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Anti-Trump-Proteste„Wenn wir nichts machen, wird es immer schlimmer“

Lesezeit 4 Minuten

„Wir stehen an einem beängstigenden Wendepunkt“, sagt Lara Kalin.

Nach Wochen der Apathie gehen in den USA mehrere hunderttausend Menschen gegen Trump und Musk auf die Straße.

Normalerweise hätte sie ihre beiden Kinder mitgebracht. Aber ihr war nicht wohl bei dem Gedanken. „Ich hatte Angst“, gesteht Lara Kalin: „Amerika ist auf keinem guten Weg.“ Gerade deswegen wollte die Krankenschwesternschülerin unbedingt an dem Protest teilnehmen. Und sie wollte in der Hauptstadt sein. „Es ist wichtig, dass wir möglichst viele sind“, sagt sie: „Die Welt muss uns sehen.“

Also ist Kalin an diesem grauen Samstagmorgen drei Stunden von Philadelphia nach Washington gefahren, wo sie nun mit einem Plakat steht: „This is the Land of the Free. Built and Loved by Immigrants“ (Das hier ist das Land der Freien. Es wurde von Migranten aufgebaut und geliebt) steht darauf. Kalins Mutter ist vor vielen Jahrzehnten aus Spanien in die USA eingewandert. Beide haben die amerikanische Staatsbürgerschaft.

Rund um das Washington Monument in Sichtweite des Weißen Hauses versammeln sich am Mittag mehrere zehntausend Menschen. Viele tragen selbstgemalte Schilder, auf denen Slogans wie „Stoppt die Oligarchie“, „Rettet unsere Demokratie“ oder „Republikaner - seid keine Feiglinge! Beendet die Zölle!“ stehen. Es ist ein bunter, friedlicher Protest. Manche Teilnehmer sind als Freiheitsstatue kostümiert, andere singen. „Hands Off!“ (Hände weg!) ist hier der gemeinsame Nenner - wie bei den mehr als 1000 Kundgebungen, die zeitgleich anderswo in der ganzen USA stattfinden.

Keine zentrale Organisation für Demonstrationen

Das dezentrale Konzept und der Zusammenschluss verschiedenster Organisationen, die sich gegen die Zerschlagung der Verwaltung und des Sozialstaats durch Donald Trump und seinen Vollstrecker Elon Musk sowie für die Rechte von Minderheiten starkmachen, unterscheidet diese Bewegung von dem Widerstand zu Beginn der ersten Trump-Präsidentschaft, als es vor allem um die Abtreibungsfrage ging.

Schon einen Tag nach dem Amtsantritt im Januar 2017 gingen Frauen damals beim legendären Women's March auf die Straße. Dieses Mal hat es zweieinhalb Monate gedauert bis zu den aktuellen Märschen, an denen sich landesweit nach Angaben der Veranstalter mehrere hunderttausend Menschen beteiligen.

„Viele von uns wachen gerade auf und merken, dass die Demokratie auf dem Spiel steht“, erklärt Kalin. Die vergangene Woche hat dazu einiges beigetragen: Erst verschaffte sich der demokratische Senator Cory Booker mit einer 25-stündigen Anklagerede gegen Trump nationale Aufmerksamkeit. Sein Slogan „Es geht nicht um Links gegen Rechts, sondern um Richtig gegen Falsch“ findet sich am Samstag auf mehreren Plakaten. Dann feierte der Präsident eine beispiellose Zoll-Orgie, die die Börsenkurse dramatisch abstürzen ließ.

Landesweite Proteste – Trump spielt Golf

Trump weilt – wie fast jedes Wochenende – auf dem Golfplatz in Florida, als der demokratische Abgeordnete Jamie Raskin auf der kleinen Bühne unterhalb des Washington Monuments ans Mikrofon tritt. „Kein moralischer Mensch wünscht sich einen Diktator, für den alles einen Preis, aber nichts einen Wert hat“, ruft der Politiker in die Menge. Der Jubel ist groß.

Doch auf dem weiten Gelände können viele Teilnehmer Raskin gar nicht hören. Es geht heute nicht um einzelne Prominentenauftritte. „We can not tolerate Trump's lies“ (Wir können Trumps Lügen nicht durchgehen lassen), steht auf dem Plakat eines Ehepaars, das am Rande steht. „Alles, was Trump tut, basiert auf Chaos“, schimpft der Mann: Es gäbe sicher einen vernünftigen Weg, die Verwaltung zu verschlanken, glaubt er.

Stattdessen setze der Kostenkiller Musk langjährige Beschäftigte ohne legale Grundlage und ohne Plan von heute auf morgen auf die Straße: „Diese Menschen haben Familie, sie müssen die Ausbildung ihrer Kinder bezahlen und ihre Hypotheken bedienen. So kann man mit niemandem umspringen“, empört er sich: „Und jetzt zerstört er auch noch die Wirtschaft!“. Ob er selber betroffen sei? „Psychologisch auf jeden Fall“, antwortet der Mitt-Sechziger, der seinen Namen nicht nennen will.

Demonstrationen für Demokratie und Menschenrechte

Auffallend viele Teilnehmer möchten nicht fotografiert werden oder anonym bleiben - ein klarer Hinweis auf das veränderte Klima unter einem Präsidenten, der das FBI gegen seine politischen Gegner in Stellung bringt. Kirsten Olson will sich von solchen Sorgen nicht einschüchtern lassen. „Unser Land bewegt sich in eine gefährliche Richtung“, klagt sie: „Wenn wir nichts machen, wird es immer schlimmer.“ Die vierfache Großmutter hält ein Plakat in die Höhe. „America Elects Presidents, Not Kings“, steht da drauf: Amerika wählt Präsidenten, keine Könige!

„Wir stehen an einem beängstigenden Wendepunkt“, findet auch Kalin. Die angehende Krankenschwester und Mutter zweier fünf- und siebenjähriger Töchter sorgt sich vor allem um Abtreibungsrechte und den Gesundheitsschutz: „Diese ganzen Falschinformationen über Impfungen können dazu führen, dass die Bevölkerungsimmunität sinkt. Das ist beunruhigend.“

Auch sonst fragt sie sich, in was für einer Welt ihre Kinder aufwachsen: „Amerika stand immer für Innovation. Jetzt werfen sie die Wissenschaftler raus, übergeben den Staat an die Reichen und steigen aus dem Welthandel aus.“ Die junge Frau fürchtet: „Der Rest des Globus wird weiterziehen, und wir werden zurückbleiben.“ (rnd)