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Corona-Ausbruch bei TönniesDie Angst vor einem zweiten Ischgl

Lesezeit 4 Minuten
Verl Bauzaun

Verl: Ein Polizist geht zu einer Gruppe von Menschen, die hinter einem Bauzaun unter Quarantäne stehen.

  1. Massentests im Kreis Gütersloh sollen bis Sonntag Klarheit über die Ausbreitung der Pandemie bringen.
  2. Arbeitsminister Laumann attackiert derweil Tönnies – so scharf, dass er eine Rüge kassiert.
  3. Die Schlachthof-Branche in Deutschland steht vor großen Veränderungen.

Düsseldorf – Es ist Karl-Josef Laumann (CDU), der in rund zehn Minuten mit seiner schonungslosen Analyse im Düsseldorfer Landtag die Ursachen für die Corona-Pandemie in Europas größtem Schlachtbetrieb im ostwestfälischen Rheda-Wiedenbrück klar anspricht. „In den 70er und 80er Jahren haben wir die gesamten mittelständischen Schlachtstrukturen verloren“, sagt Laumann. „Das ist passiert durch den Preisdruck bei der industriellen Schlachtung, aber auch durch immer größere Auflagen, die am Ende von Betreibern, die 100 Schweine am Tag geschlachtet haben, nicht mehr einzuhalten waren. Das war ein Fehler, wenn man an regionale Vermarktung denkt.“

Diese Entwicklung habe nicht nur in Deutschland zu einer industriellen Schlachtung geführt, „die bei Westfleisch nicht anders ist als bei Tönnies und in Holland nicht anders als bei uns. Dieses System ist schlecht, hat mit einer humanen Arbeitswelt nichts zu tun. Ein Arbeitnehmer kann dieses System nicht rechtfertigen, egal auf welcher Seite er politisch steht“. Rot-Grüne Landesregierungen hätten das genauso toleriert wie bürgerliche. „Wir haben es alle nicht ändern können oder die Gesetze haben nicht ausgereicht“, sagt Laumann. Noch vor drei Woche habe Clemens Tönnies ihm vorgeworfen, „Laumann habe eine Schlachthof-Manie“ und wie Westfleisch damit gedroht, ohne Subunternehmer und Werkverträge werde das System der Fleischversorgung in Deutschland zusammenbrechen. „Heute sagen beide, wir können es auch ohne machen. Also verarschen kann ich mich selber“, sagt Laumann.

Laumann will bis Sonntag Klarheit

Für diesen Kraftausdruck wird Laumann am Ende seiner Rede eine Rüge kassieren, doch das ist ihm egal. Der Arbeitsminister kann zurecht darauf verweisen, dass sein Haus bereits im vergangenen Jahr 30 Schlachthöfe im Land kontrolliert und dabei „erhebliche Mängel festgestellt hat“. Dem Landtag und den Bundestagsabgeordneten aus NRW habe man die Dokumentation zur Verfügung gestellt und daraus Forderungen an den Gesetzgeber abgeleitet, die jetzt in dem von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) angestrebten Gesetz endlich Niederschlag fänden. Zu Beginn der Corona-Pandemie habe er in den Arbeitsschutz angewiesen, sich vor allem die Bereiche mit prekären Beschäftigungsverhältnissen anzusehen – neben den Schlachthöfen vor allem die Paketverteilzentren und Baustellen. Der Arbeitsschutz sei vor Ort gegangen, trotz der schwierigen Lage. „Dafür muss ich mich bedanken“, so Laumann.

Richtig sei aber auch, dass man Schlachtbetriebe wie Tönnies nicht so schnell verändern könne. „Wir können die Schweine nicht viel länger in den Ställen halten, als der Schlachthoftermin ist. Die Ferkel sind schon in den Aufzuchtstationen. Die Sauen schon belegt.“ Man müsse „relativ schnell nach Konzepten suchen, dass die Schlachthöfe ihre Aufgabe wahrnehmen für die Landwirtschaft und für die Gesellschaft“, so Laumann. Klar sei aber, dass das System der industriellen Schlachtung mit den Arbeitsverhältnissen, die dort herrschen, keine Zukunft mehr hat. Das muss in Deutschland klar und deutlich gesetzlich geregelt werden.“

Rheda-Wiedenbrück Sattelschlepper

Leere Sattelzüge auf dem Parkplatz bei Tönnies in Rheda: Die Schlachthof-Branche steht vor großen Veränderungen.

Die Landesregierung will mit Massentests in den Kreisen Gütersloh und Warendorf bis Ende der Woche Erkenntnisse über die Verbreitung des Coronavirus haben. Bis Ende der Woche wolle man wissen, ob das Virus in andere Teile der Bevölkerung übergesprungen ist. Rund 900 Polizisten in beiden Kreisen unterstützen nach Angaben Laumanns die Behörden bei der Durchsetzung der Quarantäne der rund 7000 betroffenen Tönnies-Beschäftigten. Im Kreis Gütersloh ist der Andrang auf Corona-Testungen unter der Bevölkerung so groß, dass schon am Mittwochmorgen die Kapazitäten ausgelastet gewesen sind. „Jetzt wollen sich viele testen lassen“, sagt eine Sprecherin des Kreises. Es mache keinen Sinn mehr, sich anzustellen, Menschen würden auf Donnerstag vertröstet.

Laschet verteidigt den Lockdown

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet verteidigt in der Aktuellen Stunde des Landtags den Lockdown für die beiden Kreise Gütersloh und Warendorf. Angesichts der Kritik, die Landesregierung habe das Leben in den betroffenen Kreisen zu spät heruntergefahren, sagte Laschet: „Es ist eine Abwägung erforderlich.“ Ihn wundere es immer wieder, wie schnell manche bereit seien, Einschränkungen der Grundrechte vorzunehmen.Den Menschen in den beiden betroffenen Landkreisen werde mit dem Lockdown viel zugemutet. Durch die breite Streuung der Wohnorte und der Tönnies-Belegschaft berge der Ausbruch aber ein „enormes Pandemie-Risiko“. Im Blick auf die Arbeitsbedingungen und das Geflecht von bis zu 25 Subunternehmenbetont Laschet, man habe „jetzt die einzigartige Chance, diese Zustände zu beenden, bei denen wir viel zu lange zugeschaut haben“.Schlimmer als Heinsberg und Ischgl

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SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty hat Laschet in der Debatte Führungsschwäche vorgeworfen. Die Regierung sei „ein Risiko für die Pandemiebekämpfung“, Rheda der „größte Virus-Hotspot in ganz Europa“, der Corona-Ausbruch schlimmer als in Heinsberg oder Ischgl.

Es helfe nichts, „die Ausbeutung von Mensch, Tier und Umwelt in der Fleischindustrie jetzt lautstark anzuprangern“, aber auf Bundesebene nichts zu verändern, sagt Monika Düker, Fraktionschefin der Grünen, mit Blick auf die große Koalition in Berlin. Mit ihrer effizienten Lobbyarbeit sei es der Fleischindustrie immer wieder gelungen, Reformen zu verhindern.