- Der Autor und Zeit-Reporter Moritz von Uslar ist für sein neues Buch „Nochmal Deutschboden” in die ostdeutsche Provinz zurückgekehrt.
- Seine Erfahrungen vor einigen Jahren hatte er in „Deutschboden” protokolliert.
- Ein Gespräch über Ost-Klischees, Gewalt bei der Recherche, Gegensätze zwischen Ost und West und rechtes Grundrauschen sowie abfällige Bemerkungen gegenüber Flüchtlingen.
Eigentlich hätte der Autor Moritz von Uslar bei der lit.Cologne aus seinem neuen Buch „Nochmal Deutschboden. Meine Rückkehr in die brandenburgische Provinz“ lesen sollen. Abends, bei einer Schifffahrt auf dem Rhein. Für den Nachmittag war ein Interview geplant. Dann kam alles anders, das Gespräch findet am Telefon statt.Der erfahrene „Homeofficer“ hat seine bis zwölf Uhr bevorzugte Kleidung gewechselt – Pyjama und Lederschuhe. „Die Lederschuhe, um der Schlaffheit und Haltungslosigkeit des Schlafanzuges etwas entgegenzusetzen.“ 12.04 Uhr, es klingelt in Berlin, all jene, die eine Karte fürs Schiff hatten, müssen sich den vibrierenden Sound seiner tiefen Stimme hier dazu denken. „Nochmal Deutschboden“ ist als zweiter Teil des 2009 erschienen Buches „Deutschboden“ zu verstehen.
Herr von Uslar, am 12. April 2019 fuhren Sie ein zweites Mal in die brandenburgische Provinz, nach Zehdenick, in die Kleinstadt, eine Stunde nördlich von Berlin. Drei Monate dauerte Ihre Recherche. Hatten Sie im vergangenen Jahr nicht auch mal Angst, dass angesichts vieler Diffamierungen ein paar Jungs mit Schlagstöcken in Berlin vorbeikommen?
Die Jungs mit Schlagstöcken aus dem Osten, die den Reporter in Berlin erschrecken kommen, das ist schon ein ziemliches Klischee, finden Sie nicht? Ich habe jedenfalls auch deshalb ein Buch und den zweiten Teil meiner Reportage geschrieben, um einige Klischees, die über den Osten Deutschlands kursieren, durch bessere und vor allem wahre Geschichten zu ersetzen. Ganz viele Leute, die ich da getroffen habe, sind komplett friedliche, freundliche, mitteilsame Menschen. Wenn gelegentlich einer ein bisschen asozialer, ein bisschen härter rüberkommt, dann ist das okay. Im zweiten Drittel des Buches bekommt der Reporter mal eine runtergehauen, aber das war die Ausnahme.
Warum sind Sie noch mal an den Ort zurückgekehrt? Journalistisches Interesse, oder ist nichts Besseres eingefallen?
Es lag absolut nahe, dass ich noch einmal in meine Kleinstadt in Brandenburg zurückkehre. Es war ein journalistischer Auftrag, den ich mir selber erteilt habe. Einmal, weil ich die Kontakte zu den Menschen im Ort habe und weil sich Deutschland in den letzten zehn Jahren tatsächlich sehr verändert hat. Seit 2017 sitzt die AfD im Bundestag, die Sprache in diesem Land hat sich verändert. Die sich im Kleinen abzeichnenden, aber insgesamt gewaltigen Veränderungen versuchte ich aufzuzeigen. Und, ganz banal, ich hatte auch einfach Heimweh nach der brandenburgischen Provinz – Lust auf die so herrlich direkte Sprache, Lust auf die Eintopfgerichte in der Kneipe „Schröder“.
Sie hätten ja auch nach Gelsenkirchen oder nach Köln-Chorweiler fahren können. Im Norden Kölns hat die AfD bei der Europawahl 2019 mit 16,38 Prozent einen hohen Stimmenanteil erhalten.
