Berlin/Wien – Mit massiver Kritik haben die Grünen auf die Entscheidung der EU-Kommission zur sogenannten Taxonomie reagiert. Durch die Entscheidung, Atomkraft und Erdgas als nachhaltig und damit förderwürdig einzustufen, sei die Taxonomie als EU-Ökosiegel für nachhaltige Investitionen entwertet, sagte die Parteivorsitzende Ricarda Lang am Mittwoch. „Statt Greenwashing zu verhindern, macht die EU-Kommission die Taxonomie damit selbst zu einem Greenwashing-Instrument“.
Die Neuerung in der sogenannten EU-Taxonomie sieht vor, dass Investitionen in neue Gas- und Atomkraftwerke in der Europäischen Union künftig unter bestimmten Auflagen als klimafreundlich gelten sollen. Trotz massiver Kritik nahm die Europäische Kommission am Mittwoch einen entsprechenden Rechtsakt an.
Die Grünen wollten sich dafür einsetzen, dass die Bundesregierung mit „Nein“ stimmt, sagte Lang, die am vergangenen Wochenende zur neuen Co-Vorsitzenden gewählt worden war. Zudem gelte es, die Erfolgsaussichten für eine Klage gegen den Rechtsakt zu prüfen. „In diesem Fall würde es Sinn ergeben, dass Deutschland sich den intendierten Klagen vieler EU-Mitgliedsländer anschließt.“
CSU kritisiert Angriff auf europäischen Vorschlag
Die CSU im Bundestag hat die Bedenken der Ampel-Regierung gegenüber den Plänen der EU-Kommission zur „grünen“ Einstufung von Gas- und Atomkraftwerken kritisiert. Er habe „kein Verständnis dafür, dass die Bundesregierung einen europäischen Vorschlag angreift, ohne zu sagen, wie man an anderer Stelle in einem europäischen Energiemarkt die Energieversorgung sicherstellen könnte“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt am Mittwoch bei einer Klausur der Bundestagsabgeordneten seiner Partei in Berlin.
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Nachdem es noch Änderungen gerade im Gasbereich gegeben habe, solle man „deutlich konzilianter mit diesen Vorschlägen umgehen, als die Bundesregierung das tut“, um die Grundversorgung mit Energie in Europa nicht zu gefährden, forderte Dobrindt. Deutschland gehe mit dem gleichzeitigen Ausstieg aus der Kohle und der Kernenergie einen singulären Weg. Es sei „grundfalsch, zu glauben, man könnte unsere Entscheidungen, was den Energiemix in Deutschland anbelangt, auf alle anderen europäischen Länder übertragen“
Linke und FDP beziehen Stellung
Die Vorsitzende der Linken, Janine Wissler, hat die Bundesregierung aufgefordert, gegen die umstrittene EU-Einstufung von Gas und Atomenergie als nachhaltige Investition vorzugehen. „Das einzige wirksame Instrument, die widersinnige Einstufung von Gas und Atom als nachhaltige Energiequellen zu verhindern“, sei eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof, sagte Wissler am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. Von den „Spitzen der Ampel“ aus SPD, Grünen und FDP werde dieser Weg aber „noch nicht einmal erwogen“, kritisierte die Linken-Chefin. „Die Bundesregierung schickt sich an, sich beim Klimaschutz wegzuducken. Das wäre fatal.“
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Lukas Köhler begrüßt die Entscheidung der EU zur Einstufung von Gaskraftwerken als nachhaltige Investition. „Die Einstufung von Gas als Brückentechnologie in der Taxonomie ist grundsätzlich die richtige Entscheidung, um ehrgeizigen Klimaschutz mit einer sicheren Energieversorgung zu verbinden“, sagte Köhler am Mittwoch. „Ohne massive Investitionen in neue Gaskraftwerke wäre der Kohleausstieg in Deutschland nicht nur 2030, sondern auch weit darüber hinaus völlig unrealistisch“, bekräftigte der FDP-Politiker.
Österreich bezieht klare Position
Österreich will gegen die von der EU-Kommission beschlossene Aufnahme von Atomenergie und Gas in die sogenannte Taxonomie-Verordnung klagen. Die österreichische Klimaschutzministerin Leonore Gewessler sagte bei einer Pressekonferenz am Mittwoch in Wien, ihr Ministerium werde in den kommenden Wochen „alle rechtlichen Schritte vorbereiten“ und bei einem Inkrafttreten des Kommissionsbeschlusses beim Europäischen Gerichtshof „mit einer Nichtigkeitsklage dagegen vorgehen“. Der Beschluss der EU-Kommission komme einem „Greenwashing für Atom und Erdgas“ gleich.
Sie halte die Entscheidung der EU-Kommission sowohl „inhaltlich“ als auch „rechtlich“ für falsch, sagte Gewessler. Sie sei davon überzeugt, „dass es keine Rechtsgrundlage gibt für ein Greenwashing von Atomenergie“. Atomenergie leiste „keinen Beitrag zum Klimaschutz“ und stelle überdies eine Gefahr für Mensch und Umwelt da, sagte Gewessler. Die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima hätten dies „gut dokumentiert“. Mit Blick auf die Einstufung von Erdgas als „grün“ warf Gewessler der EU-Kommission auch Verantwortungslosigkeit gegenüber künftigen Generationen vor. Wie kaum jemals zuvor zeige die aktuelle Zeit, „welche dramatischen Folgen unsere Abhängigkeit vom fossilen Erdgas, von russischen Gaskonzernen hat“, beklagte sie. Die Antwort könne nur lauten: „Raus aus dieser Abhängigkeit, rein in die Unabhängigkeit“. Unabhängigkeit gebe es aber nur mit erneuerbaren Energien. „Wind und Sonne schicken uns keine Rechnung, Gaskonzerne schon“, sagte sie.
„Österreich wird sich nicht aus der Verantwortung stehlen“, betonte Gewessler. Parallel zu dem formalen Prozess, in dem der Rat der EU und das Europaparlament dem Kommissionsbeschluss zustimmen müssen, werde ihr Ministerium juristische Schritte gegen den Beschluss vorbereiten. Mit einer Ablehnung im EU-Rat sei nicht zu rechnen, räumte Gewessler ein. Anders sehe es möglicherweise im EU-Parlament aus. Um das für 2023 geplante Inkrafttreten der neuen Regeln zu verhindern, müssten mindestens 20 Mitgliedstaaten oder eine absolute Mehrheit im EU-Parlament dagegen stimmen. (dpa/red)