Düsseldorf – Die Grünen können bei der Bundestagswahl auf ein gutes Ergebnis hoffen. Was bedeutet das für die Aufstellung der Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl?Unsere volle Konzentration gilt jetzt erst einmal dem Bundestagswahlkampf. Wir wollen geschlossen dafür kämpfen, dass Annalena Baerbock Bundeskanzlerin wird. Als NRW-Grüne haben wir uns so verabredet, die Personalentscheidungen für die Landtagswahl 2022 erst danach zu treffen. An diese Vereinbarung halte ich mich.
Wie gut muss denn das Ergebnis für Baerbock sein, um eine Kandidatin aufzustellen, die das Amt der Ministerpräsidentin ausüben könnte?
Wir haben die feste Absicht, den Platz an der Seitenlinie zu verlassen und das Land entscheidend mit zu gestalten. Rückenwind aus Berlin kann da natürlich nicht schaden. Unser Ziel ist, dass in NRW an einer Regierungsbeteiligung der Grünen kein Weg vorbeigeht.
Sehen Sie die Gefahr, dass es Baerbock so geht wie Martin Schulz, der mit seinem „Schulz-Zug“ auf dem Weg nach Berlin entgleist ist?
Das glaube ich nicht – auch wenn wir wissen, dass Umfragen volatil sind. Annalena Baerbock wird nicht nur von der kompletten Partei, sondern auch von vielen Bürgerinnen und Bürgern getragen. Diese breite Zustimmung drückt sich auch in unserer Mitgliederentwicklung aus: Seit dem 19. April, dem Tag ihrer Nominierung, haben allein in NRW insgesamt 1.500 Menschen einen Mitgliedsantrag ausgefüllt.
Sie selbst gehören auch zu den Aspirantinnen für die Spitzenkandidatur in NRW, haben aber noch nie in einem Parlament gesessen. Ist das ein Nachteil?
Es kommt immer auf das Gesamtpaket an. Wir sind in der glücklichen Lage, über eine starke Führungsspitze in Fraktion und Partei zu verfügen. Wer letztlich welche Rolle übernimmt, werden wir in aller Ruhe und Gelassenheit besprechen. Die Bundesspitze hat uns vorgemacht, wie man solche Fragen erfolgreich regelt. Am Ende werden wir ein personelles Angebot machen, das den größten Erfolg für grüne Politik verspricht.
Würden Sie sich den Ministerpräsidentinnen-Job zutrauen?
Wir haben einen Zeitplan verabredet, an den ich mich wirklich gerne halte. Wir bleiben geschlossen, damit wir die größtmögliche Schlagkraft entwickeln können. Jetzt geht es darum, konkrete Maßnahmen im Kampf gegen die Klimakrise einzuleiten. Und kurzfristig muss es darum gehen, den vielen Menschen zu helfen, die von der Pandemie existenziell betroffen sind. Die gesellschaftlichen Folgeschäden der Krise müssen stärker in den politischen Fokus gerückt werden. Das steht für mich gerade politisch im Vordergrund.
Wie kämen die Grünen mit dem neuen CDU-Hoffnungsträger Hendrik Wüst zurecht?
Wer Armin Laschets Amtsperiode zu Ende führt, ist eine Entscheidung der CDU. Wir nehmen es, wie es kommt. Wirkliche Hoffnungsträger kann ich da allerdings noch nicht erkennen.
Werden Sie Armin Laschet vermissen?
Naja, vermissen wäre jetzt zu viel des Guten. Als Ministerpräsident war er mindestens eine ambivalente Figur – und ich behaupte, dass das Land nicht unbedingt besser dasteht als zu Beginn seiner Amtszeit. Ich schätze an ihm, dass er einen klaren humanitären Kompass hat und immer für gesellschaftliche Vielfalt eingestanden ist. Es kommt jetzt drauf an, dass er sich trotz seiner Kanzlerkandidatur weiter voll auf NRW konzentriert. Und sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin muss aus Laberpolitik endlich Landespolitik machen. Klimaschutz ist der Schutz der Freiheit dieser und kommender Generationen. Es geht darum, einen konkreten Weg zu beschreiben, wie wir die Klimakrise bekämpfen, erneuerbare Energien ausbauen und NRW als Industrieland erhalten können.
Die Inzidenzahlen in NRW gehen zurück. Wäre es nicht an der Zeit, die Außengastro zu öffnen?
Mir fehlt die lebendige Gastronomie, die Kultur, so wie allen anderen auch. Dennoch plädiere ich dafür, weiter vorsichtig zu sein. Wir dürfen jetzt nicht den Fehler aus dem letzten Sommer machen und wieder sorglos werden. Die Bundesnotbremse ist richtig, mit einem Wettbewerb um Lockerungen würden wird das Erreichte aufs Spiel setzen. Die Grundlage für dauerhaft geöffnete Außen-Gastro sind niedrige Inzidenzzahlen.
Kinder und Jugendliche werden vor den Sommerferien wohl nur noch wenig Präsenzunterricht haben. Wissenslücken sind programmiert. Wie muss man damit umgehen?
Die Krise ist auch an den Kindern und Jugendlichen nicht spurlos vorbeigegangen. Sie haben unter den Einschränkungen sehr gelitten, aber ganz überwiegend mit einer beachtlichen Disziplin ertragen. Wir müssen jetzt den Druck aus dem Kessel nehmen und ihnen Zeit geben, Erfahrungen nachzuholen und Stoff nachzuarbeiten. Das sollte aber nicht nur auf Kosten der wichtigen Ferienzeit gehen. Ich kann mir gut vorstellen, dass beispielsweise für Azubis der Start in das kommende Ausbildungsjahr flexibel gestaltet und eventuell um ein paar Monate verschoben wird. Handwerkskammern und IHKen sollten da ernsthaft drüber nachdenken. Gleiches sollte auch für die Unis gelten. Die Studienanfänger sollten mit einem verschobenen Semesterstart die Chance bekommen, sich auf den neuen Lebensabschnitt vorbereiten zu können.
Glauben Sie, dass die Menschen jemals wieder so ausgelassen auf engem Raum zusammen feiern werden wie vor der Pandemie? Verändert das Virus dauerhaft den gesellschaftlichen Umgang?
Ich glaube, dass wird jeder für sich ganz individuell entscheiden. Es wird sicher Menschen geben, die nicht so sorglos wie vor der Pandemie wieder ins Stadion, zu einer Lesung oder zu einem Konzert gehen. Für mich persönlich kann ich sagen: Sobald es vertretbar ist, werde ich mich wieder ins Leben stürzen. Wir brauchen die persönliche Nähe, das Miteinander, den direkten Kontakt. Das nicht zu haben, dauert jetzt schon 15 Monate. Ich kann es kaum erwarten, bis es wieder soweit ist.
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