Aachen – Das ist eine klare Ansage des Bundesverkehrsministers. Das 9-Euro-Ticket ist für Volker Wissing Anstoß zu einer Strukturreform bei der Bahn.
Bis zum Herbst soll eine Arbeitsgruppe aller Landesverkehrsminister klären, wie der Personennahverkehr in Deutschland attraktiver gestaltet werden kann. Die Vielzahl der Verbünde und der Tarifdschungel seien das Ärgernis schlechthin. „Die Leute sagen mir, das Tollste an dem Ticket ist die Einfachheit in der Nutzung.“ Als ob der Preis keine Rolle spiele.
Wissings Strukturreform zielt auch auf den Fernverkehr. Dort erwartet der FDP-Politiker schnelle Verbesserungen: mehr Pünktlichkeit, effizienteres und kundenfreundliches Bauen und den Aufbau eines 3500 Kilometer störungsfreies Hochleistungsnetz.
„Wenn man zuerst über Geld redet, bleiben die Strukturen vollkommen unverändert“, sagt Wissing am Dienstag beim #neuland-Kongress in Aachen. „Wenn man allerdings erst über die Strukturen redet, kriegt man einen Haufen Ärger, aber kann etwas verändern. Deshalb nehme ich den Ärger in Kauf und treibe die Strukturreform voran.“
Nun ist über die Strukturen bei der Bahn bei nahezu jedem Regierungswechsel geredet worden. Zuletzt konnte man den Eindruck gewinnen, als sei ein Konsens auf der Basis gefunden, dass die Klimaziele im Verkehrssektor nur zu erreichen sind, wenn sich die Fahrgastzahlen bis 2030 verdoppeln lassen und jedes Jahr mehr Geld in die Schiene als in die Straße fließt.
Pofalla hat das Einmischen der Politiker kanalisiert
Das in die Köpfe der führenden Politiker zu kriegen, war vor allem das Verdienst des kürzlich ausgeschiedenen Infrastrukturvorstands der Deutschen Bahn. Der Wechsel von Ronald Pofalla aus dem Kanzleramt von Angela Merkel in die Vorstandsetage des Staatsunternehmens vor sieben Jahren war höchst umstritten, seine Lobbyarbeit unbezahlbar.
Durch seine guten Kontakte in die Bundesregierung ist es Pofalla im Lauf der Jahre gelungen mit Beharrlichkeit gelungen, das ständige Einmischen der Politik zumindest zu kanalisieren. Der Deutschland-Takt, die „Starke Schiene“ und ein stärkerer Fokus auf Nahverkehr waren die Folge.
Wissing will die Bahn neu erfinden
Damit ist es offensichtlich vorbei. Kaum ist Pofalla durch die Türe, versucht der Bundesverkehrsminister der noch recht jungen Ampelkoalition, was viele seiner Vorgänger taten. Auch Wissing will die Bahn neu erfinden.
Der Zeitpunkt ist denkbar ungünstig und kommt dem Versuch gleich, in voller Fahrt die Räder zu wechseln. Anstatt die Bahnkunden darauf vorzubereiten, dass in einem Jahrzehnt der Baustellen im Fern- und Regionalverkehr auf einem chronisch überlasteten Streckennetz keine Topleistungen abgeliefert werden können, spricht Wissing von dem auf die Schnelle eingeführten 9-Euro-Ticket als dem Beginn einer großen Strukturreform und von einem Hochleistungsnetz, das bis 2028 stehen soll.
Bahnchef Richard Lutz muss das Beste daraus machen und beauftragt seinen erfahrensten Vorstandskollegen Berthold Huber damit, die Politik irgendwie einzufangen. Das ist wahrlich kein leichter Job für den Pofalla-Nachfolger.