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Öffentlich-rechtlicher RundfunkEs geht um alles im Reformstaatsvertrag

Lesezeit 7 Minuten
28.08.2024, Berlin: Das RBB-Logo ist vor dem Berliner Sendehochhaus vom RBB in der Masurenallee zu sehen. Foto: Jens Kalaene/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Wenn es einen Ort gibt, der als Symbol taugt für die multiple Not der ARD, dann ist es das Intendantenbüro im 13. Stockwerk des RBB-Fernsehzentrums an der Masurenallee in Berlin.

20 ARD-Radiosender und bis zu fünf TV-Kanäle sollen wegfallen. Mehr Beitragsgeld gibt es voraussichtlich nicht. Das Ziel: mehr Akzeptanz in der Gesellschaft.

Hannover - Wenn es einen Ort gibt, der als Symbol taugt für die multiple Not der ARD, dann ist es das Intendantenbüro im 13. Stockwerk des RBB-Fernsehzentrums an der Masurenallee in Berlin. Hier, am Ground Zero der öffentlich-rechtlichen Imagekrise, ließ die fristlos entlassene Ex-Intendantin Patricia Schlesinger für 1,4 Millionen Euro Umbaukosten begrünte Wände und edlen Parkettboden installieren. Hier verteilte sie großzügig Boni an Vertraute.

Hier oben herrschte, wie eine RBB-Maskenbildnerin mal schimpfte, über Jahre „der Denver-Clan, während unten die Lindenstraße läuft“.

Die teuflische Affäre schwelte so hartnäckig wie ein Moorbrand. Nun also: ein harter Schnitt. Der RBB wird das Gebäude verkaufen. Radikale Verkleinerung. Natürlich nicht nur, um das emotional kontaminierte Sinnbild der Sünde loszuwerden, sondern weil der Betrieb der teils maroden RBB-Liegenschaften Millionen kostet.

Der Sender war im Ausnahmezustand. Jetzt stimmt die Richtung wieder.
Ulrike Demmer, RBB-Chefin

Zu viel, zu groß, zu teuer. Das gilt nicht nur für den RBB. Das gilt für die gesamte ARD, das ZDF und das Deutschlandradio. Seit Jahren schwelt eine komplexe Debatte über Auftrag, Legitimation, Kosten und Struktur, überschattet von immer neuen Meldungen über Raffgier, Hochmut und Machtmissbrauch.

Nun hat die Rundfunkkommission der Bundesländer ihren Entwurf für einen Reformstaatsvertrag vorgelegt. Darin steht, was ARD und ZDF in Zukunft dürfen, müssen und sollen. Ergebnis: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht vor der größten Reform seit seiner Gründung. Und sie wird schmerzhaft.

Das Papier birgt Zündstoff. Gut 20 der aktuell 72 ARD-Hörfunkprogramme sollen wegfallen, dazu knapp die Hälfte der zehn TV-Spartensender. Denkbar wären etwa ARD One, ARD alpha, ZDFinfo, ZDFneo, tagesschau24 oder auch Phoenix. Bayern hat die Zusammenlegung von Arte und 3sat ins Spiel gebracht. Am Donnerstag besprechen die Länderchefs die Pläne, dann folgt eine öffentliche Anhörung. Am 24. und 25. Oktober werden die Ministerpräsidenten in Leipzig das Papier aktualisieren. Dann müssen noch die 16 Länderparlamente zustimmen. Frühestens im Sommer 2025 kann der neue Staatsvertrag in Kraft treten.

Am Ende soll ein zukunftsfester Rundfunk mit „weniger Hörfunkwellen, weniger Spartenkanälen, weniger Apps“ stehen, wie die federführende rheinland-pfälzische Medienstaatssekretärin Heike Raab (SPD) sagte. Der Druck ist enorm.

400 Millionen für Sportrechte

Der Entwurf präzisiert auch ein altes Konfliktthema mit den Privatverlagen: die „Presseähnlichkeit“ öffentlich-rechtlicher Webseiten. Der Bezug von Texten zu einer konkreten, aktuellen Sendung muss künftig deutlicher gekennzeichnet sein als bisher. Auch eine gemeinsame Mediathek soll es geben.

