Julia Fischer konnte in der Kölner Philharmonie zusammen mit dem Londoner Royal Philharmonic Orchestra überzeugen.
Meistergeigerin Julia Fischer in KölnDer Zauber des großen Gelingens
Das Violinkonzert von Jean Sibelius gehört dem eigenen Bekunden der deutschen Meistergeigerin Julia Fischer zufolge nicht nur zu ihren Lieblingskonzerten. Vielmehr hört und spielt sie es aus einer Natur-Perspektive, angeschlossen an einen Assoziationsraum von weiter schneebedeckter Landschaft unter grauem Himmel. Solchermaßen wird die Musik zum antwortenden Gegenbild von Melancholie und Einsamkeit. Das kann sich hören lassen, wenngleich es immer schwierig zu ermitteln ist, inwieweit sich Klang als übersetzte Naturimpression ausweisen lässt – zumal dann, wenn es nicht um ausdrückliche Programmkunst geht. Denn Kuckucksrufe und Donnergrollen finden sich nun mal nicht in diesem Violinkonzert. Es ist, als ein Erbe des romantischen Virtuosenkonzerts, ein Werk der absoluten Musik. Als solches hat es übrigens seit jeher die Klippen der in Deutschland weiland verbreiteten Sibelius-Verachtung einigermaßen glorreich umschifft.
Fischer spielte Jean Sibelius' Violinkonzert aus einer Natur-Perspektive
Wie auch immer: Wenn die Naturidee Fischer beim interpretatorischen Vollzug hilft, vielleicht sogar besondere Intensitäten stiftet, ist gegen sie überhaupt nichts einzuwenden. Und wie sie es spielt, das hat allemal nichts mit Natur, sondern mit einem Höchstmaß an Kunst zu tun, wobei hohe deutende Intelligenz und eine kontrollierte, aber keineswegs verleugnete Emotionalität eine bruchlose Verbindung eingehen. Das war jetzt im Kölner Meisterkonzert in der Philharmonie zu erleben, wo Fischer wieder einmal, zusammen mit dem Londoner Royal Philharmonic Orchestra unter Vasily Petrenko, ihren Sibelius spielte – übrigens nicht im Zug einer routinierten Abwicklung, sondern frisch wie am ersten Tag, im stets neu gestalteten Hier und Jetzt.
In Bann schlug gleich ihr Einsatz mit dem lapidaren Quintfall, dem Signet des ersten Satzes. Der kam wie vom Himmel und doch plastisch und präsent, ohne Druck, dabei glasklar, mit feinem, dichtem Strich und wenig Vibrato. Der energische Input ließ dann freilich nicht auf sich warten, etwa bei den Punktierungen in der weiteren Ausformulierung des Kopfthemas. Alles aber durchdrang der Atem der unendlichen Melodie, da gab es kein tüfteliges Klein-Klein.
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Auch im Leisen setzte sich Fischer mühelos gegen das Orchester durch
Der Zauber großen Gelingens stellte sich im Fortgang immer wieder ein: gar nicht mal so sehr in den schweren Kadenzen, die die Solistin ganz straight absolvierte, als vielmehr etwa in den idyllischen doppelgegriffenen Sexten des Seitenthemas, in ihrem innigen Gesang im langsamen Satz, der den Charakter eines leidenschaftlichen Gebetes annahm, oder im swingenden Drive des Finales. Auch im Leisen setzte sich Fischer mühelos gegen das große Orchester durch, das sich seinerseits nicht sonderlich zurückhielt. Dass so etwas klappt, ist eben nicht nur eine Frage der Lautstärke, sondern vor allem der Intensität, der Legatodichte, der Dringlichkeit, des unbeugsamen Willens, bei aller Kooperationsbereitschaft zu zeigen, wer hier die Herrin im Haus ist. Klar, dass es die Zuhörer nach dem Schlussakkord nicht mehr auf den Sitzen hielt. Fischer dankte mit einer Bach-Fuge, deren polyphone Mehrstimmigkeit bei ihr in den besten Händen lag.
Auch die Darbietung der rahmenden, dem Orchester vorbehaltenen Werke – Mussorgskys „Nacht auf dem kahlen Berge“ und Bartóks Konzert für Orchester überzeugte weithin. Das Royal Philharmonic Orchestra konnte früher nicht ganz mit anderen Londoner Spitzenorchestern wie dem London Symphony oder dem London Philharmonic mithalten (der Konkurrenzkampf auf der einschlägigen Hochebene der Weltmetropole London ist allerdings auch sehr hart). Vielleicht aber befördert das druckvolle, von stärkster musikalischer Vorstellungskraft beflügelte Dirigat des russischen Maestro auch die Spielkultur. Mussorgskys „Nacht“ geriet dank einer fast schon maschinellen Perkussivität schier zum Hexensabbat – wobei im Posaunenchorals das „Dies irae“ in der Luft zu liegen schien. Und die bitterbösen Ironien und Parodien in Bartóks letztem großem Werk – inklusive „Dann geh ich ins Maxim“ aus der „Lustigen Witwe“ – kamen mit allem gebotenem Nachdruck herüber. So umstandslos wie beschwingt gelang dann in den Zugaben – Sullivan und Brahms – der Gang in die leichteren Gefilde.