Düsseldorf/Berlin – Die Erleichterung in CDU-Kreisen der Landeshauptstadt war groß. Darüber, dass nun endlich Klarheit herrscht über die Pläne des Ministerpräsidenten Armin Laschet, für die Zeit nach der Bundestagswahl. Schon am Vormittag hatte es im Umfeld der Düsseldorfer Staatskanzlei Andeutungen gegeben, dass Laschet sein Schweigen bald brechen würde. Um 14.02 Uhr lief die Nachricht schließlich über die Agenturen. „Mein Platz ist in Berlin“, verkündete der Kanzlerkandidat der Union. Er werde unabhängig vom Ausgang der Bundestagswahl im September in der Bundespolitik bleiben. Eine Klarstellung, die dringend nötig war. Denn nun hat die NRW-CDU Gewissheit, dass sie einen Nachfolger für Laschet als Ministerpräsident suchen muss.
Die Unklarheit über Laschets Planungen hatte in den vergangenen Tagen im NRW-Landesverband tektonische Erschütterungen ausgelöst. Hartnäckig hielten sich Gerüchte, der Ministerpräsident wolle sich für den Fall einer Niederlage im Kampf um das Kanzleramt ein Hintertürchen offen halten. Viele Parteifreunde und Wegbegleiter hatten gar die Befürchtung, dass Laschet mit einem Festhalten an einem „Rückfahrt-Ticket“ nach Düsseldorf in die gefürchtete „Röttgen-Falle” tappen könnte.
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Als CDU-Spitzenkandidat im NRW-Wahlkampf 2012 hatte Norbert Röttgen im Fall seines Scheiterns die Rückkehr als Bundesumweltminister nach Berlin verkündet. Weite Teile der CDU-Basis waren entsetzt, auch die Wählerinnen und Wähler an Rhein und Ruhr sahen das als einen Akt von Hasenfüßigkeit an – und straften Röttgen ab. Die NRW-CDU fuhr mit 26,3 Prozent der Stimmen eine Rekordniederlage ein.
Als Laschet im Januar zum CDU-Bundesvorsitzenden gewählt wurde, wollte er den Landesvorsitz ursprünglich so bald wie möglich abgeben. Doch die Planungen kamen nicht in Gang. Als durchsickerte, der Ministerpräsident wolle den für Juni geplanten Parteitag in den Oktober und damit auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschieben, schrillten bei vielen die Alarmglocken. War das Laschets Versuch, die Tür nach Düsseldorf offen zu halten? Das Signal, Angst vor der eigenen Courage zu haben, wäre wohl nahe am politischen Selbstmord gewesen.
Im Laschet-Lager war zuletzt in internen Runden oft daran erinnert worden, dass auch andere Ministerpräsidenten – wie Johannes Rau und Edmund Stoiber – problemlos in ihr Amt zurückgekehrt seien, nachdem sie das Rennen um das Kanzleramt verloren hatten. „Warum soll das bei Laschet nicht möglich sein?“, hieß es hinter vorgehaltener Hand. Eine Argumentation, die zeigt, wie schwer sich Laschet mit seinem Verzicht auf die Führungsrolle in NRW tut. Nun aber hat er alle Zweifel ausgeräumt.
Am Sonntag tritt Laschet bei „Anne Will" auf
Ein CDU-Bezirksvorsitzender sagte unserer Zeitung, Laschet habe in den letzten Wochen austarieren wollen, wie groß das Problem der „Rückfahrtkarte” für ihn werden könnte. Angesichts desaströser Umfragewerte sei er aber in eine Position der Schwäche geraten, in der er keine weiteren Angriffspunkte zulassen konnte. Anders als bei Rau und Stoiber ist zudem der mediale Druck heute um ein vielfaches höher. Laschet hätte sich in jeder Talk-Show zu der Frage äußern müssen, warum er sich seiner Sache selbst nicht sicher sei. Ein Abwehrkampf, der schwierig zu gewinnen gewesen wäre. Schon am Sonntag will er jetzt, nach seinem Befreiungsschlag, bei der Polit-Talkerin Anne Will auftreten, die ihm eine ganze Sendung widmet.
Laschet ist „All in” gegangen. Die Klarstellung, dass sein Platz nach der Wahl im September auf jeden Fall in Berlin sein wird, mag für ihn als erfolgreich regierender Ministerpräsident des größten und wichtigsten Bundeslandes schmerzlich gewesen sein. Sie war aber unumgänglich. Zumal sich im Falle eines Scheiterns im September ansonsten auch die Frage gestellt hätte, ob die NRW-CDU gut daran tun würde, mit einem in Berlin geschlagenen Kanzlerkandidaten 2022 als Spitzenkandidat in die Landtagswahl zu ziehen.
Laschets Schweigen produzierte ein Vakuum
Der Vorgang macht aber auch klar, dass Laschet sich nicht gleichermaßen gut auf seine Aufgaben in Berlin und in Düsseldorf konzentrieren kann. In Düsseldorf wurde seit Tagen auf ein klares Signal des Chefs gewartet, in welche Richtung die Reise denn jetzt gehen soll. Es kam erst, als der Druck schon unerträglich hoch geworden war. Laschet sei eine „Black Box“ gewesen, heißt es. Dass er mit niemandem mehr gesprochen habe, sei ein Anzeichen dafür, dass er in der einsamen „Todeszone“ der Bundespolitik angekommen sei. So entstand in der NRW-CDU ein Vakuum, in dem sich ein Diadochenkampf entwickeln konnte.
NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst deutete das lange Schweigen als Zustimmung für seine Pläne, das Laschet-Erbe in seinem Sinne zu regeln. Laschet hatte ihn 2017 berufen, wohl auch, um ihn in die Kabinettsdisziplin mit einzubinden. Allerdings erhielt er „nur“ das Verkehrsressort, der Baubereich wurde abgekoppelt. Das Verhältnis Laschets zu Wüst sei „nicht von innigster Freundschaft geprägt“, sagt ein Mitglied des Landesvorstands.
Als der konservative Wirtschaftsmann seine Ansprüche zu forsch reklamierte, holte das eher liberale Lager der Landespartei zum Gegenschlag aus. NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach, die sich ebenfalls gut vorstellen kann, CDU-Spitzenkandidatin 2022 zu werden, schlug eilig NRW-Innenminister Herbert Reul als neuen Parteichef vor – um einen Durchmarsch von Wüst zu verhindern. Reul selbst erklärte, man müsse jetzt schnell entscheiden, wie es weiter gehen soll. Am Ende wird wohl jetzt keiner der Akteure aus der zweiten Reihe seinen Willen bekommen. Sie stehen allesamt mit blauen Augen da, weil Laschet die Rauferei nicht verhindert hat.
Der Machtkampf in der NRW-CDU geht weiter
Die Entscheidung, den Landesparteitag und damit eine Nachfolgeregelung für den NRW-Parteivorsitz in den Herbst zu verschieben, soll nun so verkauft werden, dass der Burgfriede im Bundestagswahlkampf gewahrt bleiben soll. Eine vorzeitige Entscheidung in der Laschet-Nachfolge hätte zwar einen Sieger, aber auch Verlierer produziert, heißt es. Zudem könne ein Parteitag im Oktober aller Voraussicht nach auch wieder als Präsenzveranstaltung organisiert werden.
Das mag so sein. Die Scheinruhe hat aber einen hohen Preis. Denn der Machtkampf in der NRW-CDU wird, wenn auch vermutlich hinter verschlossenen Türen, selbstverständlich weitergeführt. So könnten vor der Landtagswahl in der Partei Risse entstehen, die vielleicht nicht mehr zu kitten sind.