Krieg und Karneval – wie geht das zusammen? Der Psychologe Stephan Grünewald vom Kölner „rheingold“-Institut und der Theologe Thorsten Latzel, als Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland für viele Menschen auch eine moralische Instanz, sind sich sehr einig: Gerade in diesen Tagen, einer Wendezeit der Corona-Pandemie, sei das Bedürfnis übergroß, endlich wieder miteinander zu feiern. Und das sei nicht nur verständlich, sondern auch legitim – selbst angesichts der „Katastrophe“ eines Krieges in Europa, der – so Latzel – für uns hier gar nicht mehr vorstellbar war“.
Er halte nichts davon, moralische Erwartungen an die Menschen zu richten. „Wer in den nächsten Tagen feiern will, kann und soll das trotzdem tun – ohne schlechtes Gewissen.“ Bin ich hier und heute in Karnevalsstimmung? Möchte ich kostümiert auf die Straße gehen? Möchte ich in der Kneipe schunkeln? Das müsse jeder und jede mit sich ausmachen. Im Übrigen sei das auch „gut protestantisch“: das Individuum in seiner persönlichen Entscheidung zu stärken.
In vielen Fragen entzweit
Stephan Grünewald, der mit Büchern wie „Köln auf der Couch“ zum Erklärer und Versteher der kölschen Seele geworden ist, teilt diese Sicht aus psychologischer Warte und empfiehlt: „Wie immer diese Entscheidung ausfällt: Die anderen sollten sie akzeptieren.“ Eine Gesellschaft, die ohnehin in vielen Fragen entzweit sei, solle jetzt nicht ohne Not einen neuen Graben ausheben. „Wir geraten gerade alle miteinander schon wieder in eine kollektiven Ohnmachtssituation – mit einem Krieg, für den wir nichts können und auf dessen Verlauf wir keinen Einfluss haben. Damit besteht die Gefahr, aus der Hilflosigkeit heraus eine Verlagerung zu starten, einen Kleinkrieg an falscher Stelle zwischen feiernden Jecken und Karnevalsverächtern, die einander wechselseitig zu Feinden erklären.“ Für Latzel geht beides zusammen: Karneval feiern und um den Frieden bangen. Wichtig sei dabei nur, die Welt um einen herum nicht gänzlich zu vergessen. „Für uns als Christen kommt noch etwas Wesentliches hinzu: das Gebet für den Frieden und für die Menschen in der Ukraine.“
Dementsprechend rufen beide Kirchen zu Friedensgebeten auf. Dompropst Guido Assmann teilt mit, in allen Gottesdiensten im Dom werde ab sofort um Frieden für die Ukraine, Russland und ganz Europa gebetet. Zudem könnten die Gläubigen im Dom symbolisch eine Kerze als Friedenslicht entzünden und ihre Gedanken in ein Fürbittbuch schreiben.
Überdies sollen wie schon bei früheren Gelegenheiten die Kirchenglocken läuten – als Zeichen der Mahnung und des Gedenkens. „Die Menschen in der Ukraine sollen wissen, dass wir deutlich Stellung beziehen gegen diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und den Aggressor Putin“, sag Latzel. Das zum Ausdruck bringen, sei jetzt besonders wichtig. „Was wir an Weiberfastnacht sonst noch getan haben oder in den nächsten Tagen tun werden, ist eine eigene Frage.“
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Offiziell absagen lasse sich der Karneval ohnehin nicht. Auch da sind sich Latzel und Grünewald einig. Beide stützen damit die Position von Oberbürgermeisterin Henriette Reker. „Was brächte es, jetzt Verbote auszusprechen oder den Menschen ein Verhalten vorzuschreiben?“, fragt der rheinische Präses. „So etwas wäre weder umsetzbar noch angemessen“.
Das sieht auch Grünewald so. An die Stelle einer Absage „von oben“ trete die Möglichkeit einer „inneren Absage“, sagt Grünewald. „ Ich gehe ohnehin davon aus, dass die meisten jetzt anders Karneval feiern werden als sonst.“ Von der Entstehung her sei Karneval ein lebensbejahendes Fest, das zugleich um die Vergänglichkeit und die Begrenztheit des Lebens weiß. „Das emotionale Dreigestirn mit Trauer, Trost und Zuversicht, das im traditionellen Karneval tief verwurzelt ist, hat ein verbindendes, die Gemeinschaft stärkendes Potenzial. Das bekommt uns gut, gerade jetzt“, sagt der Psychologe. „Der Krieg wird an Aschermittwoch nicht vorbei sein. Wir werden also in der nächsten Zeit ungeheuer viel Kraft brauchen. Jeder muss schauen, wie er sich bestärkt. Das gehört zur Selbstfürsorge und zur Achtsamkeit. Genau so brauchen wir den Austausch miteinander, das Gefühl, gut aufgehoben zu sein. Das Unterhaken beim Schunkeln ist das Symbol dafür.“
Darum sei niemandem gedient mit einer Haltung: Es ist Krieg, also lso bleibe ich zu Hause und grübele. – Im Gegenteil: „Damit stärkt man sich gerade nicht für das, was vor uns liegt. Wir brauchen dafür aber einen Bestärkungs-Booster.“
Grünewald ruft in Erinnerung, dass es den Feier-Modus für die fünf tollen Tage bis Aschermittwoch in verschiedenen Variationen gibt: „Komasaufen und Grölen, bis der Arzt – oder die Polizei – kommt, ist gerade jetzt nicht sehr passend. Aber ein gemeinsames Feiern, in dem bei aller Lebensfreude auch ein Gefühl der Ergriffenheit mitschwingt, das kann den Einzelnen auch etwas geben.
Als Kriegsdienstverweigerer, sagt Grünewald, sei ihm noch die Parole „Make love not war“ vertraut. „Das passt sehr gut auch für die aktuelle Situation. Etwas zu tun, was der Kriegslogik komplett zuwiderläuft, nämlich beim Karneval feiern auf andere zuzugehen und ein Stück Verbundenheit zu erleben.“