Düsseldorf – Die Stimmung ist auf dem Nullpunkt. „So mies habe ich mich seit dem Tod von Jürgen Möllemann nicht mehr gefühlt“, sagt ein Mitglied der FDP-Landtagsfraktion am Montag im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Die Liberalen hatten bei der Landtagswahl mit 5,9 Prozent ein desaströses Ergebnis verbucht. Die ehemals stolze Regierungsfraktion ist auf zwölf Mitglieder zusammengeschrumpft – und wird aller Voraussicht nach in die Opposition katapultiert.
Die Chancen, dass die FDP in einer Ampel weiter regiert, sind derzeit äußerst gering. Denn: Die Grünen müssten sich dazu entscheiden, eine Zusammenarbeit mit den Wahlverlierern SPD du FDP einzugehen. Das wird wohl nur dann geschehen, wenn Koalitionsverhandlungen mit der Union am Ende scheitern sollten. „Derzeit stehen die Zeichen eindeutig auf Schwarz-Grün“, sagt Fraktionschef Christof Rasche. „Die FDP benötigt jetzt vor allem Zeit, um die Ursachen für die schmerzliche Niederlage aufzuarbeiten.“
Fehleranalyse bei der NRW-FDP hat begonnen
Die Fehleranalyse hat schon am Tag nach der Wahlniederlage Fahrt aufgenommen. Am Abend kamen Fraktion und Parteiführung in Düsseldorf zu einem Scherbengericht zusammen. Im Mittelpunkt standen auch zentrale Personalfragen. Kann Parteichef Joachim Stamp, der erst kürzlich für zwei Jahre am Amt bestätigt worden war, die Partei nach der bitteren Niederlage noch aus dem Tal der Tränen führen? Oder muss es jetzt einen harten Schnitt geben? Auch die Fraktion muss sich darüber klar werden, wer künftig an der Spitze der verbliebenen Rumpftruppe stehen soll.
Am Nachmittag zeichnete sich eine Übergangslösung ab. Danach soll Rasche zunächst für ein Jahr im Amt bleiben. „Somit wären wir auch im Fall, dass Koalitionsgespräche geführt werden müssten, sofort handlungsfähig“, hieß es. Die künftige Fraktion besteht überwiegend aus altgedienten Abgeordneten, von denen einige schon seit 2000 an Bord sind. Die Gefahr für Rasche, dass eine Revolte gegen ihn angezettelt wird, gilt als gering. Zumal der smarte Fraktionsgeschäftsführer Hennig Höne, der perspektivisch auf den Chefsessel nachrücken könnte, eine Übergangslösung offenbar mitträgt. Joachim Stamp hat dem Vernehmen nach keine Ambitionen, Fraktionschef werden zu wollen.
Agnes Strack-Zimmermann wird als Parteichefin gehandelt
An der Parteispitze ist die Situation deutlich unübersichtlicher. Hier werden Agnes Strack-Zimmermann und Alexander Graf Lambsdorff als potenzielle Parteichefs ins Spiel gebracht. Eine Kandidatur von Strack-Zimmermann würde wohl von vielen Liberalen begrüßt. Sie gehört zu den Bundespolitikern, die positiv wahrgenommen werden. Möglicherweise habe auch Justizminister Marco Buschmann Interesse an einer Kandidatur, hieß es. Der Liberale aus Gelsenkirchen war früher bereits Generalsekretär der NRW-FDP und hat im Ruhrgebiet viel Rückhalt.
Unklar ist, wie es mit FDP-Minister Andreas Pinkwart weitergeht. In seinem Umfeld sitzt der Frust über den Wahlkampf von CDU-Spitzenkandidat Hendrik Wüst tief. Der Vorwurf: Der Ministerpräsident habe dem Juniorpartner die Luft abgeschnürt und klare FDP-Erfolge bei der Energiewende und dem Kohleausstieg auf sein Ticket gebucht. Immer wieder habe Wüst davon gesprochen, dass die Transformation des Industrielands NRW zu seinen wichtigsten Themen zählten, man Industrie und Klimaschutz miteinander versöhnen müsse.
„Das von uns geführte Wirtschaftsministerium hat dafür die Grundlagen gelegt“, sagt ein Insider und erinnert an die Initiative „IN4Climate NRW“, die Unternehmen auf dem Weg zur klimaneutralen Produktion begleiten soll. „Wenn es zu einer schwarz-grünen Regierung kommt, kann Mona Neubaur hier sofort loslegen. Sie findet ein bestelltes Feld vor.“ Pinkwart wäre auch für eine Ampel offen. „Manchmal hocken Spieler lange auf der Ersatzbank, werden dann in der 89. Minute eingewechselt und machen den entscheidenden Treffer“, hört man aus der Partei.
Unklar ist die Zukunft von Schulministerin Yvonne Gebauer. Der Schulpolitik wird eine Hauptschuld am Absturz der NRW-FDP zugeschrieben. Es sei gut möglich, dass sie ihr Mandat nicht antreten werde, hieß es. Möglicherweise würde auch Justizstaatssekretär Dirk Wedel verzichten. Dann wäre der Weg für zwei Nachrückerinnen frei.
Gesundheitsexpertin Susanne Schneider und die schulpolitische Sprecherin Franziska Müller-Rech haben den Einzug in den Landtag knapp verfehlt. Wenn sie in die Fraktion nachrücken könnten, würde das die Schlagkraft der verbliebenen Landtagsliberalen verbessern. Noch ist aber offenbar nichts entschieden. Es wird wohl noch ein paar Tage dauern, bis die Liberalen den bitteren Wahlschock verdaut haben.