomas Böhm und Jonathan Lethem runzelt dazu die Stirn. Aber da ihm der US-Autor nun mal in der Volksbühne am Rudolfplatz – dem ehemaligen Millowitsch-Theater – Rede und Antwort steht, so Moderator Böhm, muss Lokalkolorit sein. Denn um lokale Legenden geht es in Lethems neuestem Roman „Der Fall Brooklyn“ – und Brooklyn sei doch das berühmteste Veedel der Welt.

Lethem, Jahrgang 1964, ist dort aufgewachsen und obwohl er mittlerweile in Kalifornien lebt, ist Brooklyn sein Lebensthema geblieben, der Krimi „Motherless Brooklyn“ war 1999 sein Durchbruch als Autor. „Die Festung der Einsamkeit“, sein Roman um zwei Teenager, einer weiß, einer schwarz, die zusammen im Brooklyn der 70er und 80er Jahre aufwachsen, wurde zum Bestseller.

Christiane Paul trägt mit weit ausholenden Gesten vor

Er sei immer noch stolz auf dieses Buch, erzählt Lethem in Köln, aber er hätte darin aus seiner Kindheit eine Art goldener Statue gemacht. In „Der Fall Brooklyn“ wollte er jetzt, 22 Jahre später, diese Statue umstürzen und in tausend Teile zerspringen lassen – die Geschichte oder vielmehr die Mythen des Stadtteils aus vielen verschiedenen Perspektiven schildern, als kollektives Psychogramm eines Ortes und einer Zeit. In der Volksbühne trägt Christiane Paul diese Vignetten mit eindringlicher Stimme und weit ausholenden Gesten vor.

„Ich wollte nicht mehr über Individuen schreiben“, sagt Lethem, „sondern darüber, was die Menschen einander bedeuten, was uns innerhalb eines Systems von Beziehungen ausmacht.“ Weshalb man im Roman auch nie die Eigennamen der handelnden Personen – die meisten von ihnen sind Kinder – erfährt, sondern höchstens, wie man sie auf der Straße ruft. Da gibt es Mr. Clean, einen hellhäutigen Kubaner, der, ohne sich jemals die Mühe zu machen Englisch zu lernen, Verständnis für jedermann zeigt. Oder den Schlüpfer, einen schwarzen Jungen, ein Eigenbrötler, der die Kunst beherrscht, sich aus jeder unangenehmen Situation unbeschadet herauszuziehen. „Er hat erst im letzten Moment Einzug ins Buch erhalten“, so Lethem, „aber jetzt ist er als beobachtender Stellvertreter des Autors absolut essenziell.“

Wenn er sich an seine Kindheit erinnere oder über sie schreibe, frage er sich oft, ob das wirklich ihm passiert sei oder vielleicht jemand anderem? „Ein Teil unserer Erfahrung wird zur Legende, insofern handelt das Buch über die Katastrophe des Gedächtnisses. Wenn man dieses mythische Territorium betritt, endet man mit jeder Menge Fragezeichen.“ Daraus ergebe sich auch der Tonfall, in dem der Roman erzähle, eine Variation des Hard-boiled-Stils, wie ihn Dashiell Hammett und Raymond Chandler für ihre Detektivromane verwendet haben, „aber mit rissigen Rändern“.

Am Ende will Thomas Böhm dann doch noch den „orangen Elefanten im Raum“ ansprechen. Lethem zögert. Es gäbe viel zu viel zu sagen. Lieber lobt er die Diversität Brooklyns, an die schon seine Eltern geglaubt haben. Eine Mahnung sprach Lethem aber doch noch aus: „Wenn der Ungeist des Totalitarismus auftaucht, müssen die Mitte und die Linke das Streiten einstellen und eine Mauer bilden.“