Köln – Das Sondierungspapier von CDU und Grüne in Nordrhein-Westfalen darf man guten Gewissens als ehrgeizig bezeichnen, alles andere erschiene dem Wähler angesichts sich türmender Probleme etwa bei den Themen Klimaschutz, Bildung, Verkehr oder Wohnen auch erstaunlich kleinmütig. Allerdings erstreckt sich der Ehrgeiz der mutmaßlichen neuen Regierungskoalition anscheinend nicht auf die Kultur. Jedenfalls werden beim Blättern im Sondierungspapier beinahe Erinnerungen an Zeiten wach, in denen sich kulturelle Belange als Bestandteil eines Sammelsurium-Ministeriums wiederfanden.
Auf die Kultur entfallen ein Absatz und 68 Wörter
Auf Seite acht des Papiers findet sich der Stichpunkt Kultur in Gesellschaft von Wissenschaft, Medien, Sport und Ehrenamt wieder. Auf die Kultur entfallen dabei genau ein Absatz und 68 Wörter. Weniger Aufmerksamkeit erhalten lediglich Sport und Ehrenamt. Wir zitieren im Wortlaut und in Gänze: „Um kulturelle Teilhabe für alle zu sichern, von Stadt bis Land, von Hochkultur bis Popkultur, werden wir den Kulturetat deutlich erhöhen. Das Konzept der Dritten Orte wollen wir ausweiten, um Kultur in der Fläche erlebbar zu machen. In der Corona-Krise haben wir erlebt, wie wichtig die soziale Absicherung von Künstlerinnen und Künstler ist, diese wollen wir weiter ausbauen. Wir bekennen uns zu einer aktiven Erinnerungskultur und unterstützen diese.“
Ist dies ein Zeichen von Geringschätzung oder von mangelndem Klärungsbedarf? Gut möglich, dass CDU und Grüne glauben, auch ohne abgesteckte Marken gut durch die kulturpolitischen Verhandlungen zu kommen. Der erste Satz des Sondierungspapiers spricht dafür, dass der aktuelle Stand unter erschwerten, weil pandemischen Rahmenbedingungen erhalten werden soll: „Um kulturelle Teilhabe für alle zu sichern (…), werden wir den Kulturetat deutlich erhöhen.“
Wofür der erhöhte Kulturetat ausgegeben werden soll, bleibt hingegen weitgehend offen. Genannt werden das Projekt der „Dritten Orte“, also die Unterstützung von Kultur- und Begegnungsstätten im ländlichen Raum, und die finanzielle Absicherung von Künstlern, die oftmals unter prekären Verhältnissen arbeiten müssen – auch in diesem Bereich hatte die Corona-Pandemie eine bestehende Notlage lediglich verschärft. Das Bekenntnis zur „aktiven Erinnerungskultur“ wiederum gehört zum Standardbausatz von Koalitionsvereinbarungen, schließlich geht es dabei im Wesentlichen um den Erhalt von Gedenkstätten, in denen an die Verbrechen der NS-Zeit erinnert wird.
Ein möglicher Streitpunkt ist der Denkmalschutz
Misst man die zukünftige NRW-Kulturpolitik am Sondierungspapier, mangelt es also nicht an Geld, dafür aber an neuen Ideen und am Willen, alte Ideen (wie freier Eintritt in Museumssammlungen) auf höchster Ebene zu diskutieren. Über die parteipolitischen Verhandlungen auf der Fachebene muss dies freilich gar nichts heißen, zumal die aktuelle NRW-Kulturpolitik unter Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen beinahe durchweg gute Noten erhält – insbesondere bei den Corona-Hilfen braucht sie den Ländervergleich nicht zu scheuen.
Die parteilose Pfeiffer-Poensgen gilt daher als natürliche Kandidatin für die eigene Nachfolge. Gegen sie spricht allenfalls, dass sie von Armin Laschet ins Amt geholt wurde und in der CDU über keine Machtbasis verfügt. Im parteipolitischen Verteilungskampf um Ministerien könnte sie dadurch zur idealen Streichkandidatin werden – freilich sollen die Grünen dem Vernehmen nach keine gesteigerten Ambitionen auf das Amt hegen.
Der beim Bauministerium angesiedelte, eigentlich zur Kultur gehörende Denkmalschutz taucht im Sondierungspapier überhaupt nicht auf. Allerdings sollen die Grünen die hoch umstrittene, kurz vor Ende der letzten Legislaturperiode beschlossene Novelle des Denkmalschutzgesetzes äußerst kritisch sehen. Aktuell stehen zum Bauen vor allem Erleichterungen und Beschleunigungen in der Vereinbarung, was Befürchtungen, eine CDU-geführte Landesregierung sehe im Denkmalschutz vornehmlich Erschwernisse und Bremsklötze, sicherlich nicht entkräften wird.
Ähnliches gilt für den Grundsatz „Innen vor Außen“, also der bevorzugte Ausbau bereits erschlossener Stadtflächen gegenüber Erschließungen auf der grünen Wiese. Der Investitionsdruck etwa auf zeittypische innerstädtische Bauten aus den 1950er Jahren könnte dadurch weiter steigen.