Nevin Aladağ ist vor allem für Klangskulpturen und Textilarbeiten bekannt. Jetzt ist sie im Max-Ernst-Museum Brühl zu Gast.
Nevin Aladağ in BrühlWarum soll Kunst nicht auch mal ein großer Spaß sein?
Gute Laune ist nicht das Erste, was man mit modernen Kunstwerken in Verbindung bringt. Zwar gibt es Carsten Höllers Spaßrutschen und die scheppernden Schrottkreaturen Jean Tinguelys, aber danach und daneben wird es zunehmend mürrisch und intellektuell. Warum sollte es auch anders sein? Die Welt ist schließlich kein Vergnügungspark und Museen vor allem dafür zuständig, das wenige Gute, Schöne und Wahre, das uns geblieben ist, vor dem Räumungsverkauf zu bewahren.
Andererseits ist es wohl kein Zufall, dass sich vor den Installationen Nevin Aladağs verlässlich Menschentrauben bilden, und dies sogar auf Festivals, die sich als Hochämter der Gegenwartskunst verstehen. Auf der Documenta 14 lud Aladağ in ein Musikzimmer, dessen Möbel sie in Schlag- und Saiteninstrumente verwandelt hatte, und auf der Biennale von Venedig ließ sie sieben Frauen in Stöckelschuhen zu lautloser Musik auf Kupferplatten tanzen. Vermutlich lässt sich die Welt damit nicht retten. Aber vielleicht ein langer Tag auf dem Pfad der Hochkultur.
Nevin Aladağs Werke gleichen einer Einladung, Spaß zu haben
Die malträtierten Kupferplatten hängen jetzt im Max-Ernst-Museum Brühl, gemeinsam mit einem Video der Tanzeinlage; aber das akustische Vergnügen der Performance teilt sich auch schon über die wie von Punzierhammerschlägen verbeulten Platten mit. Es klingt banal, ist es aber nicht: Aladağs Werke gleichen einer Einladung, Spaß zu haben, sich an der Poesie von Klängen, Stoffen und Bewegungen, allesamt verpackt in Kunst- und Kulturgeschichte, zu erfreuen.
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Bekannt wurde die 1972 in der Türkei geborene und in Stuttgart aufgewachsene Künstlerin mit ihren unter freiem Himmel aufgestellten Klangskulpturen. Sie fing darin das Grundrauschen des Alltags auf und verwandelte es mit Luftballons, die in Trompeten blasen, Triangeln, die im Wind baumeln, oder einem Schaukelpferd, das kopfnickend die Rassel spielt, in lautmalerische Poesie. Mit diesem Orchester reist Aladağ seitdem um die Welt, um die Sprache von Städten aufzunehmen, und tatsächlich scheint eine über Straßen und Wege rollende Tamburin an jedem Ort anders zu klingen.
Leider erfahren wir im Max-Ernst-Museum nicht, wie Brühl klingt oder die heimischen Tauben auf Saiteninstrumenten musizieren. Aber dafür stehen wir vor einer stacheligen Messingkugel, die einem Seeigel oder auch einem Weltraumsatelliten gleicht. Sie ruht blitzblank geputzt auf einem Sockel, und was aussieht wie metallische Tentakel oder Antennen, sind in Wahrheit Mundstücke verschiedener Blasinstrumente, von Trompete, Tuba oder Bambusflöte. Jeden Sonntag werden professionelle Musiker auf der „Resonator“-Skulptur spielen, vielleicht sogar zu mehreren. Bei ihren Konzerten möchte Aladağ zeigen, wie aus der Vielfalt musikalischer Traditionen ein Miteinander im Durcheinander entsteht - also eine Art utopische Weltmusik.
Auch in den „Social Fabrics“, Aladağs anderem großen Werkkomplex, geht es um das Sampling einzelner Kulturtechniken in einem universalen Medium. Für ihre großen Textilbilder verbindet Aladağ Teppichstücke aus verschiedenen Herkunftsländern und Fertigungsformen, aus Natur- und Industriefasern miteinander und versucht so Zusammenhänge zu schaffen, wo es in der Wirklichkeit allzu oft nur kulturelle Gegensätze zu geben scheint. Am liebsten würde man über die Fasern streichen, aber auch für die Augen sind diese Textilmontagen ein Genuss.
In mancher Hinsicht ähnelt Aladağs Aneignung „weiblicher“ Materialien dem Frühwerk Rosemarie Trockels
Die Idee zu den „Social Fabrics“, sagt Aladağ, sei ihr gekommen, als sie im Rahmen eines Kunstprojekts Schulsportplätze mit Teppichstoffen verfremdete. In Brühl erinnert daran eine Indoor-Basketball-Spielfläche, auf der man Körbe mit bunt ummantelten Bällen werfen kann. Auch die mit Häkelware verzierten Sitzbälle dürfen und sollen benutzt werden. Für die aus verschiedenfarbigen Kabeln geknüpfte Macramé-Decke gilt hingegen wieder absolutes Berührverbot.
In mancher Hinsicht ähnelt Aladağs Aneignung „weiblicher“ Materialien und Fertigkeiten dem Frühwerk Rosemarie Trockels, deren Stoffbilder und einbetonierte Herdplatten zu den Klassikern der modernen Kunst gehören. Allerdings muss man bei Aladağ nicht die große Diskursmaschine anwerfen, um mitzukommen, was man je nach Naturell als geistige Unterforderung oder angenehme Abwechslung auffassen kann. Um Spaß allein geht es aber auch Aladağ offensichtlich nicht. Für sie ist das Museum eine Echokammer utopischer Ideen.
Zuweilen sind Nevin Aladağs Werke geradezu schamlos zugänglich und zugewandt. Für ihre Serie über beste Freunde hat sie junge Leute auf der Straße aufgespürt, die sich, offenbar ohne es zu ahnen, beinahe wie Zwillinge kleiden und darauf angesprochen geschmeichelt für die Kamera posieren. Um Spiegeleffekte geht es auch in den „Pattern Kinships“, einer Werkgruppe, für die Aladağ weltweit verwandte Muster sucht und an den erstaunlichsten Orten findet. Wenn man die Abdrücke von Bärentatzen oder Rattenfüßen nur lange genug mit sich selbst spiegelt, kommen, versichert die Künstlerin, dabei Ornamente heraus, die man eher für mittelalterliches Zierwerk gehalten hätte. Im Grunde ist ihre Musterwolke aus bemaltem Aluminium nicht viel mehr als eine intellektuelle Spielerei. Aber wer sagt, dass das kein Spaß sein kann?
„Nevin Aladağ. Interlocking“, Max-Ernst-Museum des LVR, Comesstr. 42, Brühl, Di.-So. 11-18 Uhr, 10. März bis 30. Juni 2024.