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Virologe und Heinsberg-ExperteWie Hendrik Streeck mit der harschen Kritik umgeht

Lesezeit 6 Minuten

Bekam für seine Studie viel Gegenwind: Hendrik Streeck

  1. Hendrik Streeck, Virologe der Universität Bonn, ist der Stichwortgeber für die aktuelle Lockerungspolitik in Sachen Corona.
  2. Besonders für die Politik von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet ist er außergewöhnlich wichtig.
  3. Wer ist der 42-Jährige? Und wie geht er mit der harschen Kritik um? Ein Porträt.

Kaum war Hendrik Streeck nach Bonn gezogen, brach die Corona-Pandemie aus. Der 42 Jahre alte Virologe hatte den Infektions-Hotspot der Republik fast vor der Haustür: Nach der „Kappensitzung“ des örtlichen Karnevalsvereins kam es am 15. Februar in Gangelt im Kreis Heinsberg zu einer massenhaften Ausbreitung des Virus. Ein Glücksfall für den Wissenschaftler Streeck. In Bonn ist er Nachfolger von Christian Drosten. Streecks Schwerpunkt liegt auf der HIV-Forschung. Unter seiner Leitung arbeitet das Institut unter anderem an der Entwicklung eines Impfstoffes gegen die Krankheit.

1977 in Göttingen geboren, wuchs er in einer Familie von Wissenschaftlern auf: Seine Mutter, Annette Streeck-Fischer, ist Kinder- und Jugendpsychiaterin und lehrt als Professorin in Berlin, sein Vater Ulrich Streeck ist Psychiater und Soziologe und lehrte an der Universität in Göttingen, sein schon verstorbener Onkel Rolf-Eberhard Streeck war Molekulargenetiker an der Universität in Mainz. Streeck wollte eigentlich schon früh Forscher werden. Seine Talente lagen aber auch auf anderem Feld, er ist ein begabter Musiker. Sein Weg verlief daher zunächst anders, als man es vielleicht annehmen würde. Streeck studierte nach dem Abitur zunächst Musikwissenschaft und Betriebswirtschaftslehre in Berlin. „Ich wollte Filmkomponist wie Hans Zimmer werden. Doch das konnte man Ende der neunziger Jahre noch nicht studieren“, sagte er der F.A.Z. Sein Weg führte ihn dann doch in eine andere Richtung, er wurde Virologe. Und nur so konnte er bundesweit Bekanntheit erlagen.

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Gangelt, diese Stadt wurde für ihn Fluch und Segen zugleich. Streck unterstützte auf Bitten des Kreisgesundheitsamts in Heinsberg die Diagnostik und wenig später schon mit seiner Heinsberg-Studie zum Infektionsgeschehen begann. „Das Interesse war riesig“, sagt Streeck, „und wir wollten auch transparent arbeiten. Darum haben wir auch von Anfang an gesagt, wir legen noch vor Ostern erste Zwischenergebnisse vor.“ Die vergangene Zeit sei jedoch belastend, erzählte Streeck. Die Kritik sei nicht spurlos an ihm vorübergegangen. In ihrer Schärfe und Härte hat sie ihn aber auch ein Stück weit überrascht.

„Welche Schlüsse aus den Studienergebnissen gezogen werden, hängt von vielen Faktoren ab, die über eine rein wissenschaftliche Betrachtung hinausgehen“, so Streeck zur F.A.Z. „Die Bewertung der Erkenntnisse und die Schlussfolgerungen für konkrete Entscheidungen obliegen der Gesellschaft und der Politik“, sagt er.

Drosten ärgert sich

Der Virologe Christian Drosten sendete am Dienstag bereits seine 40. Ausgabe beim NDR-Podcast. Thematisiert wurden auch die Unwahrheiten rund um die Pandemie, die sich im Internet rasant verbreiten.

Zuletzt hatte Drosten wie zahlreiche andere Wissenschaftler und Mediziner einen offenen Brief unterschrieben, der vor den Folgen bewusster und unbewusster Falschinformationen in sozialen Medien warnt. Vor einer weltweiten „Infodemie“ wurde gesprochen, verursacht durch Fake News bei Facebook, Twitter und YouTube. „Es lässt sich kaum noch zusammenfassen, was in den sozialen Medien kursiert“, sagte Drosten nun im Podcast: „Häufig in Form von Videos, die zum Teil Millionen von Abrufen haben und voller Unsinn sind. Voller falscher Behauptungen, die überhaupt nicht fundiert sind. Von Personen, die sich dann auf ihre medizinische Ausbildung berufen. Das sind zum Teil Ärzte, Professoren sind auch dabei, die irgendeinen Quatsch in die Welt setzen und nie in ihrem Leben an diesen Themen gearbeitet haben. Denen man dann aber glaubt, anhand ihrer akademischen Qualifikationen.“ (red)

„Wir haben jetzt erstmals einen exakten Wert zur Infektionssterblichkeit nachgewiesen. Endlich können wir unsere Hochrechnungen präzisieren“, freute er sich nach Veröffentlichung der Studie. „Die Virendosis kann dabei eine entscheidende Rolle spielen, wie schwer der Krankheitsverlauf ist.“ Noch nichts sagen könne man über die Ansteckungsgefahr beispielsweise vom Kind auf einen Erwachsenen. „Fest steht aber: Wenn ein infiziertes Kind im Haushalt wohnt, wird ein Elternteil erkranken“, erklärte der Virologe. Aber, so eine überraschende Erkenntnis der Studie, je größer der Haushalt, desto geringer sei die Infektionsquote.

