Bei seinem Gastspiel in der Kölner Philharmonie begeisterte Plácido Domingo seine Fans - trotz gelegentlicher Wackler.
Plácido Domingo in KölnGanz der Alte, es sei denn, er bröselt weg
Er hätte allen Grund und jedes Recht, sich in den Ruhestand zu verabschieden. Weit mehr als ein halbes Jahrhundert lang war Plácido Domingo auf den größten Bühnen der Welt aktiv. Als es ihm im italienischen Tenorfach langweilig zu werden begann, kamen die Wagner-Rollen dazu. Dann folgte das Dirigieren, schließlich die Administration: Als Operndirektor wirkte der Spanier in Washington und Los Angeles, bis ihn 2019 Anschuldigungen vor dem Hintergrund der MeToo-Kampagne zum Rücktritt zwangen.
Das Ende seiner Karriere war das keineswegs. Domingo kam vergleichsweise glimpflich aus der Sache heraus. Und auch jetzt, mit fast 84 Jahren, sucht er noch die künstlerische Herausforderung. Von der Schweiz über den Oman bis Chile stehen in dieser Saison Galakonzerte auf seinem Tourneekalender; allein vier Abende führen ihn an der Seite seiner Kollegin María José Siri und wechselnder Orchester in große deutsche Säle.
Hier stand ja nicht nur der Sänger Domingo auf der Bühne, sondern ein Lebenswerk
Den Anfang machte nun die Kölner Philharmonie, wo Domingo schon bei seinem ersten Auftritt mit Ovationen im Stehen begrüßt wurde. 275 Euro hatte das Publikum in der Spitze für seine Begegnung mit dem Starsänger bezahlt. Zumindest die vorderen Ränge waren restlos ausverkauft; weitgehend leer blieb dagegen die rückwärtige Chorempore. Aber klar, will man 195 Euro ausgeben, um das Charisma von Domingos silberlockigem Hinterkopf zu ergründen?
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Das philharmonische Foyerteam war an diesem Abend nicht zu beneiden: Viele Besucher mochten trotz wiederholter Abmahnungen nicht darauf verzichten, Handyfotos zu schießen und sich auf diese Weise ihre persönlichen Erinnerungen zu sichern. Natürlich gehört sich das nicht, aber es ist doch zu verstehen: Hier stand ja nicht nur ein Sänger auf der Bühne, sondern ein Lebenswerk, ja, eine ganze Epoche. Und man darf wohl die Behauptung wagen, dass etliche Musikfreunde im Saal saßen, die Domingos Karriere seit ihren Anfängen verfolgen.
Nun kann aber weder ein Lebenswerk noch eine Epoche singen - am Ende musste Domingo doch auch liefern, und das gelang ihm an diesem Abend über weite Strecken hinweg noch beeindruckend gut. Schon bei den ersten Tönen von „Nemico della patria“ aus Giordanos „Andrea Chenier“ war er da, der unverwechselbare Domingo-Sound: Erdig und viril, mit resoluter Autorität und bebender innerer Spannung. Carlo Gérard, der gescheiterte französische Revolutionär, stand in seinem verzweifelten Selbstekel ebenso plastisch da wie kurz darauf Verdis zwischen Hybris und Angst zerrissener König Macbeth. Dass Domingo irgendwann von den strahlenden Tenor-Helden zu den schwierigen Bariton-Charakteren wechseln würde, war nur folgerichtig - in der Stimme mit ihrem dunklen Bronzetimbre und der breiten Mittellage war das ja schon immer angelegt.
Domingos Stimme trägt all das auch noch, einzig die Körperstütze leistet inzwischen dem Alter Tribut
Die Stimme trägt all das auch noch, einzig die Körperstütze leistet inzwischen dem Alter Tribut. Mitunter schlingerte das Vibrato, und für manche Spitzentöne musste Domingo alle verfügbaren Ressourcen aufbieten. Aber er stand auch lange Phrasen tapfer durch, schenkte sich dabei im Ausdruck nichts und fand, wo die Musik ihn packte, zu einer Frische und Kraft, wie man sie aus seinen besten Zeiten kannte. Ganz zuhause war Domingo bei der „Zarzuela“, der spanischen Operette: Da federte ein eleganter Tanzschwung alle Leidenschaften ab, da leuchteten die Augen - und da fraß das Publikum seinem Idol nur zu gerne aus der Hand.
Mit der italienisch-uruguayischen Sopranistin María José Siri hatte sich Domingo eine Partnerin ins Boot geholt, die ihm im künstlerischen Format nichts nachstand: Eine mit schönem Metall durchwirkte Lirico-Spinto-Stimme, die in den Arien aus Puccinis „Tosca“ und Cileas „Adriana Lecouvreur“ den Saal mit entspannter Expansion füllte. Weniger überzeugend gelang den beiden die deutsche Operette: In Lehárs „Lippen schweigen“ waren die Walzerschritte des Duos weit sicherer als seine deutsche Diktion. Und im (tiefer gelegten) „Dein ist mein ganzes Herz“ bröselte Domingos Linie stellenweise weg - da konnte auch der umsichtige Maestro Jordi Bernàcer nicht viel helfen.
Ansonsten hielt der spanische Dirigent die Fäden an diesem Abend souverän zusammen. Viel Zeit zum Proben mit der Nordwestdeutschen Philharmonie dürfte es nicht gegeben haben; trotzdem gelang die Koordination in Johann Strauß’ ausgesprochen schwieriger „Fledermaus“-Ouvertüre so präzise wie gelöst. Auch in den Vorspielen zu Bellinis „Norma“ und Verdis „Attila“ machte das Herforder Orchester eine gute Figur - und ließ dazu noch in den feurigen Zarzuela-Nummern mit viel Hingabe die Kastagnetten klappern.