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„Weltweite Strahlkraft“Ein besonderer Prozess gegen syrische Folterer in Koblenz

Lesezeit 6 Minuten

Der syrische Angeklagte Eyad A. verbirgt im Gerichtssaal des Koblenzer Oberlandesgerichts sein Gesicht unter einer Kapuze.

  1. Der derzeit laufende Koblenzer Prozess gegen mordende und folternde Ex-Geheimdienstler des Assad-Regimes ist in jeder Hinsicht besonders.
  2. Claus Kreß, Professor für Strafrecht an der Uni Köln, erklärt im Interview, warum es im weltweit ersten Prozess gegen ehemalige syrische Staatsorgane unter Assad auch um das Völkerstrafrecht als Ganzes geht.
  3. Außerdem erklärt der Mitautor des Völkerstrafgesetzbuchs, welche problematische Rolle die Bundesregierung spielt.
  4. Lesen Sie hier das ganze Interview.

Herr Professor Kreß, vor dem Oberlandesgericht Koblenz sind zwei Syrer angeklagt, die zum Geheimdienst des Assad-Regimes gehört und in ihrer Heimat schlimmste Verbrechen begangen haben sollen. Warum ist dafür ein deutsches Gericht zuständig?

Der Prozess basiert auf dem Völkerstrafgesetzbuch von 2002. Es geht um den Vorwurf von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, also von Straftaten nach Völkerrecht. Von solchen Taten ist, so die Idee, die ganze Welt betroffen. In Koblenz geht es nicht primär um ein deutsches Interesse an Strafverfolgung. Die deutsche Justiz handelt hier treuhänderisch im Dienst der internationalen Gemeinschaft.

Warum wird dem Angeklagten nicht vor dem Internationalen Strafgerichtshof der Prozess gemacht?

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Das Tribunal in Den Haag käme der Sache nach sehr gut in Betracht. Doch ist seine Zuständigkeit hier nicht gegeben. Syrien ist dem Gründungsvertrag des Gerichtshofs nicht beigetreten. Straftaten von Syrern auf syrischem Staatsgebiet könnte der Gerichtshof deshalb nur mit einer ausdrücklichen Beauftragung durch den UN-Sicherheitsrat verfolgen. Aber das scheitert bislang an den machtpolitischen Interessen insbesondere Russlands: Moskau hat bisher alle Versuche blockiert, Angehörige des Assad-Regimes vor Gericht zu bringen.

Der Koblenzer Fall ist also eine Premiere?

Er hat als – soweit ich sehe - weltweit erster Prozess gegen ehemalige syrische Staatsorgane unter Assad zweifellos Pionierfunktion mit internationaler Strahlkraft. Ein zentrales Anliegen des Völkerstrafgesetzbuchs ist, dass Deutschland gerade dann einen Beitrag zur Ahndung von Völkerstraftaten leisten möge, wenn die internationale Strafjustiz ausfällt. Diese Idee kommt in Koblenz zur Geltung.

Welche Rolle spielt es, dass die Angeklagten die ihnen zur Last gelegten Taten im Staatsauftrag begangen haben soll?

Das ist – wenn Sie so wollen – der Clou in diesem Prozess. Es ist das Ziel des Völkerstrafrechts seit seiner Geburtsstunde in den Nürnberger Prozessen gegen hochrangige NS-Kriegsverbrecher, genau solche Taten ahnden zu können. In der juristischen Praxis ist es sehr viel leichter, gegen Verdächtige vorzugehen, die sich nicht hinter einer Staatsmacht verstecken können. In den letzten Jahren hat das dazu geführt, dass nationale Strafverfolgung in der Tendenz eher auf nicht-staatliche Akteure zielte. Für die Legitimität der Völkerstrafrechtspflege ist das sehr gefährlich. Es darf nicht der Eindruck einer neuen Form von „Siegerjustiz“ entstehen.

Aus den NS-Prozessen bis in die Gegenwart ist die Position der Täter bekannt, sie hätten als Staatsbedienstete Befehle zu befolgen gehabt und sich diesen nicht widersetzen können. Triftige Argumente?

„Handeln auf Befehl“ oder „Befehlsnotstand“ geltend zu machen, ist in Völkerstrafprozessen eine klassische Strategie der Verteidigung. Allerdings verfängt sie nur in seltensten Fällen. Ein Befehl entlastet insbesondere dann nicht, wenn das Unrecht nach Lage der Dinge offensichtlich war. Und ein entschuldigender „Notstand“ kommt nur dann in Betracht, wenn dem Staatsbediensteten bei einer Weigerung, sich in den Dienst der Staatsmacht zu stellen, unmittelbar der Tod oder schwere körperliche Schäden gedroht hätten. Aber weil die in Koblenz angeklagten Personen Teil des Staatsapparats waren, ergibt sich ein weiterer brisanter Gesichtspunkt, von dem ich hoffe, dass er im Koblenzer Prozess deutlich zur Sprache kommt.

Nämlich welcher Gesichtspunkt?