Richtig, man hätte auch im Westen Deutschlands, in Berlin-Reinickendorf, im Schwarzwald, in Duisburg-Marxloh ausnehmend interessante Bücher recherchieren können. Wenn ich mit dem Notizblock und dem Aufnahmegerät losfahre, suche ich keine bestimmte Geschichte, auch keine spezifische Gesinnung. Das würde implizieren, dass ich mit einer vorgefertigten Meinung losfahre. Ich gehe einfach hin, stelle mich dazu, schaue zu.
Was fasziniert Sie so an der ostdeutschen Provinz? Die Ost-Ästhetik mit der Blümchen–Bettwäsche im Hotelzimmer? Oder die harte Sprache? Oder einfach die Frage, wie sich die Figuren entwickelt haben, die in „Deutschboden“ eingeführt wurden?
Die Blümchen-Bettwäsche ist kein Ost-Spezifikum. Die finden Sie so überall in der deutschen Provinz. Es geht mir nicht um Ostästhetik: Was soll das überhaupt sein? Es geht mir darum, das Deutschland der Gegenwart in der Kleinstadt aufzuspüren und mit den Mitteln von Literatur und Reportage darzustellen. Es geht mir um die Gegensätze Ost-West und Kleinstadt-Großstadt.
Das könnte Sie auch interessieren:
Wenn wir schon dabei sind: Gibt es den viel beschworenen Ost-West-Graben noch?
Ich bin kein Soziologe und kein Parteienforscher, sondern Reporter, deshalb kann ich zu überwindbaren oder unüberwindbaren Gräben wenig sagen. Aber was ich beobachtet habe, ist eine neue Ost-Identität. Vor allem bei den Jüngeren, die nach dem Mauerfall geboren sind, die die Probleme der 1990er-Jahre gar nicht so kennen. Das finde ich ein hochinteressantes Phänomen. Ihre Identität speist sich weniger durch die DDR-Geschichte, sondern durch die Lust, anders zu sein als die im Westen. Es geht gar nicht um neue Ressentiments oder neuen Hass, es geht ihnen darum zu sagen: Wir sind anders. Aber das ist positiv, das ist Quelle für viel Freude und neues Selbstbewusstsein.
Wo macht sich die neue Identität der Jüngeren sonst bemerkbar, außer auf tätowierten Schienbeinen, bedruckten T-Shirts …?
In der Art, wie sie auf Straßen, in Kneipen, auf Sportplätzen, an der Aral-Tankstelle miteinander reden. Indem sie insgesamt eine kulturelle Eigenständigkeit beschwören, wenn sie zum Beispiel von Rammstein schwärmen. Das ist Musik aus dem Osten, die ein Weltschlager ist, und das macht die Leute stolz.
Dieser Stolz prangt auch auf jeder Brust des braunen Mobs …
Das ist zweifellos so. Mir geht es in meinem Buch darum, aus den klischeehaften Zuschreibungen herauszukommen: Natürlich gibt es den braunen Mob, und der ist furchtbar. Meine Beobachtungen gelten den vielen Zwischentönen, die sich nicht in dummem Hass äußern. Und dieser neue Ost-Stolz ist eben nicht hasserfüllt, sondern ein positives Signal. Ich meine, jede zweitklassige Werbeagentur versucht doch heute, Produkte über eine regionale Identität zu verkaufen: Es gibt das gute Eifel-Brot und das Bier aus dem Chiemgau. Und die Jungs an der Aral-Tankstelle tragen eben „Ostdeutschland“-T-Shirts. Gefällt mir.
Während der Recherchen haben Sie die damalige Spitzenkandidatin der SPD für das Europaparlament, Katarina Barley, zu einer Bürgersprechstunde ins Hinterzimmer des Hotel Lorenz eingeladen. Es kamen 20 Gäste. War das nicht frustrierend?
