Köln – Frau Professorin Schönberger, im August war es Olaf Scholz, der sagte: „Selbst auf Platz zwei kann man Kanzler werden.“ Wie sehen Sie die Chancen, dass nun Armin Laschet diesen Satz wahrmacht?
Sophie Schönberger: Noch ist ja gar nicht ausgeschlossen, dass die Union mit ihren Überhangmandaten die stärkste Fraktion stellt, obwohl sie nur den zweithöchsten Stimmenanteil hat. FDP und Grüne haben die geltende Regel als verfassungswidrig angegriffen. Dass sie den Führungsanspruch der Union unter diesen Bedingungen akzeptieren werden, steht nicht zu erwarten. Dass sie die Königsmacher sein werden, liegt aber auf der Hand.
Wenn Sie die Programme einmal auf Nähe und Ferne abklopfen, was kommt dann heraus?
Dass die FDP sich so stark in Richtung Schwarz-Gelb positioniert hat, kommt nicht von ungefähr. Umgekehrt haben die Grünen mit Recht ihre Übereinstimmungen mit der SPD herausgestellt. Eine Jamaika-Koalition unter Armin Laschets Führung wäre für die Grünen schwieriger zu kommunizieren. Hinzu kommt noch der Makel des Scheiterns, der Jamaika von 2017 her anhaftet.
Zur Person
Sophie Schönberger, geboren 1979, ist zusammen mit dem Politologen Thomas Poguntke Co-Direktorin des Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung an der Universität Düsseldorf. Die Juristin hat dort den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Kunst- und Kulturrecht inne.
Aber vor dem Sinkflug der Union hatten doch auch die Grünen deutlich schwarz-grün geblinkt. Das Bündnis mit der Union schien fast ausgemachte Sache zu sein.
Weil es in der Umfragen-Welt lange Zeit die einzige realistische Machtoption war – wegen der Schwäche der SPD. Dass den Grünen die Sozialdemokraten grundsätzlich lieber sind, sollte dennoch niemanden überraschen. Kurz: Eine natürliche Neigung zu Jamaika sehe ich nicht. Alles ist offen.
2017 ist Jamaika nicht zuletzt an Animositäten zwischen den beteiligten Parteigrößen gescheitert. Spielen Sie die doch einmal die Personalkonstellation 2021 durch!
Dass Armin Laschet im Wahlkampf eine glückliche Figur gemacht hätte, wird man beim besten Willen nicht behaupten können. Ein Ergebnis, mit dem er hinter der SPD gelandet ist, schlägt als Lame-duck-Effekt negativ für ihn zu Buche. Hinzu kommt, dass er in seinem Auftreten und seinem Habitus sehr in der Merkel-Tradition steht, also eher für ein „Weiter so“ als für einen Aufbruch. Olaf Scholz hingegen ist es gelungen, als Mitglied der noch amtierenden Regierung eine Wechselstimmung mit seiner Person zu verbinden. Das stärkt ihn natürlich in Verhandlungen, an deren Ende die künftigen Regierungsparteien sicher so etwas wie einen Neuanfang propagieren wollen.
Was hat sie am Wahlergebnis am meisten überrascht?
Zum einen, dass es der Union doch noch gelungen ist, sich so weit zu erholen. Zum anderen, dass die Linkspartei denkbar knapp an der Fünf-Prozent-Grenze entlang geschrappt ist. Das markiert eine unerwartet deutliche Veränderung in der Parteienlandschaft, auch wenn die Linke zumindest über ihre Direktmandate auf jeden Fall wieder im Bundestag vertreten sein wird.
Stimmt die Erklärung von Unionspolitikern, dass die Warnung vor einem Linksbündnis verfangen hat?
Das glaube ich nicht. Die Linkspartei hatte mit internem Streit und Flügelkämpfen auf der Bundesebene einen extrem schlechten Lauf. Außerdem müssen die Stimmenzuwächse für Sozialdemokraten und Grüne ja irgendwo herkommen. Ohne die komplexen Mechanismen der Wählerwanderung allzu sehr zu vereinfachen, wird man von einer Bewegung im linken Spektrum zu Lasten der Linkspartei ausgehen müssen. Und angesichts einer zuletzt stärkeren Polarisierung hat sie hier aufgrund eigener Schwäche schlicht den Kürzeren gezogen. Das ewige Rot-rot-grün-Schreckgespenst hingegen dürfte eher noch ein paar zögerliche Unionswähler beeindruckt haben.
Und die AfD?
Sie pendelt sich auf einem Niveau ein, auf dem sich rechtspopulistische Parteien auch in anderen europäischen Ländern bewegen. Sie hat sich nicht noch einmal steigern können. Sie hat aber auch nicht signifikant verloren, obwohl ihr Erfolgsthema von 2017, die Zuwanderungspolitik, nicht mehr so prägend war wie vor vier Jahren. Mit ihrer sehr eigenen, eigentümlichen Positionierung in der Corona-Politik wird sie eine bestimmte Wählerklientel erreicht haben. Aber im Bundesdurchschnitt würde ich das Ergebnis als europäische Normalität bezeichnen.
Im Bundesdurchschnitt?
Ja, weil das Gefälle des AfD-Ergebnisses zwischen West und Ost eklatant ist. Die Spaltung, die daraus spricht, und die hierin – mit aller Vorsicht formuliert – zum Ausdruck kommende Systemkritik der AfD-Wähler in den ostdeutschen Bundesländern finde ich Besorgnis erregend.