In Deutschland könnten sich möglicherweise 1,8 Millionen Menschen mit dem Coronavirus infiziert haben, lautete eines der Ergebnisse der Studie. Dies ergebe eine Schätzung auf der Grundlage einer Modellrechnung, teilte die Universität Bonn mit. Ein führender Epidemiologe äußerte sich zurückhaltend. Andere übten offen Kritik.

Die Forscher um Streeck zogen für ihre Schätzung die Dunkelziffer der Infizierten in der untersuchten Gemeinde Gangelt im Kreis Heinsberg und die dort errechnete Sterblichkeitsrate bei einer Corona-Infektion heran. Die Forscher gehen davon aus, dass in Gangelt 0,37 Prozent der Infizierten gestorben sind. Allerdings flossen in die Berechnung der Sterblichkeitsrate nur sieben Todesfälle ein.

Aus diesen Daten errechneten sie eine theoretische Zahl für Deutschland. Das funktioniert im Prinzip so: Die Forscher gehen davon aus, dass in ganz Deutschland die Sterblichkeit in etwa gleich ist. Wenn also bekannt ist, wie viele Infizierte auf einen Toten kommen, kann man von der Zahl der Verstorbenen, die das RKI mit mehr als 6500 zur Zeit der Studie angab, auf die Zahl der tatsächlich Infizierten – auch der nicht erfassten – schließen. „Das muss man natürlich immer ein bisschen mit Vorsicht genießen, es ist eine Schätzung“, sagte Streeck dazu der Deutschen Presse-Agentur. Gérard Krause, Leiter der Abteilung Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig, warnte jedoch in einer Videokonferenz mit Journalisten davor, die Zahlen aus Gangelt auf ganz Deutschland zu übertragen. „Ich bin da doch eher zurückhaltend“, sagte er.

Man könne zum Beispiel argumentieren, dass der Anteil der Corona-Toten in Gangelt ungewöhnlich niedrig sei. Es sei denkbar, dass die Ausbreitung des Virus in Seniorenheimen – wie man sie in den vergangenen Wochen beobachtet habe - in der Studie noch nicht abgebildet werde. In der Modellrechnung falle aufgrund der kleinen Größe der Gemeinde zudem ein einzelner Todesfall mehr oder weniger stark ins Gewicht. Insgesamt bezeichnete Krause die Daten der Studie allerdings als „sehr überzeugend“. Den Ergebnissen zufolge zeigten in Gangelt 22 Prozent der Infizierten „gar keine Symptome“. Sie wussten bis zum Test teilweise nicht, dass sie überhaupt krank waren.

Martin Exner, Leiter des Instituts für Hygiene und öffentliche Gesundheit und Co-Autor der Studie, sagte: „Jeder vermeintlich Gesunde, der uns begegnet, kann unwissentlich das Virus tragen. Das müssen wir uns bewusst machen und uns auch so verhalten.“ Dies bestätige die Wichtigkeit der allgemeinen Abstands- und Hygieneregeln in der Corona-Pandemie.

Streeck befürwortet Lockerungen

Streeck befürwortet die Corona-Lockerungen. Was von der Heinsberg-Studie wissenschaftlich zu halten ist, wird sich nach dem Peer-Review-Verfahren zeigen. Die Publikation in einem Fachjournal ist in Vorbereitung. Für Streeck hatte die Bekanntgabe der Zwischenergebnisse aber auch noch eine andere Konsequenz: Bis Ostern gab es einen erfolgreichen Podcast mit dem Bonner Virologen beim Bayerischen Rundfunk. Nach Ostern war die letzte Folge zu hören, in der es um die Kritik an Streecks Corona-Studie in Heinsberg ging, warum sie so schnell vorgestellt wurde und welche Rolle „eine PR-Agentur“ spielte. Eingestellt wurde der Podcast angeblich auf Druck von ganz oben. Ein Podcast mit Streeck, angeblich „Laschets Wasserträger“, sei im Haussender der CSU nicht opportun. Schließlich sieht Söder in Laschet seinen schärfsten Konkurrenten, wenn es um die Merkel-Nachfolge im Bundeskanzleramt geht.

Streeck hat sich in dieser Woche entschieden gegen Vorwürfe gewehrt, er habe seine Studie zum Corona-Infektionsgeschehen im Kreis Heinsberg vermarkten lassen. „Das war keine Vermarktung“, sagte Streeck im Gesundheitsausschuss des Landtags. „Ich bin persönlich ganz schön davon getroffen, dass man das so darstellt.“

Er habe „in Rekordzeit“ eine Studie erstellt – und dann sei es gar nicht mehr um die Studie gegangen, sondern ihm sei unterstellt worden, es sei ihm um die Frage von Lockerungen der Corona-Beschränkungen gegangen. Vielmehr stand aber wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn im Fokus, erklärte Streeck. (mit dpa)