Schriftstellerin Monika Rinck, neue Professorin für literarisches Schreiben an der KHM, über die Frage, ob man Schreiben lernen kann, den Einsatz von KI und den künstlerischen Wert von Till Lindemanns Lyrik.
Schriftstellerin Monika Rinck über Till Lindemann„Dass diese Gedichte Ramsch sind, ist klar“
Frau Rinck, viele glauben ja, Schreiben kann man oder man kann es nicht. Was lernt man, wenn man es bei Ihnen studiert?
Es ist eigenartig, dass Schreiben die einzige Kulturtechnik sein soll, wo es nur ein angeborenes Talent gibt. Was man lernt, ist ganz unterschiedlich, je nach Seminar-Typ. Ich gebe ein Theorieseminar, da lege ich Wert auf die Lektüre der Texte, aber es geht nicht darum, Expertin oder Experte für einen Autor oder eine Autorin zu werden, sondern darum, dass ich herausfinde, wie ich das, was in dem Text angelegt ist, nutzen, übertragen und umdenken kann.
Geht es auch um die Arbeit mit eigenen Texten?
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Ja, im Kolloquium stellen die Studierenden ihre eigenen Texte vor. Dann besprechen wir sie einerseits nach den Fragestellungen, die sie selbst mitbringen. Stimmt etwas nicht im zweiten Teil? Was haltet Ihr von den Figuren? Hat der Text eine gute Textrhythmik? Und wir sprechen über die Fragen, die die anderen Studierenden an den Text stellen. Mir ist wichtig, dass jede Stimme zählt und sofort gehört wird.
Was wollen Sie den Studierenden mit auf den Weg geben für ihren Berufsweg?
Ich versuche zu vermitteln, dass es nicht reicht, sich auf Verlage zu verlassen. Wenn jemand es wirklich wagen möchte, vom Schreiben zu leben, braucht es Übersetzungsarbeit, Vorträge, Radio, Lesung, Kooperation mit Museen. Es geht darum, selbst etwas auf die Beine zu stellen. Es ist relativ unwahrscheinlich, dass jemand ein Debüt schreibt und davon leben kann, auch wenn es diese Fälle gibt, wie man an Kim de l’Horizon sehen kann.
Wie nehmen Sie Köln als Literaturstadt wahr?
Die Poetica, lit.Cologne, Bettina Fischer vom Literaturhaus, die Lesereihe in der Stadtbücherei, all das ist toll. Ich würde ganz gerne eine Kooperation mit der Stadtbücherei ins Leben rufen, weil ich es wichtig finde, die umliegenden Institutionen zu berücksichtigen. Ich war schon bei einem von Bettina Fischer initiierten Netzwerktreffen, auf allen Veranstaltungen der Poetica und hoffe, dass es 2024 mit einer großen Schreibschulkonferenz klappt, die Kathrin Röggla und ich gemeinsam mit den verwandten deutschsprachigen Institutionen planen. Wir wollen sprechen über die Herausforderung der Mehrsprachigkeit, über Künstliche Intelligenz und über Partizipation von Gesellschaftsgruppen, die zu lange übersehen wurden. Wir wollen fragen, was die Verantwortung einer Schreibschule ist, und zwar insbesondere, weil sie ja wirklich an der Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis ist.
Sie sprachen gerade KI an. Sie beschäftigen sich auch mit der Frage, wie man sie für literarisches Schreiben nutzen kann. Wie könnte das aussehen?
Ich weiß gar nicht genau, was eine produktive Art und Weise wäre. Momentan ist es so, dass ChatGPT in kürzester Zeit unendlich viel mittelmäßigen Text produziert. Daran herrscht aber kein Mangel. Je stärker etwas formatiert ist, desto besser ist das Programm. Wenn man wissenschaftliche Texte in Auftrag gibt, erfindet es einfach Autoren und Autorinnen. Das ist das Gegenteil von Lernen, weil es über Wahrscheinlichkeiten funktioniert. Wenn mir etwas Peinliches passiert, würde ich versuchen, das in Zukunft zu vermeiden, um mich zu verbessern. Die künstliche Intelligenz wird das Peinliche mit hineingeben und einfach weitermischen, womöglich sogar steigern. In der Gesellschaft bereits angelegte sexistische, rassistische Strukturen werden so weiter gesteigert.
Wie kann man diesem Problem begegnen?
Man hat versucht, mithilfe von unterbezahlten Arbeitern in Kenia beispielsweise, das zugrundeliegende Sprachmaterial zu säubern. Das führt zu einer KI, die immer sagt: „Du bist im Begriff, etwas zu suchen, das meinen moralischen Kriterien nicht genügt.“ Die Summe der Sprache, diese Allmende, die allen gehört, woran alle die ganze Zeit weiterarbeiten, in der sie gute und schlechte Ideen haben, dieses riesengroße, höchstkomplexe System wird zu einem Large Language Model und in gewisser Weise privatisiert und reduziert. Das sind kapitalistische Strukturen.
