Köln – Laila H.* ist Angestellte bei einem Kölner Online-Dienstleister. Ihre Aufgaben erledigt sie per Telefon oder E-Mail, Gespräche mit Kunden finden in Form von Videokonferenzen statt. Das war schon vor Corona so, an H.’s Arbeitsalltag hat sich seit Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 nicht viel verändert. Zu wenig, findet sie. Denn obwohl sie ihren Beruf problemlos aus dem Homeoffice erledigen könnte, besteht ihr Arbeitgeber nach wie vor darauf, dass sie und ihre Kollegen täglich im Großraumbüro erscheinen. Er finde, Heimarbeit sei „ein Privileg, das man sich verdienen muss” – auch in Zeiten einer globalen Virus-Krise.
Als junge Mutter stellt H. diese Einstellung ihres Chefs vor große Schwierigkeiten: Ihr Mann ist gerade aus der Elternzeit raus, also müssen ihre Eltern die Betreuung ihres zwölf Monate alten Babys übernehmen – beide gehören zur Risikogruppe. Aber es geht nicht anders. „ Ich gehe also nun mit FFP2-Maske ins Büro, um meine Eltern zu schützen, die kommen, um mein Kind zu betreuen, damit mein Chef mich weiter zwingen kann, bloß im Büro zu sitzen”, berichtet H. Von der Politik fühle sie sich im Stich gelassen, besonders von der CDU, „denn Entbehrungen und Verantwortung werden allen abverlangt, nur nicht den Dienstleistungsfirmen mit Homeoffice-Phobie”.
Wie H. geht es derzeit vielen Menschen in Deutschland. Seit Montag gilt im Kampf gegen die Ausbreitung des Corona-Virus zwar bundesweit ein verschärfter Lockdown, doch während die meisten Bereiche des gesellschaftlichen und privaten Lebens strengen Regeln unterworfen wurden, gilt für Arbeitnehmer, die in Bürojobs arbeiten, lediglich eine „dringende Empfehlung”, Homeoffice wo immer irgend möglich umzusetzen. Sie verlasse sich auf die Bereitschaft vieler Arbeitgeber, ihre Mitarbeiter in die Heimarbeit zu schicken, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Zur Konsequenz hat das nun offenbar, dass die Menschen sich vielerorts nicht weiter als 15 Kilometer von ihrem Zuhause entfernen dürfen, täglich aber 80 km zur Arbeit fahren. So auch Lisa B.*, die als Kundenberaterin im Oberbergischen Kreis arbeitet, wo der Inzidenzwert die Marke von 200 längst überschritten hat. Weil ihr Geschäftsstellenleiter dennoch von seinen Kundenberatern Präsenz verlange, müsse sie nun jeden Tag in ein Hochrisikogebiet einreisen, sagt B.
Debatte auf Twitter: #MachtBürosZu
Unlängst ist auf Twitter eine Debatte entbrannt, geführt unter dem Hashtag #MachtBürosZu. Warum, fragen dort Menschen wie die Berliner Grünen-Politikerin Laura Sophie Dornheim, wird Kindern verboten, mit ihren Freunden zu spielen oder in der Schule zu lernen, während ihre Eltern nach wie vor Tag für Tag in vollen Bussen und Bahnen ins Großraumbüro fahren müssen? Ihrem Aufruf, ihr von den eigenen Erfahrungen mit dem Arbeitgeber zu berichten, folgten mehr als 500 Menschen.
Auch der „Kölner Stadt-Anzeiger” hat seine Leser und Leserinnen dazu aufgerufen, von ihrer Situation zu erzählen. Viele Nachrichten haben uns erreicht – positive wie negative. Von Menschen, die ihre Arbeitgeber loben für ihren verantwortungsbewussten Umgang mit der Pandemie, aber auch von Menschen, die verzweifelt sind und Angst haben, sich im Büro anzustecken, sich aus Angst vor Jobverlust aber nicht trauen, ihre Aufgaben entgegen dem Willen ihres Unternehmens im Homeoffice zu erledigen – obwohl sie könnten. Zum Schutz ihrer Privatsphäre wurden sämtliche Namen verändert. Auffällig ist: Besonders viele Beschwerden erreichten die Redaktion von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes.
Problematisch sind vor allem die vollen Busse und Bahnen
Luca W.* arbeitet in der Stadtverwaltung eines Grünen Bürgermeisters. Mit dem ÖPNV fährt W. jeden Morgen ins Großraumbüro in einem Gebäude, dessen Fenster sich nicht öffnen lassen. Telearbeit wäre problemlos möglich, sagt auch W. Doch „wird hier das Thema Homeoffice erwähnt, verzieht der Vorgesetzte das Gesicht. Selbst war er noch nie im Homeoffice. Verständnis habe ich dafür mittlerweile nicht mehr.”
Immerhin gebe es ein strenges Hygienekonzept: Masken, Desinfektion, Abstand halten. Davon berichten viele. Das Problem vielmehr seien die vollen Bahnen und Busse auf dem Arbeitsweg. Wer kein Auto habe, sei nunmal darauf angewiesen. Viele wundern sich: Im Frühjahr, im ersten Lockdown, sei das noch ganz anders gewesen. Der ÖPNV sei beinah leer gewesen, doch jetzt quetschten sich die Menschen zu den Stoßzeiten nur so in die Waggons. Und tatsächlich belegt eine repräsentative Studie der Hans-Böckler-Stiftung, dass der Anteil derer, die im Homeoffice arbeiten im Vergleich zum April 2020 um beinahe die Hälfte zurückgegangen ist: von 27 Prozent der Befragten auf nur noch 14 Prozent im November 2020.
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Einen Anteil daran dürften nicht allein notorisch Heimarbeits-feindliche Arbeitgeber haben, viele Beschäftigte wollen schlicht nicht von zuhause aus arbeiten. Einige, weil sie sich im Büro einfach besser konzentrieren können, einige, weil die kleine Stadtwohnung nicht die nötigen Gegebenheiten zum konstruktiven Arbeiten bietet, einige aus Angst vor der Isolation am heimischen Küchentisch. Fehlt der Austausch mit den Kollegen, nagt das irgendwann an der Psyche. Einige kommen damit besser klar, andere weniger gut.
Das eigentliche Problem beginnt erst dort, wo Arbeitgeber aus Angst, ihre Mitarbeiter nicht kontrollieren zu können, schlicht allen die Möglichkeit verwehren, von zuhause aus zu arbeiten. Eine Leserin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, beobachtet ähnliches: „Das fällt offensichtlich vielen Führungskräften, die daran gewohnt sind, stets direkten ‚Zugriff' auf ihre Mitarbeiter zu haben, auffallend schwer. Neue Führungs-Methoden müssen erlernt werden, Veränderungen verstanden und begleitet werden - das ist harte Arbeit, und das ‚alte’ System war ja auch viel einfacher, vordergründig.”
Anfangen sollte die Bundesregierung mit einer verbindlichen Pflicht zum Homeoffice, wenigstens für ein paar Wochen – diese Forderung an Merkel und die Länderchefs stellen jedenfalls viele Leser und Leserinnen.
*Name geändert