Acht Jahre nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz erschüttert ein ähnlicher Anschlag Magdeburg. Beide Fälle sind aber nur bedingt vergleichbar. Vorschnelle Erklärungen verbieten sich.
Angriff in MagdeburgDer Fall Taleb A. passt in kein Raster, liefert aber Anhaltspunkte
Die Hinterbliebenen des Anschlags auf dem Berliner Breitscheidplatz, der 13 Menschenleben forderte, hatten am Freitagabend ein grausames Déjà Vu. Sie fühlen sich durch die jüngste Tat auf dem Weihnachtsmarkt von Magdeburg an das eigene schreckliche Schicksal erinnert. So wie den Hinterbliebenen des 19. Dezember 2016 geht es jetzt vielen.
Die Gefühle jener Tage stellen sich unmittelbar auch bei jenen ein, die nicht selbst betroffen sind – allen voran das Mitgefühl mit den Angehörigen der Toten und das Hoffen mit den Verletzten. Dabei ist Empathie mit den Opfern nicht nur human. Sie schützt zudem vor vorschnellen Erklärungen und abstoßenden Schuldzuweisungen, die nun wieder an der Tagesordnung sind und das Problem eher noch vergrößern.
Bei Taleb A., dem Täter von Magdeburg, liegt der Fall anders als vor acht Jahren in Berlin
Bei Lichte besehen trägt der Vergleich zwischen dem, was in Magdeburg geschah, und dem Breitscheidplatz indes nicht weit – außer dass die Täter einen Migrationshintergrund hatten und auf Weihnachtsmärkten losschlugen. Darum verbieten sich just jene vorschnellen Erklärungen.
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Die brutale Tat des Tunesiers Anis Amri passt in ein Muster. Da tötete ein Mann wahllos Menschen, der aus einem muslimischen Land kam, jung und schlecht integriert sowie den Behörden wohl bekannt war. Bei Taleb A., dem Täter von Magdeburg, ist das anders. Er ist deutlich älter, als Amri es war. Er lebt länger hier, hat einen Beruf und eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Vor allem begründet er sein Handeln nicht mit dem Koran. Im Gegenteil, Taleb A. spricht wie ein Rechtspopulist und behauptet, „dass die offene Grenzpolitik ein Plan von (Angela) Merkel war, Europa zu islamisieren“.
Zugleich sind seine jüngsten Statements so verwirrend, dass nicht bloß der Verdacht naheliegt, hier habe sich ein Muslim zum Islamfeind entwickelt, sondern auch ein Facharzt für Psychiatrie zum psychisch Kranken. Dieser Fall passt in kein Raster. Schlussfolgerungen können bestenfalls vorläufig sein.
Der Islam dient zur Legitimation von Gewalt, er ist nicht deren Ursache
Zum ersten gibt es mittlerweile unzählige Beispiele dafür, dass besonders sozial nicht oder schlecht integrierte Menschen für Extremismus anfällig sind. Das gilt für Deutsche mit und ohne Migrationshintergrund. Freilich kann das Risiko bei Flüchtlingen oder anderen Migranten wegen der schlechteren Integration höher sein. Das gilt umso mehr, wenn es sich um traumatisierte Menschen aus Ländern handelt, in denen Gewalt wie in vielen muslimischen an der Tagesordnung ist. Der Islam dient zur Legitimation von Gewalt, er ist nicht deren Ursache. Die Legitimation kann – siehe Magdeburg – anders, ja sogar gegenteilig ausfallen.
Zum zweiten sind Extremismus und Terrorismus Ergebnis polarisierter Gesellschaften. Deutschland beweist das. Dabei ist Migration ein Thema, das zur Polarisierung beiträgt – auch unter Migranten. Viele von ihnen stehen weiterer Zuwanderung skeptisch bis ablehnend gegenüber. Unter ihnen kann sich diese Ablehnung ebenfalls ins Extreme steigern.
Wir wissen noch zu wenig über den Schrecken von Magdeburg, um fertige Urteile zu fällen. Er liefert aber Anhaltspunkte, was getan werden muss - über die Arbeit von Sicherheitsbehörden und die Frage, was sie wann etwa von saudi-arabischen Kollegen wussten, hinaus.
Wer Extremismus vorbeugen will, der muss für Integration sorgen. Dazu kann gehören, Migration da zu begrenzen, wo Integration nicht mehr gelingen kann. Er muss ferner der Polarisierung entgegenwirken. Nur dann besteht eine Chance, dass der Schrecken abnimmt.