Ein anstrengendes, oftmals bedrückendes Jahr 2022 ist zu Ende. Den Glauben an die Zukunft müssen wir uns im neuen Jahr aber bewahren.
Kommentar zum neuen JahrAbschied von einem goldenen Zeitalter
Die Jahreswende liegt hinter uns. Doch in der „Zeitenwende“ sind wir noch mittendrin. 2023 wird das Jahr sein, in dem sich entscheidet, was uns mit dem vielzitierten Begriff des Bundeskanzlers gesagt sein soll: Gelingt es uns als Gesellschaft, die Zumutungen anzunehmen, mit denen uns die Geschehnisse des vergangenen Jahres konfrontiert haben?
Auch wenn wir über 2022 hinweg sind, ein anstrengendes, oftmals bedrückendes, manchmal auch irrwitzig anmutendes Jahr – seine Herausforderungen bleiben. Für viele in Deutschland ist die Erkenntnis, dass alte Gewissheiten nichts mehr gelten, ein bleibender Schock. Es ist, als wäre ein goldenes Zeitalter zu Ende gegangen – mit all seinen Segnungen wie niedrigen Zinsen, günstiger Energie, stabilem Wachstum und stetig steigendem Wohlstand.
Noch vor einem Jahr sah es danach aus, als würde uns all das erhalten bleiben. Die Corona-Krise schien im Großen und Ganzen bewältigt zu sein. Nun könne man sich mit voller Kraft dem Kampf gegen den Klimawandel als größter globaler Herausforderung widmen. Doch dann zettelte Wladimir Putin seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine an und warf Europa, ja die gesamte westliche Welt zurück in ein Polykrisen-Szenario.
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Krieg gegen die Ukraine: Die Welt brennt
Die in den westlichen Demokratien verbreitete Annahme, dass die Welt Schritt für Schritt wohlhabender und damit moderner, liberaler und demokratischer werden würde, hat sich als Trugschluss erwiesen. Es ist nun völlig unklar, wie es weitergeht und welche Rolle China, Indien oder die Golfregion in einer veränderten Weltordnung künftig spielen werden. Und welche geopolitischen Auswirkungen das auf Deutschland haben wird.
Wir sind, wie Außenministerin Annalena Baerbock es am Tag des Kriegsbeginns formulierte, tatsächlich „in einer anderen Welt aufgewacht“. Sie brennt nun an vielen Ecken und Enden gleichzeitig.
In Berlin musste die Ampel schon wenige Monate nach dem Beginn der Regierungsarbeit in den Notbetrieb umschalten. Es geschahen Dinge, die zuvor schier unvorstellbar gewesen wären: Ein liberaler Finanzminister stimmte 300 Milliarden Euro neuen Schulden in der Form von „Sondervermögen“ zu. Ein grüner Wirtschaftsminister fuhr nach Katar, um sich dort für Gaslieferungen krumm zu machen. Ein sozialdemokratischer Kanzler brachte ein 100-Milliarden-Sonderprogramm für die Aufrüstung der Bundeswehr auf den Weg.
Jetzt kommt es darauf an, den Wandel nicht nur zu verwalten, sondern zu gestalten. Das erfordert Mut, Überzeugungskraft und Zutrauen. „Ich kann nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird“, hat der Aufklärer, Naturforscher und Schriftsteller Georg Christoph Lichtenberg in einem seiner berühmten Aphorismen formuliert. „Aber so viel kann ich sagen: Es muss anders werden, wenn es gut werden soll.“
Das muss das Ziel aller Politik sein: eine gute, eine bessere Zukunft. Die deutsche Politik - allen voran Bundeskanzler Olaf Scholz mit seiner Regierung - muss viel genauer als bislang angeben, welchen Weg unser Land einschlagen soll, welchen Platz es in der Welt nach der Zeitenwende einnehmen soll.
Deutschland steht dabei vor einem umfassenden Umbau. Die in der Ära Merkel entstandenen Defizite in der Energie-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik sowie bei der Digitalisierung oder der Mobilität müssen behoben werden. Zugleich muss die Bundesregierung Mittel und Wege finden, die einerseits die Folgen des Krieges mindern und andererseits ein nachhaltiges Wirtschaften hin zur Klimaneutralität fördern. Statt auf Alleingänge zu setzen oder mit dem moralischen Zeigefinger auf andere zu zeigen, sollte die Bundesregierung sich als Treiber in der EU verstehen und die europäischen Nachbarn bei wichtigen Themen wie der Energiebeschaffung mitnehmen.
2023: Gute Vorsätze sind systemrelevant
Zukunftsgestaltung ist aber keine Aufgabe, die sich delegieren lässt. Wenn 2023 nicht das Jahr einer großen gesellschaftlichen Zerreißprobe werden soll, sind wir alle gefragt: Welche ausgetretenen Pfade müssen wir verlassen? Von welchen Gewohnheiten müssen wir uns verabschieden? Worauf können wir verzichten? Die sprichwörtlichen guten Vorsätze an Neujahr sind – so gesehen – für 2023 systemrelevant.
Dabei wird es wichtig sein, nicht in Resignation und Fatalismus zu verfallen, sondern sich den Glauben an die Zukunft zu bewahren. Mit Lichtenberg gesprochen, soll es doch schließlich „gut werden“. Eine generelle Zukunftsskepsis verstellt allzu leicht den Blick auf die Chancen und Möglichkeiten, die sich uns bieten. Das ist auch die Gefahr einer verbissenen Gegenwartskritik mit Schuldzuweisungen, wie sie sich in den so spektakulären wie fragwürdigen Aktionen der Klimabewegung „Letzte Generation“ artikulieren.
Wir brauchen als Gesellschaft den Ruck, nicht aber den Riss. Wir brauchen das aufrüttelnde Moment, aber kein Schütteltrauma. Gerade in der Krise kommt es darauf an, die Binde- und Gestaltungskräfte zu stärken. Und es wäre falsch, an den Krisen zu verzweifeln. Nichts zeigt das besser als Putins Krieg. Er hat die USA, Europa und viele andere Länder neu zusammengeführt und zu einem gemeinsamen Handeln veranlasst. Mit westlicher Hilfe widersteht die Ukraine der verbrecherischen Aggression. Ohne den Glauben an ein gutes Ende und eine bessere Zukunft wäre das kaum möglich.