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Nach SilvesternachtFünf Tote – Richterbund sieht Justiz überlastet, Polizei will Böllerverbot

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Ein Plakat der Stadt Köln zum Böllerverbot mit der Aufschrift K„eine Böller zwischen Rhein und Ringen!“ hängt in der Nähe des Kölner Doms.

Ein Plakat der Stadt Köln zum Böllerverbot mit der Aufschrift „Keine Böller zwischen Rhein und Ringen!“ hängt in der Nähe des Kölner Doms.

Nach Silvester streitet sich die Politik. Der Richterbund warnt, schärfere Strafen seien wegen fehlender Kapazitäten der Justiz nicht durchsetzbar.

Wie oft gibt es das in Deutschland: Eine Nacht mit fünf Todesopfern, Hunderten Verletzten, darunter allein in Berlin 30 Polizeibeamte, außerdem zahllose Brände und andere Sachschäden, durch die unter anderem fast 40 Wohnungen unbewohnbar wurden, und mehr als 400 Festnahmen. Dass die eine Nacht mit dieser Schreckensbilanz die Silvesternacht war, relativiert die Zahlen zwar für einige Politiker und Verbände – aber nicht für alle. Auch in der Woche nach Neujahr hält deshalb die Debatte über Konsequenzen an.

So sprach sich die Gewerkschaft der Polizei erneut für ein bundesweites Böllerverbot und ein Verkaufsverbot für Pyrotechnik aus – und warnte vor alljährlichen „Scheindebatten“ nach Silvester. Auch Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) hatte für ein generelles Verbot in Deutschland plädiert. Umweltverbände wie die Deutsche Umwelthilfe verwiesen neben den Verletzten und Toten auf die Feinstaubbelastung.

Scholz: Böllerverbot „irgendwie komisch“

Doch die Bundespolitik will andere Konsequenzen ziehen. So lehnte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im „Stern“ ein Vorgehen gegen Pyrotechnik ab: „Ich bin dafür, dass wir ordentliche Regeln haben für das Zeug, das da hergestellt wird. Aber ein Böllerverbot finde ich irgendwie komisch.“ Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Die richtige Antwort sind nicht bundesweite Feuerwerks-Verbote, sondern mehr gezielte Handlungsmöglichkeiten vor Ort.“

Das Sprengstoffrecht erlaubt das Abbrennen von Pyrotechnik am 31. Dezember und am 1. Januar. An allen anderen Tagen ist das nur mit einer Sondergenehmigung gestattet. Der Berliner Senat wies darauf hin, dass nur das Bundesinnenministerium Änderungen daran vornehmen könne.

Debatte um Böllervebot: Erlaubnis- statt Verbotszonen

Faeser schlägt vor, den Kommunen mehr Handlungsspielräume für lokale Verbotszonen zu geben. Dafür müsse es aber eine Mehrheit unter den Ländern im Bundesrat geben, die bislang fehle. „Hinsichtlich der Gefährlichkeit gibt es große Unterschiede zwischen dicht bewohnten Städten und dem Land – und innerhalb von Städten zwischen einzelnen Brennpunkten und Stadtteilen, in denen friedlich gefeiert wird.“ Auch die Berliner Senatorin Spranger brachte „Pyro-Erlaubniszonen“ ins Spiel, in denen Feuerwerk gestattet ist.

Bewegung kam zudem in die Diskussion über die Gewalt in der Silvesternacht - vor allem gegen Polizisten und Rettungskräfte. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, sagte den Funke-Medien: „Der Staat darf nicht tolerieren, dass eine kleine gewaltbereite Minderheit mit erheblicher krimineller Energie rund um Silvester ganze Stadtteile terrorisiert.“ Polizei und Rettungskräfte müssten häufiger mit Bodycams zum Aufzeichnen von Übergriffen ausgestattet sein. Zudem sprach er sich für mehr Grenzkontrollen rund um Silvester aus.

Gegen „Chaoten und Gewalttäter“ will auch die scheidende rot-grüne Bundesregierung vorgehen, wie sich Innenministerin Faeser erklärte. Mit neuen Strafvorschriften müsse man die gesamte Vertriebskette von illegalem Feuerwerk, von Händlern und Transporteuren bis zum Käufer, erfassen. Sie verwies auf ihren gemeinsamen Gesetzentwurf mit dem inzwischen parteilosen Justizminister Volker Wissing: „Wir wollen, dass künftig gilt: bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe, wenn Polizisten, Sanitäter oder Ärzte in gefährliche Hinterhalte gelockt werden“, sagte Faeser der „Bild“.

Die Täter müssten „die Härte des Gesetzes schnell zu spüren bekommen“, erklärte Wissing. „Wir haben als Bundesregierung im September einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der eine strengere Bestrafung von Angriffen auf Polizisten, Rettungskräfte und Feuerwehrleute vorsieht. Der Bundestag sollte ihn noch vor der Wahl beschließen.“

Richterbund kritisiert Scheindebatte: „Mit großen Ankündigungen ist es nicht getan“

Der Deutsche Richterbund reagierte skeptisch. „Die Rufe nach Strafverschärfungen als Reaktion auf die Silvestergewalt in Berlin greifen zu kurz“, sagte sein Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Es trage nicht zur Beruhigung bei, wenn Politiker nach beunruhigenden Straftaten reflexhaft ein hartes Durchgreifen des Rechtsstaats versprechen, in Wahrheit aber zu wenig für eine schlagkräftige Strafverfolgung tun, beklagte er.

„Die Ampel-Koalition hat die Strafjustiz drei Jahre lang im Regen stehen lassen, obwohl sie einen milliardenschweren Bund-Länder-Pakt für einen starken Rechtsstaat zugesagt hatte“, sagte Rebehn dem RND. „Mit großen Ankündigungen ist es aber nicht getan.“

Justiz überlastet: Verbote wären nicht durchzusetzen

Die Staatsanwaltschaften müssen laut Richterbund inzwischen jährlich mehr als 5,5 Millionen neue Fälle bewältigen - so viele wie noch nie. Zuletzt haben die Strafverfolger demnach bundesweit mehr als 900.000 offene Verfahren gemeldet, während zugleich die Zahl der angeklagten Fälle seit Jahren sinke, weil den Staatsanwaltschaften rund 2000 Ermittler fehlen.

Rebehn forderte deshalb einen Investitionspakt von Bund und Ländern, der Polizei, Staatsanwaltschaften und Strafgerichte personell und technisch schnellstens so aufstelle, dass sie die Gesetze effektiv durchsetzen und Strafverfahren zügig führen können. „Nicht die im Gesetz angedrohte Höchststrafe“, sagte er, „sondern eine schnelle Verurteilung beeindruckt Straftäter.“