- Die Düsseldorfer Polizei steht in der Kritik, weil die Beamten einen 15-jährigen Jugendlichen bei einem Einsatz mit körperlicher Härte auf dem Boden fixierten.
- NRW-Innenminister Herbert Reul zeigte sich erschreckt von dem Durchgreifen, verteidigte aber auch körperliche Härte im Einsatz.
- Die Situation ist komplex. Kritiker sehen Parallelen zu dem gewaltsamen Tod des US-Amerikaners George Floyd.
- Was wir über den Fall wissen und wie ein Experte das Eingreifen beurteilt. Die Analyse.
Düsseldorf – Die Bilder wirken verstörend. In der Düsseldorfer Altstadt liegt am Samstagabend ein Jugendlicher im roten T-Shirt am Boden, zwei Polizisten versuchen ihn zu fixieren. Das Bein eines Beamten drückt den Kopf oder den Hals hinunter. Es sind Rufe zu hören: „Hol' man dein Knie runter... Bruder, das ist nicht lustig.“ Der Polizist bewegt das Knie ein kleines Stück, um den jungen Mann besser kontrollieren zu können. Die Szene erinnert an George Floyd, den Afroamerikaner, der erstickt war, als ihm ein US-Polizist vor zwei Monaten in Minneapolis bei der Festnahme mit einem Bein die Luft an der Kehle abdrückte. Und nun Düsseldorf.
Kurze Videos von der gewaltsamen Festnahme kursieren seit dem Wochenende im Netz. Die Aufnahmen deuten an, dass nicht nur in den USA die Polizei ihre Delinquenten bei der Festnahme mit überzogener Gewalt überzieht, sondern auch in Deutschland. Erneut löst eine brutale Szene, diesmal aus der Düsseldorfer Amüsiermeile, Kritik an den Polizeibehörden aus.
Achtung: Das Video zeigt den kritisierten Polizeieinsatz. Die Szene kann auf Personen verstörend wirken.
Die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Verena Schäffer, forderte denn auch, dass die „Hintergründe für den Einsatz in Düsseldorf vorbehaltlos aufgeklärt werden müssen. Aus meiner Sicht kann diese Form der Fixierung bei einer bereits auf dem Boden liegenden, fixierten Person nicht verhältnismäßig sein.“
NRW-Innenminister Reul über Bilder erschrocken
NRW-Innenminister Herbert Reul hat aus Neutralitätsgründen die Duisburger Polizei mit den Ermittlungen in dem Fall beauftragt. Auf den ersten Blick habe er sich erschrocken, „als ich die Bilder sah“, gestand der CDU-Politiker. Zugleich stellte er klar, dass er den Einsatz in keiner Weise rechtfertigen, „aber auch nicht vorschnell verurteilen will“. Zunächst einmal gelte die Unschuldsvermutung für den betroffenen Beamten. Körperliche Gewalt durch Polizisten sei keineswegs per se rechtswidrig, wie manche glaubten, sagte Reul, „sondern oft angebracht, zulässig und zwingend erforderlich.“ Ob dies hier auch der Fall ist, sollen die Ermittlungen erweisen. Der betroffene Beamte, ein 29-jähriger Polizeikommissar, zumindest wurde vorläufig in den Innendienst abgeordnet, bis die Nachforschungen abgeschlossen sind.
Die Hintergründe des Polizeieinsatzes liegen nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ weitaus komplexer. Demnach zeigen die Videos nur einen Bruchteil der gesamten Festnahmeaktion, die wohl drei Minuten dauerte. Auch spart die Aufnahme viele Faktoren des Geschehens aus.
Nach Recherchen dieser Zeitung in Justizkreisen soll sich Folgendes zugetragen haben: Gegen 19 Uhr erhielt die Altstadtwache einen Einsatz am McDonalds-Restaurant. Zehn junge Randalierer warfen im Außenbereich mit Tischen und Stühlen um sich. Als die Streife eintraf, erfolgten Personalkontrollen. Sechs junge Männer erhielten Platzverweise. Als sich einer weigerte zu gehen, wies ihn der 29-jährige Polizeikommissar in seine Schranken und schickte ihn fort.
