Man möchte den Parteien zurufen: Hört auf, ständig Streit in eigener Sache auszutragen und am Ende dafür Karlsruhe anzurufen.
VerfassungsgerichtDie Ampel ist mit der Wahlrechtsreform weit übers Ziel hinausgeschossen
Für die Steuerzahlenden ist es eine gute Nachricht: Der Bundestag wird kleiner. Nach der Wahl im September 2025 werden rund 100 Abgeordnete weniger unter der Glaskuppel im Berliner Reichstagsgebäude sitzen.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die Arbeit der Abgeordneten ist enorm wichtig und wertvoll. Die meisten von ihnen arbeiten hart und weit über normale Bürozeiten hinaus. Ein XXL-Bundestag aber führt zur Selbstblockade und ist teuer – vom Bau der Abgeordnetenbüros in Berlin-Mitte bis hin zum Fahrdienst des Bundestags.
Bundesverfassungsgericht kippt Teile der Wahlrechtsreform: Die Ampelparteien sind übers Ziel hinausgeschossen
Bei den vielen Versuchen, das Wahlrecht so zu reformieren, dass das Parlament nicht bei jeder Bundestagswahl größer wird, haben alle Parteien versagt. Wenn es eines anschaulichen Beispiels bedurft hätte, was eigentlich mit dem Sprichwort gemeint ist, wonach man für die Trockenlegung eines Sumpfes nicht die Frösche fragen darf, dann hat der Dauerstreit um das Wahlrecht diesen Beleg lehrbuchartig geliefert.
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Die Ampelparteien – das zeigt das Verfassungsgerichtsurteil eindeutig – sind mit ihrem Gesetz weit über das Ziel hinausgeschossen. SPD, Grüne und Liberale haben nicht nur die Vergabe der Direktmandate reformiert, sondern wollten auch gleich noch die Grundmandatsklausel abschaffen, was regional verankerte Parteien wie die CSU und die Linke in ihrer Existenz bedroht hätte.
Dass diese Neuregelung nicht nur politisch eine Grenzüberschreitung war, sondern auch verfassungswidrig ist, das haben Experten wie Laien den Ampelparteien gespiegelt. Die Warnungen wurden schlicht ignoriert, was ein schlechter Stil ist und die Arroganz der Macht zeigt. In diesem Punkt ist das Urteil aus Karlsruhe eine Ohrfeige für die Ampel.
Das Herzstück der Wahlrechtsreform hat das Gericht aber stehen lassen. Wenn eine Partei mehr Direktmandate erringt, als es ihrem Zweitstimmenergebnis entspricht, dann dürfen die Direktkandidatinnen und -kandidaten mit den schlechtesten Ergebnissen nicht in den Bundestag einziehen.
Das heißt also, dass der eine oder andere Wahlkreis künftig im Bundestag nicht vertreten sein könnte. Insbesondere Direktkandidaten von CDU, CSU und AfD dürften von der Regelung betroffen sein. Nicht von der Hand zu weisen: Das ist eine Einbuße der direkten Vertretung der Bevölkerung im Parlament. Unter dem Strich haben die Parteien aber keinen Nachteil für die Durchsetzung ihrer politischen Versprechen. Die Zweitstimme bleibt die entscheidende Stimme bei der Bundestagswahl, um die Kräfteverhältnisse im Parlament festzulegen.
Und: Im Gegenzug bekommen kleinere Parteien mit traditionell wenigen Direktmandaten wie die Grünen weniger Überhangmandate zugeteilt. Auch ihre Zahl an Abgeordneten wird durch die Wahlrechtsreform schrumpfen.
Grundsätzlich haben es die Parteien in der Hand, die Wahlkreise per Gesetz neu zuzuschneiden oder zusammenzulegen. Dadurch könnte das Problem im Bundestag nicht vertretener Wahlkreise behoben oder minimiert werden. Es steht aber zu befürchten, dass eine vernünftige Lösung erneut am Frosch-Sumpf-Prinzip scheitert.
Schlimmer noch: Die Union wird sich wahrscheinlich nicht mit dem aus Karlsruhe unbeanstandeten Teil der Wahlrechtsreform zufriedengeben. Sollte sie wieder an die Regierung kommen, ist mit einem Zurückdrehen der neuen Direktmandatsregel zu rechnen. Für die Demokratie wäre ein solches Hickhack ums Wahlrecht Gift. Ein Beitrag zur Parteienverdrossenheit ist es sowieso.
Nun mag man den demokratischen Parteien zurufen: Hört auf, ständig Streit in eigener Sache auszutragen und am Ende dafür Karlsruhe anzurufen. Das Land braucht Politikerinnen und Politiker die Probleme lösen und nicht neue schaffen. Dafür sind 630 Abgeordnete ausreichend.