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Kommentar

Oasis-Comeback
Wie Noel und Liam Gallagher die gekränkte Seele Großbritanniens streicheln

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Lesezeit 5 Minuten
Noel Gallagher von Oasis, stehend, trägt ein kariertes Hemd, neben ihm sitzt sein jüngerer Bruder Liam im weißen Hemd.

Noel (l.) und Liam Gallagher von Oasis in jüngeren Jahren.

Oasis gehen nach getrennten 15 Jahren wieder auf Tour. Es geht um Nostalgie. Aber so war das doch bei dieser Band schon immer.

Kurz nach dem Brexit-Referendum, bei dem eine knappe Mehrheit für den Austritt Großbritanniens aus der EU gestimmt hatte, beschimpfte Noel Gallagher seine proeuropäischen Landsleute, die händeringend nach einem Ausweg aus David Camerons politischem Fiasko suchten. „Ihr habt an einem verdammten demokratischen Prozess teilgenommen“, unkte der Oasis-Mitgründer, „wenn euch das Ergebnis nicht gefällt, geht doch nach Nordkorea.“

Als Gallagher vergangenes Jahr dem englischen Musikmagazin „NME“ ein Interview gab, klang er deutlich weniger kämpferisch. Die Pro-Brexit-Stimmung beschrieb er als Massenhypnose, der Ausstieg habe sich als Desaster entpuppt, das England von heute sei ein Drecksloch, in dem nichts mehr funktioniere. Kurz darauf forderte er in der Straßenzeitung „The Big Issue“ ein neues Referendum – über eine Rückkehr in die EU.

Noel und Liam Gallagher sind die Kain und Abel der Popmusik

Noel Gallagher verkündet gerne vehement und mit gepfefferten Flüchen seine Meinung, es ist nur halt nicht immer dieselbe. 15 Jahre lang tourte er mit seinem jüngeren Bruder Liam als Oasis um die Welt, 15 Jahre lang kanzelten die Brüder aus Manchester großmäulig die Konkurrenz ab, behielten sich ihre verletzendsten Äußerungen jedoch für ihren geschwisterlichen Dauerzwist vor. Noel und Liam Gallagher, der Songschreiber und sein unverzichtbarer Sänger, waren Kain und Abel der Popmusik, eine Hassliebe biblischen Ausmaßes schien sie aneinander zu ketten. Bis Noel die Band Ende August 2009 unmittelbar vor ihrem Auftritt auf einem Festival nahe Paris verließ: Er habe nicht einen Tag länger mit Liam arbeiten können, lautete sein nachgereichtes Statement.

Ebenso unvermittelt erklären die Brüder ihren Streit jetzt, nach wiederum 15 Jahren, für beendet, pünktlich zum 30. Jahrestag ihres Debütalbums „Definitely Maybe“: „Es gab keinen großen Aha-Moment, der die Wiedervereinigung ausgelöst hat“, hieß es am Dienstag auf der Band-Webseite, die prompt abstürzte, „nur die allmähliche Erkenntnis, dass die Zeit reif ist.“ Und weiter: „Die Waffen sind verstummt. Die Sterne stehen richtig. Das große Warten ist vorbei. Kommt und seht. Es wird nicht im Fernsehen übertragen.“

Selbstredend geht es zuerst einmal ums Geld. Noel Gallagher hat gerade eine teure Scheidung hinter sich. Die nun angekündigte Tour – den 14 Terminen in Großbritannien und Irland sollen weitere in Europa und auf anderen Kontinenten folgen – werde nach Schätzungen der Boulevard-Zeitung „Sun“ rund 400 Millionen Pfund umsetzen und jedem Bruder an die 50 Millionen Pfund Gewinn einbringen. Zwar touren beide noch mit ihren jeweiligen neuen Bands und spielen dabei auch die alten Stücke, doch als Marke „Oasis“ sind sie ein Vielfaches wert.

Das Pathos ist dennoch angebracht. Das Publikum sehnt sich nach den Glanztagen von Oasis, so wie sich die Band Mitte der 1990er nach der musikalischen Hochzeit der Swinging Sixties verzehrte. Die lagen damals auch gerade 30 Jahre zurück. „Wo warst du, als wir uns zugedröhnt haben?“, fragte Liam Gallagher seine Zuhörer in „Champagne Supernova“ und versprach: „Eines Tages wirst du mich finden/Gefangen unter einem Erdrutsch/In einer Champagner-Supernova“. Oasis waren die imaginistischen Dichter des glorreichen Exzesses, der sich irgendwo unter den Schmutzschichten des Arbeitsalltags verbergen musste. Grammatik und Logik waren nicht ihre Stärke, aber im Heraufbeschwören von Bildern konnte ihnen eine Zeit lang niemand das Prickelwasser reichen.

Was Oasis mit dem Brexit gemeinsam hat

Nun gibt es Leute – darauf weist Alexis Petridis, Chefpopkritiker des „Guardian“ hin –, die behaupten, dass Oasis‘ musikalischer Konservatismus, ihre Vorliebe für den Union Jack und andere patriotische Insignien, für nordenglische Arbeiter- und Hooligan-Werte, für die prahlerische, anti-intellektuelle Lad-Kultur, den Brexit um Jahrzehnte vorweggenommen hätten.

Das ist gehörig überzogen. Allemal aber kann man die These aufstellen, dass sich Oasis‘ manisches Ausmalen der wenigen Leerstellen im Werk der Beatles aus demselben englischen Exzeptionalismus speist, der auch die Hauptmotivation der Brexiteers war: Dem Verlangen nach einer vergangenen Zeit, als über dem Empire niemals die Sonne unterging, als das Vereinigte Königreich die Weltmeere beherrschte – statt nur ein Rädchen im bürokratischen Getriebe der Europäischen Union zu sein. Genau gegen diese Kränkung scheint sich Liam Gallagher, stur am Mikrofonständer stehend, seine schnarrende John-Lennon-Imitation mit den Drohgebärden eines Pub-Prüglers stählend, mit aller Rock’n’Roll-Kraft zu stemmen.

Schon der weltweite Siegeszug der Beatles und der Rolling Stones und all der anderen britischen Bands der 1960er schien als „British Invasion“ auf symbolische Weise die Scharte des geopolitischen Bedeutungsverlustes auszuwetzen – und das mitten im amerikanischen Jahrhundert. 30 Jahre später, als Oasis und Blur die (bekanntlich nur vorgeschützte) Konkurrenz der Beatles und der Stones mit verbissener Humorlosigkeit nachstellten, rekrutierte Tony Blair beide Bands als Aushängeschild einer angeblich erneuten kulturellen Weltbedeutung der Insel: „Cool Britannia“ umfasste neben den genannten Bands auch die von Charles Saatchi geförderten „Young British Artists“, außerdem umfasste die britische Invasion noch die James-Bond-Filme.

Jede Wiedervereinigung – von Genesis bis Take That – weckt Nostalgie-Gelüste, die mächtige Sehnsucht nach einem idealisierten Gestern, das es so nie gegeben hat. Als Oasis zuletzt im Mai 2000 in Köln auftraten, reichte dafür noch das E-Werk, heute werden es wohl Stadien sein. Was die Gallagher-Brüder von all den anderen Bands unterscheidet, die spät wieder zusammengefunden haben, ist die Tatsache, dass sie diese Nostalgie von Anfang an bedient haben: „Don’t Look Back in Anger“, wie Noel Gallagher singt, eine Hymne des reuelosen Trotzes.