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Flut-KatastropheReul bereut, keinen Krisenstab einberufen zu haben

Lesezeit 4 Minuten
Wiederaufbau Bad Münstereifel

Überall Müll und Schrott in den Straßen wie hier in Bad Münstereifel.

Düsseldorf – Beim Umgang mit der Juli-Flut hat der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul einen Fehler eingeräumt. „Im Nachhinein würde ich den Krisenstab des Landes aus symbolischen Gründen aktivieren“, sagte der Minister. „Das hätte das Signal an die Bevölkerung ausgesendet, jetzt ist es ernst.“

Inhaltlich und operativ aber hätte die kleinere Koordiniersgruppe exakt dieselben Aufgaben erfüllt, so Reul.. „Da waren alle Fachleute vertreten, die notwendig waren. Und wenn der große Krisenstab getagt hätte, wäre kein Haus weniger eingestürzt und kein Menschenleben mehr gerettet worden.“

164 Millionen Euro bereits angewiesen

Bei der Hochwasserkatastrophe Mitte Juli starben in NRW nach bisherigem Stand 49 Menschen, es entstanden nach ersten Schätzungen Schäden in Höhe von 13 Milliarden Euro. Sechs Wochen nach der „verheerenden Flut“ seien bisher 164 Millionen Euro angewiesen, wodurch zumindest „die Grundversorgung in den betroffenen Gebieten weitestgehend wiederhergestellt“ sei, so Reul.

Alles zum Thema Herbert Reul

Der Minister kündigte an, das Sirenennetz in NRW flächendeckend neu aufzubauen. Neue Anlagen müssten aber zugleich als Lautsprecher nutzbar sein, sagte der CDU-Politiker aus Leichlingen. Wenn ein Sirenenalarm ausgelöst werde, müssten die Menschen auch darüber informiert werden, was genau zu tun ist.

Sirenennetz in NRW soll ausgebaut werden

„Die Warnung soll schließlich keine Panik auslösen, sondern helfen“, sagte Reul. Deshalb sollten sich die Leitstellen in den Kommunen im Katastrophenfall zukünftig bestenfalls direkt in die Programme der Lokalradios einschalten können. Der öffentliche-rechtliche WDR war in die Kritik geraten, weil er sein Programm nicht frühzeitig geändert hatte.

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Die bei Unwetterwarnungen vorgeschriebene Meldekette von den Behörden wie dem Deutschen Wetterdienst (DWD) über die Ministerien, den Bezirksregierungen bis hin zu den Kreisen und kreisfreien Städten müssten überarbeitet werden, ergänzte NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser: „Teilweise stammen die aus den 1970er Jahren.“

Bisher keine Hochwasser-Prognosen für kleine Flüsse

Zudem werde derzeit ein „Prognosetool entwickelt, um eine Hochwasserprognose auch an den kleinen Flüssen zu ermöglichen“. Die vom Deutschen Wetterdienst vorhergesagten Regenmengen sollen in dem neuen System schnell in zu erwartende Pegelstände umgerechnet werden. Dafür sei es auch notwendig zu berücksichtigen, wie vollgesogen die Böden bereits sind.

Beim Hochwasser Mitte Juli hätten die Böden teilweise wie versiegelte Flächen gewirkt, weil sie kein Wasser mehr aufnehmen konnten. Beim Landesumweltamt sei ein solches Vorhersagesystem bereits seit zwei Jahren im Testbetrieb.

Flutwelle entwickelte sich in wenigen Stunden

„Die Wucht der Juli-Flut war einzigartig“, so Heinen-Esser. An der Erft beispielsweise sei der Pegel innerhalb eines Tages von 30 bis 60 Zentimeter auf 2,30 Meter angestiegen, der höchste Wasserstand sei am Pegel Bliesheim mit 4,05 Meter gemessen worden. „Innerhalb von 22 Stunden hat sich der Wasserstand vervierfacht.“ An einigen kleinen Flüssen habe sich die Flutwelle sogar „in weniger als vier Stunden“ entwickelt. „Nach vorläufigen Schätzungen tritt ein solch außergewöhnliches Ereignis seltener als einmal in zehntausend Jahren auf.“

Reul

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) besichtigt die Unwetter-Schäden

Sie fürchte allerdings, „dass wir mit solchen Situationen zukünftig häufiger konfrontiert sind“, so die Ministerin. Überprüft werden müsse deshalb auch der „technische Hochwasserschutz entlang der Flüsse, beispielsweise ob es weitere Rückhaltebecken und Überflutungsflächen gibt oder ob die Wasserhaltung in den Talsperren verändert werden muss“.

Extreme Wetterlagen immer wahrscheinlicher

Bislang ging man in NRW nur von Winterhochwässern aus, weshalb die Talsperren schon vor dem Juli-Starkregen äußerst gefüllt waren. Im Juli waren mehrere Talsperren in NRW wie etwa die Bever- und die Wuppertalsperre übergelaufen. Die Steinbachtalsperre nahe Euskirchen geriet nach Rissen am Bauwerk sogar zeitweise in eine kritische Lage und drohte zu brechen.

Ex-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU)

Auch die für die Kieswirtschaft dürfte die Katastrophe Konsequenzen haben. In Hochwassergebieten werde es wohl künftig keine neuen Gruben mehr geben können, deutet Heinen-Esser an. Derzeit werde geprüft, ob bei der Kiesgrube in Erftstadt-Blessem, die bei ihrem Einsturz mehrere Häuser in die Tiefe gerissen hatte, alle Auflagen eingehalten worden seien.

Untersuchungsausschuss rückt immer näher

Guido Halbig, Leiter der Niederlassung Essen des Deutschen Wetterdienstes (DWD), warnte davor, sich auf die bisherigen Wahrscheinlichkeitsrechnungen zu verlassen. „Aufgrund des Klimawandels müssen wir uns darauf einstellen, dass wir es innerhalb von kurzen Zeitspannen mit extremen Wetterereignissen zu tun haben. Was jetzt ein hundertjähriges Ereignis ist, könnte am Ende des Jahrhunderts ein zehnjähriges sein.“

Ein Untersuchungsausschuss im Zusammenhang mit der Flut wird immer wahrscheinlicher. Die SPD im Landtag hat die Landesregierung aufgefordert, ihre Telekommunikationsdaten zu veröffentlichen. Schwarz-Gelb müsse sich weiterhin fragen lassen, „was sie in dem Zeitraum vor dem 14. Juli mit den ihr vorliegenden Informationen gemacht hat“. Schließlich sei „das Märchen von der Unvorhersehbarkeit klar widerlegt“, so der SPD-Landtagsabgeordnete Andre Stinka: „Bereits mit den Daten des European Flood Awareness Systems (EFAS) war seit dem 9. bzw. 10. Juli klar, dass ein schlimmes Unwetter mit großen Flutgefahren für weite Teile von NRW kommen würde und dass es selbst an kleinen Bächen zu gefährlichen Überschwemmungen kommen kann.“

Opposition spricht von „Regierungsversagen“

Auch die Grünen sehen weiteren Aufklärungsbedarf. „Innen- und Umweltministerium hätten die Hochwassergefahr erkennen und Kommunen und Bevölkerung entsprechend warnen müssen“, sagte Verena Schäffer, Innenexpertin der Grünen.

Es sei ein „Versagen dieser Landesregierung“, dass sie keine Bewertung der Unwetterwarnungen vorgenommen und die Kommunen bei der „Übersetzung“ der Gefahrenlage auf deren örtliche Gegebenheiten nicht unterstützt und letztlich zum Handeln aufgefordert habe.