Köln – Frau Zimmermann, eines Ihrer letzten Kölner Konzerte war der Abend zugunsten der Flutopfer im Juli 2013 – da haben Sie mit dem Gürzenich-Orchester unter François-Xavier Roth gespielt. Der wird nun zur nächsten Saison neuer Kölner Generalmusikdirektor. Ein guter Griff?
Roth ist in meinen Augen ein wunderbarer Musiker. Es war ein herrliches Musizieren bei dieser „Brautschau“ zwischen Orchester und Dirigent. Er hat ein großes Wissen und Können, fantastische Ohren, ein breites Repertoire. Und er hat einen wunderbar modernen Stil im Umgang mit den Musikern. Einen partnerschaftlichen Stil, weit entfernt von dem leider immer noch verbreiteten Patriarchentum. Er nimmt die Musiker auf Augenhöhe wahr, vermittelt nicht das Gefühl, über ein Herrschaftswissen zu verfügen, das er nur scheibchenweise mitteilt.
Jetzt in Ihrem Konzert am 12. April spielen Sie in der Philharmonie mit dem Ensemble Resonanz die deutsche Erstaufführung von Enno Poppes neuem Bratschenkonzert. Was haben wir zu erwarten?
Wenn ich das wüsste. Ich übe derzeit meine Solostimme, kenne aber noch nicht den Zusammenhang mit dem Orchester. Sicher: Ich kann die Partitur lesen und bin sehr gespannt auf diese Klangwelt. Da hat der Mann doch 18 Streicher – je vier erste und zweite Violinen, Bratschen, Celli und zwei Kontrabässe – und dazu vier Klarinetten solistisch besetzt. Ich kann mir das klanglich noch nicht vorstellen.
Poppes Konzert trägt den Beinamen „Filz“. Eine Hommage an Joseph Beuys?
Die Frage müsste Poppe schon selbst beantworten. Auf jeden Fall ist da halt diese dichte, verwobene Textur – und sicher auch der „wärmende“ Klang der Bratsche. Dazu liefern die Klarinetten noch eine Art Fußbodenheizung, wie er sagt. Es ist eben diese „Wärme“, die er mit Filz assoziiert.
Sie haben etliche Werke bedeutender Komponisten – darunter Ligeti und Rihm – aus der Taufe gehoben. Wie waren die denn mit Ihrer Umsetzung zufrieden?Na ja, es ist schon für einen Spieler sehr schwer, wenn ihm ein großer Meister wie Ligeti beim Einüben sagt: „Lernen Sie das noch besser, oder soll ich den Satz kürzen?“ Das war brutal und auch demotivierend. Ich hab dann aber gesagt: „Bitte nicht kürzen, ich werde noch üben.“ Poppe ist da allerdings ganz anders.
Nun sollten ja nicht nur die Komponisten mit Ihnen, sondern auch Sie mit dem neuen Werk zufrieden sein. Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, dass Sie es sind?
Das kann ich gar nicht sagen, weil ich zwei, drei Jahre zuvor eine Uraufführung unterschreibe, die Katze also im Sack kaufe.
Und wenn das Stück Ihnen dann nicht gefällt?
Dann spiele ich es halt einmal, und das war’s.
Tabea Zimmermann, geboren 1966 in Lahr/Schwarzwald, begann als Dreijährige mit dem Bratschenspiel. Studium in Freiburg (Ulrich Koch) und Salzburg (Sandor Végh). Der Gewinn mehrere Wettbewerbspreise ermöglichte ihr den Start einer Weltkarriere.
Seit 2002 ist sie Professorin an der Musikhochschule „Hanns Eisler“ in Berlin, wo sie auch lebt. Zimmermann war mit den Dirigenten David Shallon und Steven Sloane verheiratet und hat drei Kinder. Seit 2013 ist sie Vorstandsvorsitzende des Bonner Beethovenhauses.
Am Sonntag, 12. April, 18 Uhr, spielt sie mit dem Ensemble Resonanz in der Kölner Philharmonie die deutsche Erstaufführung von Enno Poppes Violakonzert sowie eine Bearbeitung von Mozarts Klarinettenkonzert. (MaS)
Aber das meinte ich: Warum spielen Sie diese neuen Stücke gerne wieder und jene nicht?
Gegenfrage: Können Sie mir in einem Satz sagen, was gute Musik ist?
Genau das wollte ich eigentlich von Ihnen hören – wobei ich weiß, dass diese Frage bei neuer Musik, wo jedes Werk seine Maßstäbe tendenziell selbst mitbringt, schwer zu beantworten ist.
