Zwei Männer aus dem Iran sind verdächtig, im Ruhrgebiet einen Terroranschlag geplant zu haben, einer von ihnen war den Behörden bereits bekannt und sogar verurteilt: wegen versuchten Mordes.
Anti-Terror-Einsatz in Castrop-RauxelVerdächtiger war wegen versuchten Mordes verurteilt
Nach der Festnahme der Brüder M. J., 32, und J. J., 25, in Castrop-Rauxel entdeckten die Staatsschützer auf Handys kompromittierende Nachrichten und Suchverläufe. Demnach sollen die sunnitischen Iraner sich nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ darüber unterhalten haben, was man zum Bau einer Bio-Bombe braucht. Mithilfe der beiden hochtoxischen Substanzen Rizin und Cyanid, so der Verdacht, wollten die beiden mutmaßlichen Anhänger der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) zahlreiche Menschen töten.
Die verräterischen Hinweise nach einer ersten Auswertung reichten der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf zufolge aus, um am Sonntag beim Amtsgericht zwei Haftbefehle zu erwirken. Es geht um die Verabredung zu einem Verbrechen. In diesem Fall um Mord.
Keine weiteren Beweise gefunden
Nach dem Hinweis eines Nachbarn durchsuchten am Montag Einsatzkräfte in ABC-Schutzanzügen zwei Garagen. Dabei fanden sich nach Angaben eines Behördensprechers keine weiteren Beweise, auch nicht dafür, dass die Beschuldigten von außen gelenkt wurden oder einer Terror-Zelle angehörten.
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Weitere Ermittlungen müssen das Ausmaß etwaiger Anschlagspläne klären. Die Staatsschützer wollen den Angaben zufolge das Motiv des vermuteten Terrorkomplotts aufschlüsseln sowie klären, wer von den Brüdern die maßgebliche Rolle bei der Vorbereitung spielte.
Biografien passen kaum zu militanten Islamisten
Die bisherigen Erkenntnisse zur Vita der zwei Beschuldigten werfen mehr Fragen auf, als sie Antworten liefern. Keine der beiden Biografien will zu einem militanten Islamisten passen.
Beide reisten während der Flüchtlingskrise 2015 nach Deutschland ein. M. J., der ältere Bruder, gab 2016 an, er sei zum Christentum konvertiert und habe deshalb flüchten müssen. Daraufhin erhielt er einen dreijährigen Aufenthaltsstatus, der erneut verlängert wurde. Bislang fand sich der 32-jährige Iraner nicht auf dem Radar der Staatsschützer.
Wegen versuchten Mordes verurteilt - und bei der Festnahme nicht frei
Der jüngere Bruder ist wegen eines Tötungsdelikts aktenkundig. Im Januar 2019 wurde J. J. zu sieben Jahren wegen versuchten Mordes verurteilt. Seinerzeit galt der Iraner als Alkoholiker. Schwer angetrunken fand er auf einer Brücke über die Autobahn A 45 einen Stapel Holz aus Baumfällarbeiten. Der Delinquent griff einen 2,60 Meter großen Ast und schleuderte ihn 17 Meter in die Tiefe auf die Fahrbahn. Ein Wagen wurde getroffen, die Fahrerin kam mit leichten Verletzungen davon. Das Gericht stellte im Januar 2019 eine verminderte Schuldfähigkeit zum Tatzeitpunkt wegen erheblichem Alkoholkonsums fest.
Nach anderthalb Jahren Haft kam J. J. in die geschlossene Abteilung einer Entzugsklinik. Zuletzt war er in Hagen untergebracht. Dort gab sich der Verurteilte unauffällig, so dass die Ärzte Lockerungsmaßnahmen verfügten. Fortan durfte er etwa bei seinem Bruder am Wochenende übernachten.
Keine Hinweise auf radikal-islamische Gesinnung
Laut Henner Kruse, Sprecher der Staatsanwaltschaft Dortmund, die als Strafvollstreckungsbehörde im Fall des Iraners fungierte, gab es keine Hinweise auf eine radikal-islamische Gesinnung. „Der Mann zeigte keine Auffälligkeiten.“ Was aber trieb die beiden Brüder an, sich dem Dschihad zu verschreiben?
28.000 Islamisten zählen die Sicherheitsbehörden hierzulande, gut 520 Gefährder listet das BKA derzeit, weit mehr als im links- und rechtsextremistischen Spektrum zusammen. Im Vergangenen Juli konstatierte die „Welt“, dass die Terrorismus-Abteilung der Bundesanwaltschaft seit 2020 knapp 95 Prozent der 800 Verfahren gegen Islamisten führt.
In den vergangenen sechs Jahren verzeichnet das Bundesamt für Verfassungsschutz zehn Anschläge in Deutschland. Dabei ragte das Attentat des tunesischen IS-Mitglieds Anis Amri auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz 2016 mit elf Toten heraus.
In 21 Fällen wurden Terrorattacken durch militante Muslime vereitelt. Ein großer Teil durch Hinweise ausländischer Partnerdienste vor allem aus den USA. So auch auf den Rizin-Bomber Sief Allah H., der 2018 in Köln aufflog. Die NSA setzte seinerzeit die deutschen Kollegen ins Bild.
Reul moniert Abhänigkeit von ausländischen Infomationen
Vor dem Hintergrund kritisierte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) im ZDF-Morgenmagazin, das Deutschland im Vergleich zu Frankreich, England, den Niederlanden oder den USA völlig abhängig ist bei der Verbrecherjagd im Netz. Trotz eines Urteils des Europäischen Gerichtshofes tue sich die Bundesregierung weiterhin schwer, eine neue Regelung zur Vorratsdatenspeicherung zu schaffen. „Anstatt das einfach mal umzusetzen, wird in Berlin rumgehampelt, und es kommt dabei nichts raus", moniert Minister Reul.
Bisher müssen die Provider keine Daten über IP-Adressen vorhalten. Nur über diese Accounts können die Ermittler häufig Kinderporno-Netzwerke oder Terrorpläne enttarnen. Laut BKA-Chef Holger Münch gehen vor allem aus den USA jährlich zirka 120.000 Hinweise zum Bereich Kinderpornografie ein. Derzeit erreiche man eine Erfolgsquote von 75 Prozent der Fälle, 90 Prozent wären aber mit der Vorratsdatenspeicherung möglich, so Münch.
Die US-Bundespolizei FBI hatte die deutschen Behörden bereits in den Weihnachtstagen über die Terrorpläne der beiden Tatverdächtigen unterrichtet. Demnach sollen die Brüder das Attentat an Silvester geplant haben, da offenbar aber noch einige Utensilien für den Bombenbau fehlten, wartete man noch ab.
Zu Beginn der Nachforschungen war nicht klar, in welchem Bundesland die Terrorverdächtigen lebten. Nach tagelangen Ermittlungen informierte das Bundeskriminalamt (BKA) am Samstagmorgen die Düsseldorfer Generalstaatsanwaltschaft, dass die Spur nach Castrop-Rauxel führte. Kurz vor Mitternacht erfolgten die Festnahmen der beiden Brüder.