Die Band Muse hat am Samstag im Rheinenergie-Stadion ihr bislang größtes Deutschland-Konzert gespielt.
Die Show wird dominiert von Sci-Fi-Themen wie Robot-Monstern, die die Rockband mit Posaunen und Morricone-Einflüssen mixen.
Zu Beginn ihrer Karriere mussten sich Muse immer mit Radiohead vergleichen lassen. Das Köln-Konzert zeigt deutlich, wer vorne liegt. Eine Kritik.
Köln – Im Juli 1962 wird der Satellit Telstar von Cape Canaveral aus in den Orbit geschossen. Schon bald sendet er erste Fernsehbilder und Telefongespräche von Kontinent zu Kontinent. Die Menschheit kommuniziert jetzt mit Umweg über den Weltraum, ihre Zukunft als Bewohner eines globalen Dorfes hat begonnen.
Die allgemeine Weltraumbegeisterung steckt auch den halb verrückten britischen Klangvisionär Joe Meek an. Für seine Studioband The Tornados schreibt und produziert er die Single „Telstar“. Das Space-Age-Instrumental steigt raketengleich an die Spitze der US-Hitparade auf, die Tornados sind die erste englische Band mit einem Nummer-Eins-Hit in Amerika. Damals an der Rhythmusgitarre: George Bellamy.
Das größte Deutschland-Konzert
Fast 60 Jahre später steht sein Sohn Matt auf der Bühne im nahezu ausverkauften Rheinenergie-Stadion. Es ist das bislang größte Deutschland-Konzert seiner Band Muse. Das Space Age ist nur noch eine blasse Erinnerung, ein Märchen von Männern auf dem Mond, doch Matt Bellamy lässt seine Gitarre aufheulen wie eine Luftschutzsirene, verbirgt seine Augen hinter einer Brille mit rot blinkenden LED-Lichtern, während ein böser Roboter geradezu lächerlich gigantischen Ausmaßes seine Hand nach ihm ausstreckt. B-Film-Träume werden wahr. Die Masse jubelt dem Gitarristen zu.
Erst recht, als dem Robot-Monster, an dem man sich jetzt satt gesehen hat, die Luft rausgelassen wird, und Bassist Chris Wolstenholme mit einer Mundharmonika auf die kleine Bühne am Ende des Laufstegs schreitet, um uns dort das Lied vom Tod zu blasen. Alle wissen, was jetzt kommt, der End- und Höhepunkt jedes Muse-Konzertes, „Knights of Cydonia“, ein Stück, das selbst für diese Band zu überdreht ist, als dass sie es in ihre Setlist integrieren könnte.
Die Morricone-Einflüsse sind unüberhörbar, da hätte man das Mundharmonika-Intro gar nicht gebraucht. Matt Bellamys Gitarrenmelodie aber zitiert „Telstar“, das Stück, mit dem sein Vater einst Amerika erobert hatte, und auch noch ein anderes, galoppierendes Tornados-Stück aus dessen Feder: „Ridin’ the Wind“. George Bellamy sah nie irgendwelche Tantiemen seiner Hits. Als sein Sohn geboren wird, verdingt er sich als Bauarbeiter. Immerhin ein Bauarbeiter mit einem Ouija-Brett und einer großen Sammlung spacig verhallter Schallplatten aus den späten 50ern und frühen 60ern. Als der Vater die Familie verließ tröstet sich Matt mit seiner Gitarre, und beschwört die Geister des Weltraumzeitalters.
Multidimension, schwarze Löcher, Verschwörung
Deshalb widmen sich die meisten Muse-Alben einem Thema, das direkt aus einem Science-Fiction-Heftchen für unsportliche Zwölfjährige zu stammen scheint: Multidimensionalität („Origins of Symmetry“, 2001), Schwarze Löcher und Verschwörungstheorien („Black Holes and Revelations““, 2006) oder die Hypothese der Panspermie, die postuliert, dass sich einfach Lebensformen über Lichtjahre hinweg durchs All fortpflanzen können („The Resistance“, 2009). Das aktuelle Album, „Simulation Theory“, beschäftigt sich nun mit Nick Bostroms Annahme, dass wir alle nur in einer virtuellen Realität leben, beziehungsweise eben nicht leben, sondern vielmehr aus Algorithmen zusammengesetzt sind.
„Wir sind in Simulationen gefangen“, posaunt es denn auch zu Anfang des Kölner Konzertes vom konvex gebogenen, selbstredend gigantischen LED-Schirm auf der Südseite des Stadions. Und eben das singt auch die noch körperlose, aber ungemein kräftige Falsett-Stimme Matt Bellamys. Nerdigerweise sei an dieser Stelle angemerkt, dass wir frei nach Bostrom nicht in einer oder mehreren Simulationen gefangen, sondern vielmehr Teil von diesen sind. Egal. Sogleich marschiert eine Kohorte bedrohlich blinkender Roboter auf dem Laufsteg vor der Bühne auf, bringt tatsächliche Posaunen in Stellung — deren Klang allerdings simuliert ist — und stösst eine Fanfare aus.
Zu der Matt Bellamy nun aus dem Bühnenboden fährt, die schwarze E-Gitarre im Anschlag, und gegen den Schöpfer aufbegehrt, der ihn dazu verurteilt hat, lediglich ein Programm auszuführen. Später im Set spielt er das Lied gleich nochmal, diesmal trägt er eine blinkende LED-Jacke und sitzt hinter einem Klavier, auf dem er Läufe spielt, die nach Rachmaninow klingen, wenn der für Videogames komponiert hätte.
Kein Vergleich mehr zu „Radiohead“
Zu Anfang ihrer Karriere mussten sich Muse immer wieder mit Radiohead vergleichen lassen, tatsächlich setzen sie in ihrer Effekthascherei, in ihrer Science-Fiction-Versessenheit — den 2006er Hit „Supermassive Black Hole“ leitet Bellamy in Köln mit der bekannten Fünf-Ton-Melodie aus Spielbergs „Unheimliche Begegnungen der Dritten Art“ ein —, und auch in ihrer schieren Virtuosität eher das Werk des kanadischen Prog-Rock-Trios Rush fort.
Mit zwei entscheidenden Neuerungen. Zum einen sind Muse die Verlockungen des Pop nicht fremd. Bellamys Arpeggio-Soli könnten etwa auch einen Daft-Punk-Track zieren. Gleich zweimal versuchen sich Muse auf der Vorderbühne an Prince-artigen Songs: „Propaganda“ und „Madness“, wobei letzterer wie ein Mash-Up aus dessen „Kiss“ und Queens „I Want To Break Free“ klingt. Was sich theoretisch schrecklich anhört, live aber großen Spaß macht. Zum anderen ist die Zukunft, von der Rush in den 1970ern sangen, längst angekommen. Man kann sich über Muses „Was ist was“-Themen, von der Supersymmetrie bis zum Dronenkrieg, lustig machen, aber mit ihnen gelingt der Band eine ziemlich zutreffende Beschreibung unserer Welt.
Und musikalisch ist das gut zweistündige Konzert auch jenseits von Laserzauber, Riesenrobotern, silbernen Totenschädeln und sich abseilenden Tänzern in Schutzanzügen eine Schau. Die drei Jugendfreunde aus dem südenglischen Küstenstädtchen Teignmouth sind eben nicht nur ein Upgrade von Rush (und der Tornados), sie führen auch ein weiteres Power-Trio ins Informationszeitalter: die Jimi Hendrix Experience.