Für mich ist es wichtig, dass sich eine starke künstlerische Aussage sich mit gutem Handwerk verbindet. Dass die Töne sich alleine vermitteln können. Aber noch einmal: Im Vorhinein ist das alles ganz schwer einzuschätzen. Ich hatte mal ein neues Stück vor mir, da sagte ich nach einem Blick in die Partitur: Vierfaches pianissimo für die Bratsche als Soloinstrument – das geht ja gar nicht, der hat doch keine Ahnung. Nachher hatte diese Stelle eine unbeschreiblich magisch-mystische Wirkung. Da hab ich mir gesagt: Gott sei Dank, dass ich am Ball geblieben bin.
Setzen Sie auch deshalb so stark auf die neue Musik, weil das klassische Repertoire für Bratsche, sagen wir, überschaubar ist?
Auf die Frage habe ich gewartet. Also, es gibt schon sehr viele Stücke, die man gar nicht so kennt. Und gerade im 20. Jahrhundert wurde die Bratsche aus dem Dornröschenschlaf geweckt – ich erwähne nur die Namen Debussy und Hindemith. Und inzwischen gibt es ja auch eine Spezialausbildung für Bratsche – früher war man ein Geiger, der gelegentlich auch mal zur Bratsche griff.
Haben sie angesichts des schmalen Traditionsrepertoires schon mal Ihren Beruf verflucht?
Nie. Ich liebe Musik, und ich werde immer etwas finden. Und wenn ich nicht selber spiele, unterrichte ich oder setze mich ans Klavier und spiele Schumann-Lieder.
„Dass ich zur Bratsche gekommen bin, ist in gewissem Sinne ein Zufallsprodukt“
Warum haben sie als Kind eigentlich nicht mit Violine angefangen?
Weil damals bereits meine Schwester Geige gespielt hat. Es stimmt schon: Dass ich zur Bratsche gekommen bin, ist in gewissem Sinne ein Zufallsprodukt.
Sie spielen jetzt im Kölner Konzert auch Mozarts Klarinettenkonzert als Bratschenkonzert. Wie kam’s?
Das ist eine Bearbeitung von 1802 oder 1804, die mir Christopher Hogwood vor zehn Jahren aufgequatscht hat. Ich habe mich lange gesträubt, konnte der Bearbeitung dann aber etwas abgewinnen, auch wenn einige instrumentale Unterschiede der Bratsche gegenüber der Klarinette den anonymen Bearbeiter zu Eingriffen in Mozarts Material nötigten. Aber es bleibt halt ein großartiges Stück, und ich spiele es momentan lieber als die originalen Bratschenkonzerte der Klassik, also die von Stamitz oder Hoffmeister, die dann doch gegenüber Mozart abfallen.
Sie sind derzeit Artist in Residence beim Ensemble Resonanz. Was bedeutet diese Zusammenarbeit für Sie?
Für mich ist es toll, im Orchesterbereich kammermusikalisch zu arbeiten. Das geht eben nur ohne Dirigenten – die haben ja auch keinen Chefdirigenten, sondern machen alles gemeinsam. Ich leite die Konzerte zwar vom Bratschenpult aus – nicht das Poppe-Konzert, das macht Enno selbst –, aber es ist eine echt demokratische Gruppenarbeit. Das ist eigentlich das, wofür ich stehe.
Seit kurzem sind Sie Festspielleiterin – Leiterin der neuen Beethovenwoche mit Kammermusik am Bonner Beethovenhaus. Ihre Erfahrungen?
Ich hoffe, dass ich die Dinge, die mir wichtig sind, im Beethovenhaus einbringen kann. Dieses Haus ist eine fantastische Einrichtung, und ich könnte mir keinen schöneren Ehrenjob vorstellen. Für mich persönlich, als Spielerin, kommt die Herausforderung hinzu, mich Beethoven in seiner Gänze zu stellen, also auch den späten Quartetten. Denen bin ich lange ausgewichen – ich fand sie sperrig, hatte keinen Zugang. Ich hoffe sehr, dass wir es schaffen, sowohl für Bonn als auch für die Umgebung – Köln zum Beispiel – ein kleines, feines Kammermusikfestival im herrlichen Kammermusiksaal zu gestalten. Das Beethovenhaus bietet mit der Mischung aus Museum, wissenschaftlicher Abteilung und Kammermusiksaal wunderbare Möglichkeiten, Beethovens Kammermusik intensiv zu begegnen.
Sie leben mit ihren drei Kindern seit vier Jahren in Berlin – wo Sie eine Professur an der Musikhochschule haben. Was bedeutet Berlin für Sie?
Die Stelle an der Hochschule „Hanns Eisler“ ist natürlich ein starker Grund, da zu leben. Aber das ist es nicht allein: Berlin ist eine weltoffene Stadt, in der ich mich einfach rundum wohlfühle. Es gibt da unheimlich viele Musiker und auch viele andere Künstler, es ist einfach ein tolles Klima. Momentan möchte ich in keiner anderen Stadt leben.
Das Gespräch führte Markus Schwering