In Bonn lebte die Kanzlerin auf 70 QuadratmeternMerkels emotionale Beziehung zu NRW
Düsseldorf – Armin Laschet wirkt verblüfft und fröhlich zugleich. Hatte Sie das gerade wirklich gesagt? Bei einer Pressekonferenz im Düsseldorfer Ständehaus bescheinigt Angela Merkel dem Ministerpräsidenten von NRW, dass er kanzlertauglich sei: „Wenn man das größte Bundesland Deutschlands regiert, dann ist das ein Rüstzeug, das durchaus Gewicht hat“, verkündet die Regierungschefin im August 2020. So klar hatte sich Merkel bis dahin noch nicht positioniert. Ein Ritterschlag, der damals für Laschet enorm wichtig war. Denn zuvor hatten sich die CDU-Landesverbände Berlin und Hamburg schon klar für Markus Söder als Kanzlerkandidaten ausgesprochen.
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Merkel war an diesem Sommertag nach NRW gekommen, um an einer Sitzung des NRW-Kabinetts zur damaligen Corona-Lage teilzunehmen. Es kommt nicht häufig vor, dass die Bundeskanzlerin einer Landesregierung die Gunst eines Besuchs erweist. Aber Merkel fühlt sich mit Nordrhein-Westfalen besonders verbunden. Der Grundstein für ihre steile Karriere wurde hier gelegt. „Für Merkel begann alles in NRW“, sagt ein Mitglied des CDU-Landesvorstands. „Sie hat eine emotionale Bindung an unser Bundesland“.
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Merkel geht im Siebengebirge wandern
Die Elfstraße im Bonner Ortsteil Bad-Godesberg. Dort lebt Merkel, als sie 1990 in die ehemalige Bundeshauptstadt umzieht, in einer 70-Quadratmeter-Parterrewohnung mit Zugang in den rückseitigen Garten. Bis heute sind die speziellen Sicherungen an Türen und Fenster zu erkennen. Die wurden nötig, als Merkel 1991 als Bundesministerin für Frauen und Jugend ins Kabinett von Helmut Kohl berufen wurde. Die Bundeskanzlerin betont bis heute, wie gut ihr diese Zeit in Bonn gefallen hat. Wenn sie am Wochenende etwas Freizeit hatte, nutzte sie die gerne mit ihrem Mann Joachim Sauer zum Wandern im nahen Siebengebirge.
Der Durchbruch gelingt in Essen
Im Jahr 2000 beginnt der Durchbruch von Merkel in der Bundes-CDU. Wieder in NRW, diesmal in Essen. Die CDU sucht einen Nachfolger für Parteichef Wolfgang Schäuble. Die NRW-CDU, der größte Landesverband der Partei, zögert nicht lange, stellt sich fast geschlossen hinter die junge Generalsekretärin. Teilnehmer der Regionalkonferenzen in NRW, die ein wichtiges Barometer für die Stimmung an der Basis waren, erinnern sich noch an den minutenlangen Applaus für Merkel. Am 10. April 2000 wird sie beim Bundesparteitag in der Grugahalle mit 95,9 Prozent der Stimmen zur neuen CDU-Chefin gewählt. Ein Erfolg, der ohne die Unterstützung aus NRW wohl nicht so glanzvoll ausgefallen wäre.
Nach dem Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin sind es CDU-Politiker aus NRW, die Merkel bei den Regierungsgeschäften an der Spree beraten. Das fällt auf, weil die Bundeskanzlerin nicht gerade dazu neigt, Parteifreunde in ihre Entscheidungen einzubinden. Merkel misstraut Teilen der Führungsmannschaft, und das nicht ohne Grund. 2002 zieht die Partei lieber mit dem CSU-Politiker Edmund Stoiber als Kanzlerkandidat ins Rennen. Und vor der Bundestagswahl 2005 steht schon eine Riege um den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch in den Startlöchern, um Merkel im Fall ihres Scheiterns zu stürzen.
Peter Hintze wird wichtiger Berater
Einer der handverlesenen Vertrauten in dieser Zeit ist der CDU-Politiker Peter Hintze. Der humorvolle Pfarrer aus Königswinter, wie Merkel Protestant, war zu Kohls Zeiten Generalsekretär der CDU. „Der Peter“ kennt sich in der Union aus wie kaum ein anderer. Hintze hilft Merkel dabei, Fallstricke zu erkennen und die Machtstrukturen der alten West-CDU zu verstehen. Schon als Merkel Familienministerin wurde, stand Hintze ihr bei der Führung des Hauses als Staatssekretär zur Seite. Der EU-Experte ist auch in außenpolitischen Fragen ein wichtiger Berater, wenn die Lage schwierig wird.
