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„Schallende Ohrfeige für Akteure“Stamp will Finanzierung für Flüchtlingshilfe kürzen

Lesezeit 3 Minuten

150 000 Flüchtlinge leben derzeit in NRW.

  1. Der Integrationsminister Joachim Stamp will Beraterstellen künftig nur zu 80 Prozent finanzieren.
  2. Das trifft das System hart – Viele Träger werden wohl aussteigen müssen, das Angebot verkleinert sich.
  3. Dabei benötigen die Geflüchteten oft besonders dringend Unterstützung. Wegen erlebter Traumata, aber auch um das Rechtssystem zu navigieren.

Düsseldorf – In NRW leben derzeit rund 150.000 Flüchtlinge, über deren Bleibeperspektive noch nicht entschieden ist. Viele von ihnen haben Grauenvolles erlebt, 40 Prozent gelten als traumatisiert. Die Flüchtlingsberatungsstellen bieten den Flüchtlingen Unterstützung und eine psychosoziale Betreuung an. „Solche Angebote stehen jetzt auf der Kippe“, sagte Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Das liege an dem geplanten Kahlschlag bei der Landesförderung der Personalkosten. „Viele Träger werden aus der Flüchtlingsberatung aussteigen müssen“, befürchtet Prölß. „Das Land lässt die Flüchtlinge mit ihren Problemen im Regen stehen. Damit erweist man der Integration einen Bärendienst.“

Träger bekommen 80 Prozent der Personalkosten erstattet

NRW-Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) will die Regeln des Förderprogramms „Soziale Beratung von Geflüchteten“ ab dem kommenden Jahr ändern. Dann müssen die Wohlfahrtsverbände bis zu 15.000 Euro pro Vollzeitstelle selbst finanzieren. „Das Land legt als Grundlage für die Förderung das Gehalt von Berufseinsteigern zugrunde“, kritisiert Claus-Ulrich Prölß.

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„In der Flüchtlingsberatung arbeiten aber Menschen mit einer hohen Expertise. Man braucht viel Erfahrung, um das Ausländer- und Asylrecht zu durchblicken.“ Die Träger der Flüchtlingshilfe wissen nicht, wie sie die Gehälter der altgedienten Spezialisten weiter bezahlen können. Die Wohlfahrtsverbände bekommen künftig nur noch maximal 80 Prozent der bisherigen Personalkosten erstattet.

Qualitativ hochwertige Beratungsarbeit kaputt gemacht

Die Flüchtlingshilfe sieht das als Zeichen von mangelnder Wertschätzung und als Angriff auf die Tariflöhne der Träger. Michael Mommer, Vorstandsvorsitzender AWO Bezirksverband Mittelrhein, spricht von einem „massiven Vertrauensverlust“. Auch Frank Johannes Hensel, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege, ist entsetzt. Das Zusammenwirken von freien Trägern, Kirchen und Flüchtlingsinitiativen mit dem Ministerium sei „ernsthaft gefährdet“.

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In der kommenden Woche wird sich der Integrationsausschuss des Landtags mit den Kürzungen befassen. Das hatte Berivan Aymaz, Landtagsabgeordnete der Grünen aus Köln beantragt. Die qualitativ hochwertige soziale Beratungsarbeit für Geflüchtete werde von Stamp „in neoliberaler Manier kaputtgespart“, sagte Aymaz dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Land will sich stärker an Kosten für Dolmetscher beteiligen

Die Kürzungen seien „eine schallende Ohrfeige für alle Akteure aus der Beratungsarbeit“ und stellten „einen katastrophalen Paradigmenwechsel“ dar. Die Flüchtlinge würden unter den Bedingungen der Pandemiezeit besonders leiden. Es sei unverantwortlich, der qualifizierten Beratungsarbeit die Grundlage zu entziehen.

Das Flüchtlingsministerium wies darauf hin, dass der Etat für die Flüchtlingsbetreuung insgesamt erhöht werden soll. So will sich das Land künftig verstärkt an den Einsatzkosten für Dolmetscher beteiligen. „Die Verringerung einzelner Stellen geht auf die erheblich niedrigeren Zugänge Asylsuchender zurück“, hieß es auf Anfrage. Das Verfahren solle „stärker als bisher auch für neue Träger geöffnet“ werden. Im Jahr 2019 hatten knapp 26 000 Menschen einen Asylantrag in NRW gestellt. Das waren 15 Prozent weniger als im Vorjahr.