Andere Knackpunkte sind dagegen noch offen: die Höhe des Rundfunkbeitrags etwa oder die Deckelung der Sportrechte-Kosten. Allein für die Übertragungsrechte im Sport geben ARD und ZDF pro Jahr etwa 400 Millionen Euro aus. Und der Rundfunkbeitrag? Das 16-köpfige, unabhängige Fachgremium, das den spektakulär bürokratischen Titel „Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten“ (KEF) trägt, hat empfohlen, den Beitrag zum 1. Januar 2025 von monatlich 18,36 Euro um 58 Cent auf 18,94 Euro pro Haushalt zu erhöhen. Das entspräche dann Gesamteinnahmen von 10,4 Milliarden Euro. Zehnkommavier Milliarden. Pro Jahr.

Dabei geht es jetzt wirklich um die Existenz
ARD-Mitarbeiter

Dagegen laufen sechs Bundesländer Sturm: Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt. In der Kakofonie der Stimmen mischen sich dabei parteipolitisches Kalkül und sachorientierter Reformwille. Schon die letzte Erhöhung mussten die Sender per Bundesverfassungsgericht durchboxen, weil sich Sachsen-Anhalt querstellte. Das war Gift für die Sympathien der Gesellschaft.

Der RBB – als Epizentrum der Erregung – dient in diesem Drama quasi als Testlabor für eine neue, schlankere ARD. „Wir räumen die Vergangenheit auf“, sagt die jetzige RBB-Chefin Ulrike Demmer (51), seit einem Jahr im Amt. Sie sitzt im 14. Stock des Fernsehzentrums, trinkt Kaffee und versucht zu erklären, wie sie die Nachwehen des Schlesinger-Traumas lindern will.

„Der Sender war im Ausnahmezustand“, sagt Demmer. „Jetzt stimmt die Richtung wieder.“ Man habe viel in Klausur gesessen. Nicht in Luxusresorts, versichert sie augenzwinkernd, sondern in „bescheidenen Gästehäusern, die an Jugendherbergen erinnern“. Eine der Erkenntnisse dort: „Großzügige Lobbys sind für die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags nicht notwendig.“ Glaubt sie, dass der Ernst der Lage in der ARD verstanden ist? „Ja.“ Punkt. Fühlt sie sich vom Rest der ARD beobachtet? „Nein.“

Zuschauer sterben weg

Es ist eine seltsame Gemengelage in diesem Mehrfrontenkampf um die Zukunft: Die Glaubwürdigkeitswerte für ARD und ZDF sind hoch, das Misstrauen in Sachen Sparsamkeit und Demut aber ebenso. Seit Jahren schon haben die Sender ein Legitimationsproblem – vor allem, weil ihre Manager lange keine Maximalbereitschaft zeigten, den Laden radikal zu sanieren. Das lag aber auch an der Politik. Nicht wenige Ministerpräsidenten erfreuen sich an der Existenz und guten Ausstattung „ihrer“ Landesrundfunkanstalt. Und so zeigte man fröhlich mit dem Finger aufeinander und überbot sich mit Reformforderungen.

Die Beharrungskräfte waren groß, doch der Handlungsbedarf ist größer. Die lineare TV-Nutzung bröckelt rasant. Bei den Jüngeren sowie bei Menschen mit Migrationsgeschichte sind ARD und ZDF praktisch unbekannt. Und die Älteren – die treuesten Nutzer – sterben weg.

Bisherige Sparbemühungen waren eher Kosmetik. ARD-Chef Kai Gniffke etwa wollte zuletzt die Social-Media-Accounts halbieren und überregionale Themen in „Kompetenzcentern“ zusammenführen („Fußpilz ist in Friedrichshafen genauso unangenehm wie in Flensburg“). Man war schon stolz darauf, dass man bei der KEF nicht noch mehr Geld verlangt hat.

Auch deshalb brodelt es – vor allem bei den Jüngeren unter den 22?085 ARD-Mitarbeitern. „Wir standen kurz vor einer Palastrevolution“, sagt einer von ihnen. Warum? „Weil viele den Eindruck hatten, dass die Älteren den Schuss noch immer nicht gehört haben. Dabei geht es jetzt wirklich um die Existenz.“

Gewiss: Viele Sender führten Hörfunk, Fernsehen und Digitales zusammen, schufen Synergien. Der NDR allein kürzte in vier Jahren gut 300 Millionen Euro. Das ist nicht wenig. Beim Blick auf die Jahresetats für ARD (7,2 Milliarden Euro), ZDF (2,5 Milliarden Euro) und Deutschlandradio (276 Millionen Euro) aber relativiert sich die Summe. Zum Vergleich: Die BBC in Großbritannien verfügt über 6,25 Milliarden Euro im Jahr, France Télévisions kommt mit 2,8 Milliarden Euro aus, die italienische RAI gar mit 2,5 Milliarden Euro – einem Viertel der deutschen Summe.

