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Nachruf auf Doğan AkhanlıEin unverbesserlicher Menschenfreund

Lesezeit 4 Minuten
sw Akhanli

Köln – Doğan Akhanlı erlangte in Deutschland Bekanntheit, als er 2010 wegen absurder Vorwürfe bei der Einreise in die Türkei festgenommen und inhaftiert wurde. Dieser kleine, ruhige Mensch, dem die Herzenswärme aus den Augen strahlte, konnte kein Verbrecher sein. Niemand, der irgendwann an einem Raubüberfall teilgenommen haben könnte, wie die türkische Justiz ihm vorwarf. Erst recht: kein Terrorist.

Doğan Akhanlı, der mit seiner schmächtigen Figur und der ruhigen Stimme ein wenig an Mahatma Gandhi erinnerte, war – multipler Folter- und Kriminalisierungserfahrungen zum Trotz – ein unverbesserlicher Menschenfreund. Am Sonntag ist der Sohn eines Lehrers in Berlin nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben.

Er fühlte sich an die Romane Kafkas erinnert

Mit seinen Erfahrungen fühlte er sich an die Romane von Franz Kafka erinnert, der die bedrohliche Absurdität in Unrechtssystemen so präzise seziert hatte. Er wusste aus eigener Erfahrung, dass die Realität mindestens so absurd war wie die Fantasie.

Alles zum Thema Henriette Reker

Akhanlı, der 1991 als Asylbewerber nach Deutschland kam, war einer der ersten türkischstämmigen Regimekritiker, dessen Inhaftierung in der Türkei eine öffentliche Debatte auslöste. Auch die Stadt Köln setzte sich für die Freilassung Akhanlıs ein, der in der Türkei lediglich seinen todkranken Vater besuchen wollte. Die Welle der Solidarität habe ihn in Köln erst richtig heimisch werden lassen, sagte er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ später.

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Nach seiner Rückkehr plagten den emotional durchlässig wirkenden Mann Schuldgefühle, weil er gegen den Rat seiner beiden Kinder in die Türkei gereist war. Zum Glück hatte er die Sprache, um seine Gefühle in Geschichten zu fassen – sein Sohn, der schwer unter der Inhaftierung litt, stand später in einem Stück über den Vater auf der Bühne des Kölner Schauspiels.

Als junger Mann zwei Jahre inhaftiert

2017 wurde Akhanlı, der als junger Mann zweieinhalb Jahre in einem Istanbuler Gefängnis inhaftiert und gefoltert worden war, in Spanien festgenommen. Der türkische Staat hatte den Menschenrechtler, der sich für eine Aussöhnung von Armeniern, Kurden und Türken engagierte und für die Anerkennung des Genozids der Türken an den Armeniern 1915/16, mit internationalem Haftbefehl suchen lassen.

Als Zeichen der Solidarität mit Akhanlı hatte der „Kölner Stadt-Anzeiger“ ein internationales Projekt organisiert, für das Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus der ganzen Welt Zukunftsbotschaften per Flaschenpost verschickten. „Wir müssen an die Magie des Widerstandes glauben“, hatte Dogan Akhanlı geschrieben und seine Botschaft in den Manzaneres in Madrid geworfen.

Widerstand gegen Unrecht

Wenige Intellektuelle verkörperten den Widerstand gegen Unrecht und Menschenverachtung eindrücklicher als Dogan Akhanlı, dieser leise Mensch, der Angst zwar als Antriebsfeder bezeichnete, aber gelernt hatte, „dass es besser ist, ruhig zu sein als ängstlich“.

Einige bekannte türkische Schriftsteller hatten eine Teilnahme am Flaschenpost-Projekt mit dem Hinweis, Sorge vor Repressalien zu haben, abgelehnt. Akhanlı sagte, er könne das nachvollziehen, lasse sich das Wort aber nicht verbieten.

Mit seinen Veröffentlichungen machte er sich unter türkischen Nationalisten Feinde. So mit dem Theaterstück „Annes Schweigen“, dessen Protagonistin angelehnt ist an Sabiha Gökcen, eine Adoptivtochter des türkischen Staatsgründers Kemal Atatürk, die erste Kampfpilotin der Welt – die vermutlich Armenierin war.

Die von dem armenischen Journalisten Hrant Dink veröffentlichte Abstammungstheorie Gökcens führte in der Türkei zu einem Aufruhr und Morddrohungen gegen Dink, der 2007 tatsächlich ermordet wurde. Auch Akhanlı wurde immer wieder von Fanatikern bedroht. Er lächelte leise darüber und schrieb weiter.

Anerkennung als Schriftsteller

Lange Zeit als „Grüß-August der türkischen Justiz-Opfer“ herumgereicht worden zu sein, statt als Schriftsteller ernst genommen zu werden, hat ihm manchmal weh getan. Wirklich schlimm fand er es nicht. „Dafür habe ich zu viel Solidarität erfahren“, sagte er. Es wurde auch besser: In den vergangenen Jahren erschienen seine Werke, die in der Türkei mehrere Auszeichnungen erhielten, auch auf Deutsch. 2018 erhielt er den Europäischen Toleranzpreis für Menschenrechte, 2019 die Goethe-Medaille.

Die Premiere seines Stücks „Madonnas letzter Traum“ am 17. September im Theater am Bauturm konnte Akhanlı aus Krankheitsgründen schon nicht mehr erleben.

Henriette Reker nennt ihn einen mutigen Kämpfer

„Mit Dogan Akhanlı verlieren wir einen wunderbaren Menschen, der unaufgeregt, mutig und entschlossen für Demokratie und Menschenrechte in der Türkei gekämpft hat“, sagt die Landtagsabgeordnete Berivan Aymaz (Die Grünen), eine enge Freundin Akhanlıs. „Sein Tod ist ein Riesenverlust.“

Oberbürgermeisterin Henriette Reker bezeichnete Akhanlı als „beeindruckende Persönlichkeit“. Er sei „ein mutiger Kämpfer für Menschenrechte in der Türkei und weltweit“, gewesen. „Seine Stimme war oft leise, aber seine Botschaft war laut und wurde gehört. Diese Botschaft werden wir alle weitertragen.“ Akhanlı soll in Köln beigesetzt werden.