15-Jähriger soll versucht haben, Polizisten ins Gesicht zu schlagen
Daraufhin mischte sich der 15-jährige Deutsch-Marokkaner Ali M. (Name geändert) ein. „Packt ihn nicht an“, brüllte der Jugendliche, der wegen Körperverletzung und Diebstahl polizeilich bekannt ist. Dann versuchte er sein Gegenüber mit der Faust im Gesicht zu treffen. Die Streifenbeamten bugsierten den Teenager daraufhin an eine Wand. Erfolglos verlangten sie nach seinen Papieren. Einzig eine AOK-Krankenversicherungskarte förderte die Durchsuchung seiner Kleidung zutage. Den Vorschlag, freiwillig aufs Präsidium zur Feststellung der Identität zu folgen, lehnte Ali M. ab. Als die Beamten ihn darauf hinwiesen, ihn in dem Fall fesseln zu müssen, soll er lapidar erwidert habe, „dann müsst Ihr mich fesseln“. Dabei soll er die Polizisten immer wieder als „Hurensöhne“ beschimpft haben. Er riss seine Hände zurück, als man ihm Handfesseln anlegen wollte. Daraufhin brachte ihn der Polizeikommissar mit einem Griff zum Kopf zu Boden. Im Polizeijargon heißt das „Karpfentechnik“.
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All dies ist nicht auf dem Video zu sehen. Die Aufnahme beginnt erst, als ein Beamter mit seinem Bein den Kopf oder den Hals des Festgenommenen herunterdrückt. Die Unterschiede sind gravierend. Laut Innenminister Reul sind Fixierungen des durch Knochen geschützten Kopfes durch polizeiliche Einsatztechniken gedeckt. Attacken auf den Hals sind strikt verboten. Auf dem Video ist nicht klar erkennbar, wohin der Zugriff mit dem Bein des Polizeibeamten ging. War es der Hals oder der Kopf?
Beamte wähnten sich offenbar in bedrohter Lage
Offenbar wähnten sich die Beamten in einer bedrohlichen Lage. Es hatten sich etwa 30 Schaulustige um das Geschehen versammelt, die Hälfte filmte den Vorgang, die andere Hälfte johlte oder gab Kommentare ab. Die beiden Streifenbeamten forderten umgehend Verstärkung an.
Erst als die Hilfe erschien, konnte der 15-jährige Schüler unverletzt auf die Wache verfrachtet werden. Dort erschien sein Vater, der die Polizisten dann gefragt haben soll, ob sie seinen Sohn nicht zwei Wochen länger im Gewahrsam behalten wollten. Christoph Arnold, Anwalt des in Verdacht geratenen Polizisten, betont, dass es sich um einen „absolut korrekten Einsatz gehandelt hat. Um den Widerstand des jungen Mannes zu brechen, war die angewendete Kopftechnik als Einsatzmittel ohne Zweifel gerechtfertigt.“ Arnold spricht von einem „vorbildlichen Einsatzverlauf“.
Da das belastende Video weder die Vorgeschichte des Ereignisses noch den Zeitpunkt dokumentiert, an dem der Kommissar sein Bein von Ali M. nimmt, werten die Ermittler nun die Überwachungskameras in der Düsseldorfer Altstadt aus, um sich ein tatsächliches Bild von den Vorgängen zu machen. Der NRW-Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Michael Mertens, stellte sich zunächst hinter die Beamten: „Polizeiliches Handeln ist rechtsstaatlich überprüfbar – und niemand darf vorverurteilt werden. So muss auch der ganze Sachverhalt rechtsstaatlich untersucht werden.“ Dazu reiche keine kurze Videosequenz.
Polizei-Experte über die Eingriffstechniken der Beamten
Techniken, mit denen sich die Polizei in der Aus- und Fortbildung auf die Festnahme von Personen oder zur Abwehr tätlicher Angriffe vorbereitet, beschreibt Victor Ocansey vom Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei – Ocansey legt Wert darauf, mit dieser Beschreibung keine Bewertung des konkreten Polizeieinsatzes in Düsseldorf vorzunehmen: „Die vermittelten Techniken zur Fixierung einer Person am Boden beinhalten keine punktuelle beziehungsweise direkte Belastung von Wirbelsäule, Hals oder Nacken. Eine massive Einwirkung auf wichtige Blut- und Nervenbahnen könnten gerade in der Bodenlage eine Gefahr für Leib und Leben hervorrufen.
Bei der Fixierung einer Person in Bodenlage, die bereits Widerstand geleistet hat oder diesen sogar noch fortsetzt, wird mit dem Knie oder dem Schienbein die gegenüberliegende Schulter belastet, um ein Aufstehen der zu fixierenden Person zu erschweren oder zu verhindern. Nur bei weiter andauerndem Widerstand, insbesondere bei körperlich überlegenen Personen, kann es erforderlich sein, mit dem Schienbein oder dem Knie auf die knöcherne Struktur eines seitlich liegenden Kopfes (auf dem Ohr oder dem Kieferknochen) einzuwirken, um den Widerstand zu brechen. Mögliches Fehlverhalten von Polizistinnen und Polizisten kann strafrechtliche oder disziplinarrechtliche Ermittlungen nach sich ziehen. Ermittlungen und daraus folgende Konsequenzen richten sich immer nach dem Einzelfall.“