Allein für die betriebliche Altersversorgung müssen die Anstalten jährlich rund 567 Millionen Euro zurücklegen – knapp sechs Prozent ihrer Einnahmen. Die Führungselite lässt es sich noch immer recht gutgehen. ARD-Topverdiener Tom Buhrow kassierte als WDR-Intendant mit 413?000 Euro im Jahr knapp 50?000 Euro mehr als der Bundeskanzler, NDR-Intendant Joachim Knuth kommt auf gut 346?000 Euro. Allein für ihre 17 „Sportexperten“ zahlt die ARD pro Jahr 1,99 Millionen Euro, also im Schnitt knapp 120?000 Euro pro Person. Künftig sollen sich die Chefgehälter am „öffentlichen Sektor“ orientieren.

Fusion ist vom Tisch

Und das ZDF? Intendant Norbert Himmler (Jahresgehalt: 372?000 Euro) hat gerade den „größten Reformprozess seit 25 Jahren“ angekündigt. Zum Januar 2025 werde man ZDF-Geschäftsbereiche zusammenlegen, Strukturen zerschlagen und Führungspositionen fusionieren. Sein Ziel: vorauseilend Fakten schaffen vor dem Sparhammer der Politik.

Von einer Fusion einzelner Dritter Programme oder gar von ARD und ZDF ist im Papier keine Rede mehr. Diese Verschmelzung – die Tom Buhrow selbst Ende 2022 als „Privatmann“ im Hamburger Übersee-Club ins Spiel brachte – war seit Jahren ein beliebtes Planspiel vor allem jener Kreise, in denen man überzeugt ist, ARD und ZDF wollten mit volkserzieherischen Mitteln eine maximaltolerante Multikulti-Agenda durchdrücken. Dabei sind finanzielle Argumente („Zwangsgebühr!“) zumeist vorgeschoben. In Wahrheit geht es um die Verringerung vermeintlicher publizistischer Gegenmacht.

Dass es vor allem rechtskonservative bis antidemokratische Kräfte sind, die gegen den „linksgrün-versifften Rundfunk“ pöbeln, macht aber das grundsätzliche Problem nicht weniger drängend: ARD, ZDF und Deutschlandfunk sind zwar enorm wichtig für die demokratische Willensbildung – aber zu teuer. Aufbau und Struktur stammen aus der Nachkriegszeit. Auch die 16 Chöre, Big Bands und Orchester mit gut 2000 festangestellten Musikern haben ihren Ursprung in einer Zeit, als gehobene Unterhaltung noch hoheitliche Rundfunkaufgabe war.

Ein achtköpfiger, extern besetzter „Zukunftsrat“ empfahl im Januar lauter Maßnahmen, deren spektakulärste Eigenschaft die Tatsache war, dass sie nicht längst gelten. Beispiele: eine verbindliche Kosten-Nutzen-Rechnung. Eine zentrale ARD-Geschäftsführung dagegen, wie sie der Rat vorschlug, ist vom Tisch. Man wolle keine „zehnte Intendanz“ aufbauen, heißt es aus der Politik.

Prototypisch für den Mangel an Aufbruchsmut in der ARD war die Intendantenwahl Ende Juni beim WDR. Noch vor wenigen Jahren wäre Jörg Schönenborn (61) als WDR-Programmdirektor und ARD-Zahlenmann der natürliche Kandidat gewesen. Doch am Ende setzten sich weder er noch der jüngste Bewerber Helge Fuhst (40, Vizechef bei „Tagesschau“ und „Tagesthemen“) im Rundfunkrat durch, sondern die Verwaltungsdirektorin Katrin Vernau (51).

Was zeigt das? Die Zeit natürlicher Erbhöfe ist bei der ARD vorbei. Das ist die gute Nachricht. Die beherzte Radikalverjüngung aber wagen sie noch nicht. Das ist die schlechte Nachricht. Denn bei der Reform, die gerade auf ihr Finale zusteuert, geht es für ARD und ZDF um alles.