Die Frage, ob die Angeklagten als Amtsträger Immunität genießen. Der Punkt ist von fundamentaler Bedeutung: Normalerweise darf ein Staat kein Strafverfahren gegen einen Beschuldigten führen, der als Organ eines anderen souveränen Staats gehandelt hat, es sei denn, der andere Staat hat zugestimmt. Würde dies auch bei Völkerstraftaten gelten, so träfe das die Idee einer wirksamen Strafverfolgung im Kern. Denn es geht ja allzu häufig um Verbrechen im Auftrag von Staaten – und diese selbst werden die Täter dann typischerweise nicht zur Rechenschaft ziehen.

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Sie würden also sagen, dass die Angeklagten sich nicht auf Immunität berufen können?

Ja – und es hatte lange Zeit den Anschein, als bestünde ein Konsens darüber, dass sich im Völkerrecht der Satz „keine sachliche Immunität bei Verdacht auf Völkerstraftaten“ etabliert hat. Im historischen israelischen Urteil im Prozess gegen Adolf Eichmann aus den 1960er Jahren findet sich hierzu die denkwürdige Aussage, dass alles andere der Idee des Völkerstrafrechts selbst widerspräche. Und doch ist über genau diese Frage zuletzt ein heftiger Streit in der UN-Völkerrechtskommission ausgebrochen, und nicht wenige Staaten haben sich in diesem Zusammenhang für Immunität stark gemacht. Leider hat sich die Bundesregierung, die in den vergangenen Jahrzehnten mit breiter Unterstützung des Bundestags so viel für den Aufbau einer Völkerstrafgerichtsbarkeit getan hat, diesen Stimmen nicht entgegengestellt, sondern selbst erhebliche Zweifel an der eigenen Position aufkommen lassen.

Diese Entwicklung überschattet jetzt auch den Koblenzer Fall?

Wie sich das Gericht zur Immunität verhält, ist jedenfalls eine der für das Völkerstrafrecht als Ganzes spannendsten Fragen in dem Koblenzer Verfahren. Ein klares Urteil zu diesem Punkt könnte die entstandenen Zweifel an Deutschlands Haltung ein entscheidendes Stück weit zerstreuen. Ich hoffe sehr, dass die Richter die Position der Bundesanwaltschaft übernehmen und – gegen die Zweifel der Bundesregierung - eine Immunität der Angeklagten ausdrücklich verneinen.

Was hat die Bundesregierung zu ihren Zweifeln in der Immunitätsfrage veranlasst?

Sie hält offenbar das geltende Recht für zweifelhaft. Damit nimmt sie in einem so kritischen Moment zugleich völkerrechtspolitisch Stellung, auch ohne das ausdrücklich zu sagen. Dass Staaten wie die USA unter Donald Trump oder auch das immer selbstbewusstere China bei der praktisch so wichtigen Immunitätsfrage Druck auf das Völkerstrafrecht ausüben, wird niemanden überraschen. Deutschland sollte den erreichten Stand demgegenüber verteidigen. Das schließt nicht aus, dass man mögliche Besorgnisse im Zusammenhang mit der Immunitätsfrage ernst nimmt.

Welche Besorgnisse meinen Sie?

Ich könnte mir vorstellen, dass in Berlin auch die Sorge vor dem Missbrauch des Völkerstrafrechts eine Rolle spielt. Dass die nationale Justiz vielerorts auf der Welt nicht unabhängig und frei von staatlichem Druck agiert, ist ja nicht zu leugnen. Denken Sie nur an ein Land wie die Türkei, wo man derzeit nicht den Eindruck hat, dass der Rechtsstaat in besten Händen ist.

Zur Person

Claus Kreß, geb. 1966, ist Professor für deutsches und internationales Strafrecht und Direktor des Instituts für Friedenssicherungsrecht der Universität zu Köln. Er ist einer der Mitautoren des Völkerstrafgesetzbuchs. 2019 wurde Kreß zum Ad-hoc-Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag berufen. (jf)

Demnach bestünde die Gefahr, dass die Regierungen solcher Staaten ihre Interessen unter dem Deckmantel des Völkerstrafrechts verfolgen und Amtsträger anderer – ihnen nicht genehmer Staaten – aburteilen lassen?

Ja. Aber Vorsicht: Bislang gibt es für solchen Missbrauch – soweit ich sehe – keine eindrucksvollen empirischen Belege. Man sollte – wie gesagt – die Besorgnis zwar dennoch ernst nehmen. Aber die vorauseilende Preisgabe eines Grundprinzips des Völkerstrafrechts ist die falsche Reaktion.

Was wäre dann die richtige Reaktion?

Erstens gilt es – wie stets – Missbrauch entschieden zu kritisieren, sobald er auftritt. Zweitens lässt sich über eine verstärkte internationale Kontrolle von nationalen Prozessen gegen ausländische Staatsorgane nachdenken. In der Diskussion ist ferner die Idee, dem Heimatstaat des beschuldigten Staatsorgans das Recht zuzugestehen, die Strafverfolgung an sich zu ziehen, sofern dieser Staat – anders als es in Syrien unter Assad möglich wäre – glaubhaft machen kann, dass seine Gerichte ernsthaft und unabhängig zur Sache gehen werden.