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Politologe zur FlutkatastropheDas Hochwasser wird zum politischen „Gamechanger“

Lesezeit 5 Minuten
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Angela Merkel in Bad Münstereifel

  1. Der Politologe Frank Decker erklärt im Interview, welchen Verdacht Politiker im Angesicht eine Katastrophe vermeiden müssen.
  2. Obwohl die Flutkatastrophe auch die aktuellen Umfragewerte beeinflusst, sind diese nur teilweise aussagekräftig.

KölnHerr Decker, zwei Wochen nach der Flut werden im „Deutschlandtrend“ die Reaktionen der Wählerinnen und Wähler auf die Katastrophe und den Umgang der Politiker damit sichtbar. Wie deuten Sie als Politikwissenschaftler die Ergebnisse? Wer verliert, wer profitiert?

Politiker müssen angesichts solch einer Katastrophe generell einen zweifachen Verdacht vermeiden. Erstens, sie wollten die Situation instrumentalisieren, indem sie hinfahren. Und zweitens, sie ließen die Menschen im Stich, indem sie nicht hinfahren. Umso mehr kommt es auf die Art des Auftritts und den Ton an. Das eine Extrem sind dann Bilder wie die von Melania Trump, die mal mit Stöckelschuhen durch Hochwassergebiete spaziert ist. Das andere sind die demonstrativen Gummistiefel, die auch unpassend sind.

Angela Merkel hat es abgelehnt, auch noch Arbeitshandschuhe anzuziehen oder symbolisch eine Schaufel in die Hand zu nehmen.Wohlweislich! Und gerade der Vergleich Merkel - Laschet zeigt, dass die Bilder mit darüber entscheiden, ob Politiker-Auftritte in Krisengebieten glücken oder eben auch nicht.

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Sie meinen hier die Bilder vom lachenden Laschet, die ihm schwer zugesetzt haben?

Natürlich. Aber dazu ist eigentlich alles gesagt. Mindestens so unglücklich war die Aussage, er ändere nicht seine Politik, „weil jetzt so ein Tag ist“.

Zur Person

Frank Decker

Frank Decker

Frank Decker, geboren 1964, ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bonn und wissenschaftlicher Leiter der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik.

Den Menschen das Gefühl von Rückhalt geben – das ist für Politiker in Regierungsverantwortung deutlich leichter. Wenn man die Kanzlerkandidaten betrachtet: gut für Laschet als Ministerpräsident und Olaf Scholz als Finanzminister, nicht so gut für Annalena Baerbock?

Tatsächlich können Oppositionspolitiker sehr viel falsch machen. Besonders wenn sie in die Falle eilfertiger Kritik am Regierungshandeln tappen. Das wirkt in akuten Krisenlagen unsolidarisch, kleinkariert und nörgelig, selbst dann, wenn die Kritik berechtigt sein sollte. Baerbock und die Grünen haben diese Falle meines Erachtens vermieden. Auf längere Sicht ist der scheinbare Vorteil von Vertretern der Exekutive aber auch leicht aufgezehrt: Sie müssen den Betroffenen ja Zusagen und Versprechen machen, an denen sie gemessen werden. Und wenn die „schnelle, unbürokratische“ Hilfe, von der dann ja gern die Rede ist, nicht ankommt, entstehen sehr schnell Unzufriedenheit und Misstrauen.

Der aktuelle Deutschland-Trend sieht Laschet in der Kandidatenpräferenz nur noch an dritter Stelle – nach einem Minus von sechs Prozentpunkten. Scholz wird als der Tatkräftigste wahrgenommen – und vertrauenswürdiger als Laschet. Wieviel Augenblick steckt in dieser Momentaufnahme?

Die Flüchtigkeit sehen Sie schon daran, dass sich die guten aktuellen Werte für Scholz nicht auf seine Partei, die SPD, übertragen. Dass die Grünen hingegen einen Sprung nach vorne machen, ist schon eher eine Verbindung von Moment und Trend: Die Flutkatastrophe wird als Ereignis in den verbleibenden Wochen bis zur Bundestagswahl verknüpft werden mit dem Thema Klimaschutz. Das wirkt gegen Union und FDP und zahlt vor allem bei den Grünen ein.

Müsste Laschet den vorhin zitierten Satz dann nicht umformulieren und sagen: „Weil so ein Tag ist, ändere ich meine Politik“?

Sachlich spräche viel dafür. Strategisch hätte er aber sofort ein Glaubwürdigkeitsproblem. Man würde ihm vorhalten, mit seiner bisherigen Klimapolitik die Warnungen vor den Auswirkungen des Klimawandels auf unser Wetter geflissentlich ignoriert zu haben, und er würde faktisch einräumen, dass das falsch war. Von den Grünen sind solche Warnungen seit Jahren zu hören. Und ihre Umfragekurve drehte just ab 2018 nach oben, als der Hitzesommer auch die Debatte über die Klimapolitik befeuerte.

Beim Atomausstieg 2011 hat Merkel genau das gemacht: Eine Kehrtwende der Regierungspolitik von einem Tag auf den anderen.

Erstens lässt das eine bislang wenig aufgearbeitete Grundlinie dieser Kanzlerschaft erkennen: Merkel war in ihrem ganzen politischen Handeln immer sehr stark an Demoskopie und Stimmungslagen orientiert. Zweitens war das beim Atomausstieg für sie auch relativ einfach, weil das Festhalten an der Atomenergie keines ihrer Herzensanliegen war. Sie war 2009 eher von der FDP dazu gezwungen worden, die Laufzeiten der Atomkraftwerke noch einmal zu verlängern und den von Rot-Grün vorgezeichneten Ausstiegskurs zu verlassen.

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Aber für Laschet und seine Klimapolitik gilt nach dem, was Sie gesagt haben: Wie er’s macht, macht er’s verkehrt?

Eine gute Balance hat er jedenfalls noch nicht gefunden. Das liegt sicher auch daran, dass die Unionsparteien und ihre führenden Köpfe keine gemeinsame Linie in der Klimapolitik haben. Für den Wahlkampf und den Kandidaten Laschet ist das fatal, weil der Eindruck entsteht, weder er noch die ihn tragenden Parteien wüssten, was sie wollen.

Kann er die Balance finden?

Angesichts des enormen Zeitdrucks ist das ganz schwer. Die Idee der Union für den Wahlkampf war es ja, sich in Sachen Klimaschutz möglichst bedeckt zu halten und es mit rhetorischen Zugeständnissen gut sein zu lassen, statt konkrete Ziele und damit auch die etwaigen Folgen für die Bevölkerung zu benennen. Ein Neujustieren des Wahlprogramms von CDU und CSU setzt eigentlich ein geordnetes Verfahren und eine Abstimmung in den Parteien voraus, damit sie nicht nur als entschlossen, sondern auch als geschlossen wahrgenommen werden. Trotzdem könnte die Flutkatastrophe zu einem „Gamechanger“, einem entscheidenden Faktor, vor der Wahl werden, weil sie die Parteien und insbesondere eben die CDU/CSU unter Druck setzt, stärker als bisher Farbe zu bekennen.