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Fragen und AntwortenUrteil des Bundes­verfassungs­gerichts zum Wahl­recht: Was es bedeutet

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Blick in den Deutschen Bundestag. (Archivbild)

Blick in den Deutschen Bundestag. (Archivbild)

Das Bundesverfassungs­gericht hat einen Teil des von der Ampel­koalition verabschiedeten neuen Wahl­rechts für verfassungs­widrig erklärt. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Im Juni ist das von SPD, Grünen und FDP verabschiedete Wahlrecht in Kraft getreten. Nun hat das Bundesverfassungsgericht einen Teil der Regelungen kassiert. Worum es geht und was aus dem Urteil folgt.

Warum kam es zur Wahlrechtsreform?

Der Bundestag, darin sind sich alle einig, ist viel zu groß. Ihm sollten eigentlich 598 Abgeordnete angehören. Tatsächlich sind es 734. Das hat mit dem geltenden Wahlrecht zu tun, das zwischen Erst- und Zweitstimmen unterscheidet. Mit der Erststimme können Wählerinnen und Wähler Direktkandidaten ankreuzen, mit der Zweitstimme ihre bevorzugte Partei. Sie entscheidet letztlich über die Zusammensetzung des Parlaments.

Erringt eine Partei aber mit den Erststimmen mehr Wahlkreise, als ihr nach Zweitstimmen Mandate zustehen, entstehen Überhangmandate, die durch Ausgleichsmandate aufgewogen werden. Früher hielt sich deren Zahl in Grenzen. Doch weil es heute mehr kleinere Fraktionen gibt, nimmt die Zahl der Überhang- und Ausgleichsmandate zu. Der Bundestag wächst und könnte noch weiter wachsen. Dem soll ein Riegel vorgeschoben werden, weil so viele Abgeordnete gar nicht nötig und für die Produktivität des Bundestages sogar kontraproduktiv sind. Außerdem kostet das Parlament derzeit pro Jahr rund eine Milliarde Euro.

Warum kommt die Reform so spät und was beinhaltet sie?

Über eine Wahlrechtsreform wurde seit Jahren verhandelt. Als Angela Merkel Kanzlerin war, mahnten sowohl Bundestagspräsident Norbert Lammert als auch sein Nachfolger Wolfgang Schäuble (beide CDU) eine durchgreifende Reform an – ohne Erfolg. Das lag im Wesentlichen an der CSU, die meistens besonders viele Direktmandate holt. Die Ampelkoalition schritt dann zur Tat.

Sie hat im März 2023 ein Gesetz verabschiedet, das auf Überhang- und Ausgleichsmandate ganz verzichtet. Das kann dazu führen, dass ein Bewerber in seinem Wahlkreis die relative Mehrheit der Stimmen holt, aber dennoch nicht in den Bundestag einzieht. Die Direktkandidaten aus der Erststimme bekommen das Mandat laut Gesetz nämlich nur, wenn dies durch das Ergebnis der Zweitstimme gedeckt ist. So soll der Bundestag auf 630 Mandatsträger schrumpfen.

Quasi in letzter Minute wurde von der Koalition zudem noch die so genannte Grundmandatsklausel gestrichen. Sie besagte, dass eine Partei selbst dann in Fraktionsstärke in den Bundestag einzieht, wenn sie drei Direktmandate erringt, aber den vorgeschriebenen Anteil von 5 Prozent der Zweitstimmen nicht erreicht.

Betroffen wären, gemessen an den bisherigen Wahlergebnissen, die Linke und womöglich die CSU. Erstere holte bei der Bundestagswahl 2021 bundesweit 4,9 Prozent, gewann aber drei Direktmandate und kam dadurch mit 39 Abgeordneten in den Bundestag, entsprechend ihrem Zweitstimmenergebnis. Die CSU, die in Bayern bisher fast alle Direktmandate holte, kam 2021 auf 5,17 Prozent.

Wer hat geklagt und warum?

Klage eingereicht haben CSU und Linkspartei, sowie die von der CSU geführte bayerische Staatsregierung. „Diese Wahlrechtsmanipulation der Ampel ist bewusst darauf angelegt, zwei Parteien möglichst aus dem Bundestag zu verdrängen“, sagte der CSU-Landesgruppenvorsitzende Alexander Dobrindt dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vor dem Bekanntwerden des Urteils.

Wie urteilt das Gericht?

Die Aufhebung der Grundmandatsklausel ist nach Ansicht der Karlsruher Richter verfassungswidrig. Die Streichung der Überhang- und Ausgleichsmandate allerdings ließ das oberste deutsche Gericht passieren.

Wie reagieren Koalition und Opposition?

Beide Seiten fühlen sich bestätigt. Die Koalitionsparteien betonen den Teil des Verfassungsgerichts-Urteils, der die Streichung von Ausgleichs- und Überhangmandaten bestätigt. Es sei nun klar, dass der Bundestag verkleinert werden könne, betont etwa SPD-Vize-Fraktionschef Dirk Wiese. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder spricht dagegen von einer „Klatsche für die Ampel“, weil die Streichung der Grundmandatsklausel verworfen wurde. Söder wie auch andere Unions-Vertreter kündigten an, das Wahlrecht wieder zu ändern, falls CDU/CSU die nächste Bundesregierung anführen.

Was bedeutet das Urteil für die Bundestagswahl?

Bei der Bundestagswahl am 28. September 2025 gilt wohl der Teil des im Juni 2023 in Kraft getretenen neuen Wahlrechts, der nicht für verfassungswidrig erklärt wurde. In der Koalition heißt es, nach dem Verfassungsgerichtsurteil sei kein neuer Bundestagsbeschluss nötig - der verfassungswidrige Teil wird sozusagen einfach aus dem Gesetz gestrichen. Die bisherige Grundmandatsklausel gilt dadurch weiter, drei Direktmandate würden in jedem Fall reichen, um in den Bundestag einzuziehen.

In der Opposition gibt es allerdings auch andere Einschätzungen. Die Union hat neue Verhandlungen angeboten. Allerdings wäre der Zeitrahmen dafür knapp, da bereits erste Kandidatenaufstellungen laufen. Diskutiert wird, die Fünfprozentklausel durch eine Vierprozentklausel zu ersetzen oder die Fünfprozentklausel zu regionalisieren. Dann müsste eine Partei, die in den Bundestag will und drei Direktmandate holt, mindestens in einem Bundesland 5 Prozent der Stimmen bekommen. Das wäre eine „Lex CSU“.

Warum wurde das Urteil frühzeitig bekannt?

Das sollte am Dienstag um 10 Uhr veröffentlicht werden, stand aber am Montagabend schon einmal kurzzeitig auf der Internetseite des Bundesverfassungsgerichts. Ob dies eine technische Panne war oder etwa ein Hackerangriff, wird vom Gericht noch geprüft. Denkbar ist etwa, dass bei der Bearbeitung der Dokuments versehentlich eine Sende-Sperrfriste nicht eingerichtet wurde.