Keine Rücksicht auf Jürgen Rüttgers
Weniger eng ist der Draht zu Jürgen Rüttgers. Dabei hatte der frühere NRW-Ministerpräsident mit seinem Sieg bei der Landtagswahl im Jahr 2005, die zu Neuwahlen im Bund führten, Merkel den Weg zur Machtübernehme frei gemacht. Doch das zahlt sich für Rüttgers nicht aus. Im Gegenteil: 2010 verhagelt ihm Merkel die sicher geglaubte Wiederwahl, als sie ohne Rücksicht auf Verluste ausgerechnet vor dem Wahlwochenende verkündet, dass der Bund die unpopulären Finanzhilfen für Griechenland zahlen will. Nach der Pleite der CDU wird das Land sieben Jahre lang von Rot-Grün regiert.
Laschet verteidigt Flüchtlingspolitik
In NRW übernimmt Laschet 2012 den Parteivorsitz. Der Mann, der jetzt die Nachfolge von Merkel antreten will, war von 2005 bis 2010 Integrationsminister in NRW. „Türken-Armin“, nennen ihn damals viele an der Basis abfällig. In der Bundespolitik trifft Laschets liberaler Kurs jedoch auf Zustimmung. 2012 ist er einer von fünf Politikern, die zum Stellvertreter von Angela Merkel gewählt werden. Sein Wort hat seitdem auch in Berlin Gewicht.
Das kommt Merkel vor allem in der Flüchtlingskrise von 2015 zugute. Während weite Teile der Partei der Meinung sind, Deutschland werde mit der Aufnahme von Flüchtlingen überfordert, verteidigt Laschet die Position der Kanzlerin und verschafft ihr Luft gegen Anwürfe aus den eigenen Reihen. Die sind auch in NRW lautstark zu vernehmen, vor allem aus Bergisch Gladbach. Der populäre Innenexperte Wolfgang Bosbach positioniert sich nicht nur in Gremiensitzungen, sondern auch in TV-Talk-Shows gegen Merkels Zuwanderungspolitik.
Merkel besucht Laschets Heimat
Laschet und Merkel können lange gut miteinander. Im Mai 2017, zum Abschluss des Landtagswahlkampfs in NRW, fährt Merkel nach Aachen-Burtscheid und besucht Laschets Heimat. Laschet und der Pastor führen Merkel durch die Kirche St. Michael, in der der CDU-Politiker getraut wurde. Merkel und Laschet lachen viel, wirken wie alte Freunde. Zur Überraschung vieler Beobachter gewinnt Laschet die Landtagswahl - und es gelingt, im größten Bundesland eine Regierung mit der FDP zu bilden. Der Erfolg macht Laschet zum stärksten Mann in der CDU.
Als sich Angela Merkel im Oktober 2018 ankündigt, sich vom Parteivorsitz zurückzuziehen, zögert Laschet noch, sich für die Nachfolge zu bewerben. Mit Friedrich Merz und Jens Spahn stehen zwei weitere Kandidaten aus dem Landesverband NRW zur Wahl. Beide gelten aber als konservativ. Hinter den Kulissen unterstützt Laschet lieber die Bewerbung der Saarländerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie steht für einen liberalen Kurs und ist die Wunschnachfolgerin von Angela Merkel.
Mit Merz und Spahn hat Merkel Probleme
Merz und Merkel sind sich spinnefeind. Der Sauerländer hat aus alten Tagen noch eine Rechnung mit der Kanzlerin offen. 2002 verdrängte sie Merz vom Fraktionsvorsitz im Bundestag. Seitdem lässt der Finanzexperte kein gutes Haar am Führungsstil von Merkel.
Merkel und Spahn kommen dem Vernehmen nach auf der Arbeitsebene gut zurecht. Allerdings soll die Kanzlerin das forsche Auftreten des Gesundheitsministers aus dem Münsterland bisweilen befremden. In der Corona-Krise habe Spahn viele Fehler gemacht, heißt es in der CDU. Aber Merkel rechnet Spahn hoch an, dass er in der K-Frage eigene Ambitionen vorerst zugunsten von Laschet zurückgestellt hat.
Corona trübt das Verhältnis zu Laschet
Der Streit um den richtigen Kurs in der Corona-Politik trübt schließlich auch das Einvernehmen von Laschet und Merkel. Während die Bundeskanzlerin – eng an der Seite von Markus Söder - zum „Team Vorsicht“ gehört, spricht sich Laschet für schnellere Öffnungen aus. Der Dissens gipfelt darin, dass sich Merkel im März in einer Talk-Show entlocken lässt, er verstoße gegen die bundesweit getroffenen Absprachen. Der Hieb der Kanzlerin war der erste heftige Tiefschlag in Laschets Kampf um die Kanzlerkandidatur.
Im Endspurt hilft Merkel Laschet
In der Endphase des Bundestagswahlkampfs sind Merkel und Laschet jetzt wieder enger zusammengerückt. In der CDU hofft man, dass ein verstärkter Einsatz von Merkel die Union zurück auf den Erfolgskurs führt.
Am Sonntag trifft sie sich mit Laschet in Hagen, um sich dort über den Wiederaufbau nach dem Hochwasser zu informieren. Sich als Staatsmann präsentieren an der Seite der Kanzlerin. Für diese Gelegenheit dürfte Laschet, der noch vor wenigen Wochen einen Deichgraf-Moment durch sein Feixen im Flutgebiet verspielte, dankbar sein.