Also verwenden Sie keine KI mehr?
Ich habe damit experimentiert, aber es ist meistens down, da momentan so viele Anfragen kommen. Und seit ich gelesen habe, dass das Ding innerhalb kürzester Zeit die Energiemenge einer mittelgroßen amerikanischen Stadt verbraucht, bin ich skeptisch, ob es sich lohnt, damit zu spielen. Man kann es verwenden, aber nicht als ein rein regelhaftes, funktionierendes Programm, was am Ende unbesehen etwas herausspuckt, was dann schon ein Produkt wäre, sondern vielleicht in Kooperation.
Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit der Verwendung von Sprache. Aber in der öffentlichen Debatte wird sie eigentlich meist nur dann zum Thema, wenn es um die Frage geht, ob man gendert oder nicht. Warum eigentlich?
Erstmal ist eine Stellvertreterdebatte. Man müsste das wahrscheinlich psychoanalytisch erklären. Es hat mit der Idee einer natürlichen Reproduktion zu tun, zu der nicht nur die Familie gehört, sondern stabile Geschlechtsidentitäten, die sich ganz klar als männlich und weiblich zu kennzeichnen haben und die auch sprachlich abgebildet werden. Und das soll dazu führen, dass bestimmte Gesellschaftsgruppen nicht ausscheren.
Wie geht man damit um, dass die Debatte so aufgeheizt ist?
Ich mag es ja, wenn man Sprache ernst nimmt, Sprache stellt Wirklichkeiten her. Sie ist über Hatespeech an Morden beteiligt, also unglaublich machtvoll. Aber warum ein Glottal Stop der Untergang des Abendlandes sein soll, ist mir unklar. Ich sage nicht, man muss gendern. Ich würde es allen offen lassen. Ich würde auch nicht sagen, weil du das jetzt falsch gesagt hast, bist du ein schlechter Mensch. Diese Debatte hat auch etwas damit zu tun, dass es einer bestimmten Schicht sehr leichtfällt, sich daran zu gewöhnen, und andere das als Ausschluss wahrnehmen. Das ist problematisch. Das hat sich in einer Art und Weise dramatisiert, die von der AfD genutzt wird – auch mithilfe von Friedrich Merz von der CDU.
Sie haben einmal gesagt, Sie nehmen einen gewissen Widerstand gegenüber dem wahr, was auf den ersten Blick unverständlich ist, gerade auch, wenn es um Lyrik geht. Woher kommt das?
Eine gewisse Kunstfeindlichkeit hat zugenommen. Kunst wird als elitär wahrgenommen. Das ist auch wirklich ein Problem, das man nicht einfach so abtun kann. Bei vielen hat es mit einem Gefühl zu tun, geprüft zu werden. Aber Kunst ist keine Prüfung. Es ist zunächst etwas Seltsames, von dem ich nicht genau weiß, wie es funktioniert. Ich kann es auseinanderbauen, wieder zusammenbauen und gucken, ob ich irgendetwas damit machen kann. Es kommt bei Gedichten eigentlich nicht auf das Verstehen an, das ist nicht das erste Ziel dieser Art, mit Sprache umzugehen, sonst würde man anders schreiben. Die Tatsache, dass ich etwas nicht verstehe, ist keine Kritik an meinem Verstand, sondern soll mir Möglichkeiten eines anderen Verstehens geben.
Leicht zu verstehen ist ja hingegen die Lyrik von Till Lindemann. Wie stehen Sie denn als Lyrikerin zu dessen Gedichten, über die ja kürzlich im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen ihn gestritten wurde?
Es lag alles so offen da. Die Macho-Ästhetik, das narzisstische Größen-Ich, das Frauenfeindliche. Das ist alles so erwartbar. Es ist schade, dass es dafür einen Markt gibt. Da muss keiner so tun, als hätte er es nicht gewusst. Man muss sich einfach mal eine frühe Platte anhören oder eine Show anschauen. Und dass diese Gedichte totaler Ramsch sind, ist ohnehin klar.
Monika Rinck (54) studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Religionswissenschaft und Germanistik an der Ruhr Universität Bochum, an der FU Berlin und an der Yale-University New Haven. Die Schriftstellerin verfasst Lyrik, Prosa und Essays und wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Kleist-Preis. Sie Kuratorin des internationalen Festivals Poetica an der Universität zu Köln. In diesem Frühjahr wurde sie als Professorin für „Literarisches Schreiben“ an die Kunsthochschule für Medien berufen.