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Viel zu viele „Einzelfälle“Kolumne zu Rechtsextremismus in Polizei und Bundeswehr

Lesezeit 4 Minuten
bundeswehr

Der Mündungslauf eines Sturmgewehres vom Typ G36 von Heckler & Koch ist bei einem Appell der Bundeswehr zu sehen.

  1. Rechtsextremismus in der Polizei und der Bundeswehr untergräbt das Vertrauen in den Rechtsstaat.
  2. Es braucht eine umfassende Analyse der Strukturen, findet unser Autor.
  3. Michael Bertrams war Präsident des Verfassungsgerichtshofs NRW. Er schreibt über aktuelle Streitfälle sowie rechtspolitische und gesellschaftliche Entwicklungen

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) hat am 24. September den Innenausschuss des Landtags über rechtsextreme Verdachtsfälle in der Polizei unterrichtet. Danach gab es seit Januar 2017 insgesamt 104 solcher Verdachtsfälle, davon 100 in der Polizei des Landes und vier im Innenministerium. Inzwischen, so Reul, gehe die Polizei weiteren 16 Hinweisen auf rechtsradikale oder rassistische Äußerungen in den eigenen Reihen nach.

Angesichts dieses Befundes zeigte sich der Minister empört und entschlossen: „Solche Äußerungen sind der Nährboden für Hass und Ausgrenzung in unserer Gesellschaft.“ Und: „Wer nicht auf dem Boden der Verfassung steht, hat in der Polizei nichts zu suchen.“ Gleichwohl wies Reul die Forderung der Opposition nach einer unabhängigen wissenschaftlichen Untersuchung der Vorkommnisse mit Blick auf die mehrjährige Dauer solcher Studien zurück. Er lehne diese zwar nicht grundsätzlich ab, wolle jetzt aber „möglichst schnell zu Veränderungen kommen“.

Beachtliche Grauzone dank Korpsgeist in der Polizei

Ich bezweifle, dass diese Strategie dem Ernst der Lage gerecht wird. Sofortiges Handeln und Durchgreifen dort, wo die Dinge offen zutage liegen und schnelle Veränderungen sich aufdrängen, sind zweifellos zu begrüßen. Doch die Vielzahl und die Schwere der Vorkommnisse haben inzwischen ein solches Gewicht, dass es allein mit Disziplinar- und Strafverfahren, mit Entlassungen und Umsetzungen, Schulung, Aufklärung und einer Revision der bisher praktizierten Einstellungsverfahren nicht getan sein dürfte.

Alles zum Thema Herbert Reul

Die bekanntgewordenen Vorfälle können das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei nachhaltig erschüttern. Das gilt umso mehr, als der nicht ganz fernliegende Verdacht im Raum steht, dass der berufstypische Korpsgeist bei der Polizei noch manches rechtsradikale Verhalten unter der Decke hält und dass somit von einer beachtlichen Grauzone auszugehen ist. Schon jetzt sind jedenfalls erhebliche Zweifel geweckt, ob es sich wirklich nur um bedauerliche Einzelfälle handelt oder ob diesen Fällen nicht doch ein verbindendes, grundsätzliches „strukturelles“ Problem zugrunde liegt.

Flächendeckende Studie auch für die Bundeswehr

Ob dem so ist, bedarf der umfassenden Aufklärung und Analyse. Jeder erfolgversprechenden Therapie muss eine gründliche Diagnose vorausgehen. Das sollte auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bedenken, der bislang eine flächendeckende Studie zu Rassismus bei der Polizei ablehnt und sich mit Blick auf die Vorfälle in NRW davon überzeugt zeigt, „dass die überwältigende Mehrheit unserer Polizistinnen und Polizisten solche Machenschaften ablehnt“.

Immerhin ist Seehofer, wie er Ende 2019 nach dem mutmaßlich durch Rechtsterroristen verübten Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erklärt hat, willens, den Öffentlichen Dienst verstärkt auf mögliche Rechtsradikale überprüfen zu lassen.

Michael Bertrams war Präsident des Verfassungsgerichtshofs NRW. 

Eine flächendeckende Studie muss es meines Erachtens auch für die Bundeswehr geben. Der frühere Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels (SPD), hatte bereits im Januar einen jährlichen Bericht des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) zu Extremismus in den Streitkräften gefordert.

Viel zu oft von „Einzelfällen“ die Rede

Deren Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK) ist zuletzt mehrfach in die Schlagzeilen geraten. Laut MAD wird derzeit gegen 20 KSK-Soldaten wegen rechtsextremistischer Haltung ermittelt. Die Zweite Kompanie dieser Spezialeinheit wurde von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) unterdessen zwar aufgelöst. Doch damit ist der Ungeist unter den Soldaten nicht aus der Welt.

Der Militärhistoriker Wolfram Wette weist darauf hin, dass auch in den Streitkräften trotz einer Vielzahl gravierender Auffälligkeiten meist nur von bedauerlichen „Einzelfällen“ die Rede ist. Typisch sei ferner der immer wieder zu hörende Hinweis, dass es in der Zivilgesellschaft wahrscheinlich einen ähnlich hohen Prozentsatz von Rechtsextremisten gebe wie in der Bundeswehr.

Schwindet Vertrauen, ist der Rechtsstaat in Gefahr

Die Rede vom „Spiegelbild der Gesellschaft“ treffe jedoch – so Wette – nach Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht weniger zu als je zuvor. Außerdem gebe es einen „qualitativen Unterschied von Soldaten, die Zugang zu Waffen haben und die im Waffengebrauch ausgebildet sind, zu rechtsradikalen Zivilisten“. Hier geht es in der Tat um ein sehr viel höheres Gefahrenpotenzial.

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