Was soll daran frustrierend gewesen sein? Im Gegenteil, es war eine im allerhöchsten Maße aufgeladene, lebendige, von grandioser Unruhe geschüttelte Veranstaltung. Es war kein öffentlicher Abend, und die 25 Leute, die ich eingeladen habe, sind auch gekommen. Es war eine sehr heterogene Gruppe, vom langjährigen Bürgermeister über den Diakon und dem Flüchtling aus dem Iran bis zum rechten Verschwörungstheoretiker. Am Ende sprach Raul den donnernden Satz: „Das war ein Dienst an der Demokratie.“ Und noch vor wenigen Tagen schrieb mir Barley noch einmal per SMS: „Ein Abend, den ich ein Leben lang in Erinnerung behalten werde.“ Wenn eine Reportage wirklich in das Leben der Protagonisten eingriff: Gut, viel schöner geht es nicht.
Im Buch gibt es immer wieder Stellen, die den Leser schockiert zurücklassen, weil der Rechtsradikalismus genau dann um die Ecke kommt, wenn kein Mensch damit rechnet. Der Reporter zeichnet ein harmonisches Bild der Bäckerei, bis die „schöne Bäckersfrau Katharina“ auf die Straße blickt, wo ein Schwarzer vorbeiläuft, und sagt: „Was da schon wieder für ein Gesindel rumläuft, ich erkenne mein Land nicht mehr wieder“. Ist der alltägliche Rechtsradikalismus also doch allgegenwärtig?
Der Satz der Bäckersfrau ist leider ziemlich symptomatisch. Man unterhält sich ganz freundlich, und plötzlich haut jemand so einen Spruch raus. Noch einmal: Die Mehrheit der Kleinstadt pflegt einen respektvollen, ja hilfsbereiten Umgang mit den Flüchtlingen. Genauso gibt es aber immer wieder abfällige Bemerkungen, sie gehören leider zum allgegenwärtigen Ton. Das ist bedrückend. Es gibt ein rechtes Grundrauschen.
Was im Buch nicht erfolgt, ist eine Einordnung oder Wertung des Autors in Gut/ Schlecht. Ist die Haltung der Objektivität der Reportage geschuldet?
Ich gehe ganz grundsätzlich davon aus, dass der Leser selber denken kann. Ich möchte dem Leser nicht sagen, an welcher Stelle im Buch er erschrocken oder angewidert zu sein hat, das kann er selber entscheiden. Literatur, die moralisch wertet, ist schlechte Literatur. Eine Reportage, die nach jeder Szene eine Gebrauchsanweisung mitliefert, ist eine unbrauchbare Reportage. Richtig ist, dass mein Buch nicht entlastet: Es mutet dem Leser viel zu. Ich finde, mein Buch hat sogar eher das Problem, dass es an einigen Stellen zu deutlich wertet.
Zur Person
Moritz von Uslar wurde 1970 in Köln geboren. Er lebt in Berlin. Bekannt wurde er mit seinen „100 Fragen“ an Prominente (Mick Jagger, George Clooney, Hillary Rodham Clinton und andere) im SZ-Magazin. 2010 ist „Deutschboden. Eine teilnehmende Beobachtung“ erschienen. Er ist Reporter beim Zeit-Magazin. (ksta)
2009 kamen Sie als Unbekannter, bei der erneuten Recherche als längst bekannter Autor – der Film „Deutschboden“ (2014) hat Sie ebenfalls bekannt gemacht.
Die Reporterfigur ist wichtig, neben Raul, Eric und Blocky ist sie die zentrale Figur. Mein Reporter-Ich ist selbstverständlich nicht mein tatsächliches Ich, sondern ein dramatisiertes Ich, das sich stark verändert hat. Ich beobachte – und werde zurück beobachtet, das ist der Unterschied zu damals. Das versuche ich ironisch zu stilisieren, in dem ich sage: „Der Reporter war eine lächerliche Figur.“
Also in zehn Jahren wieder nach Zehdenick fahren?
Ich habe den Zehdenickern versprochen, dass ich erst in 20 Jahren für den dritten Teil zurückkehre. Das Buchcover soll dann rosafarben sein.
Rosa? Weil dann alles zart und hübsch ist?
Nein, weil wir dann senile ältere Herren sind. Da passt die Farbe.