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Wer ist Joachim Stamp?Ein liberaler Einzelkämpfer teilt aus

Lesezeit 6 Minuten

Der stellvertretende NRW-Ministerpräsident Joachim Stamp (FDP)

Düsseldorf – Der Ruhrpott gehört traditionell nicht gerade zum Stammland der Liberalen. Hart hält sich das Arbeiterimage, die vielen Bemühungen, die Region auch als Start-up-Paradies anzupreisen, haben noch nicht wirklich durchdrungen. Für das Townhall-Meeting mit Wahlkämpfer Joachim Stamp hat die FDP daher vorausschauend nur einen kleinen Saal in der Stadthalle von Mülheim an der Ruhr angemietet. Aber auch der will sich nicht so recht füllen. Ein paar Wahlplakate wurden aufgehängt, einige Stühle und in Parteifarben bedruckte Sitzwürfel aufgestellt.

Etwa 30 Interessierte sind an diesem Freitagnachmittag gekommen, viele von ihnen dem Vernehmen nach selbst FDP-Mitglieder. Trotzdem wird ihnen Spitzenkandidat Stamp 90 Minuten lang erklären, warum es richtig sei, am 15. Mai das Kreuz bei den Liberalen zu machen.

Geflüchtete könnten große Hilfe sein

Mit dem Mikrofon in der Hand kommt Stamp schnell in Fahrt. Er spricht vom katastrophalen Zustand des Landes Nordrhein-Westfalen zur Amtsübernahme 2017, von unterfinanzierten Kitas, die die rot-grüne Vorgängerregierung hinterlassen habe, und vom Problem des Fachkräftemangels. Man müsse um die Talente in der ganzen Welt werben. Ein Arbeitsvertrag mit einem deutschen Unternehmen müsse reichen, um legal nach Deutschland einwandern zu können. Auch die Geflüchteten aus der Ukraine könnten dabei eine große Hilfe sein. Sie seien in Deutschland dauerhaft herzlich willkommen, sagt er. „Wir können diese Leute unfassbar gut gebrauchen.“ Und Stamp attackiert die Grünen, beschwört den bösen Geist von der Verbotspartei, die alles regulieren wolle und bestimmen, wie die Menschen zu leben hätten.

Alles zum Thema Joachim Stamp

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Von 2010 bis 2012 war Stamp Generalsekretär der NRW-FDP. Seit 2012 gehört er dem Bundesvorstand der FDP an.

Joachim Stamp, 51 Jahre alt, stellvertretender Ministerpräsident von NRW, kämpft um sein politisches Überleben. Denn die FDP strauchelt. Lange Zeit war Christian Lindner das prägende Gesicht und Zugpferd der NRW-FDP, doch spätestens seit der im Bundeskabinett der Ampel das Finanzressort übernommen hat, ist Stamp trotz Lindners Wahlkampfunterstützung mehr oder weniger auf sich allein gestellt. Seine Strategie: Das Profil der FDP schärfen und, wenn es sein muss, auch Spitzen gegen den eigenen Koalitionspartner setzen.

Schlammschlacht zwischen CDU und SPD „in weiten Teilen peinlich“

In einem Gespräch, das der „Kölner Stadt-Anzeiger“ kurz vor Beginn der Veranstaltung führen konnte, sagt Stamp, er sei erschrocken von der „Schlammschlacht“, die sich CDU und SPD in den vergangenen Wochen geliefert hätten. Zuerst die Mallorca-Affäre der Umweltministerin Ursula Heinen-Esser von der CDU, die im Rücktritt gipfelte, dann der Skandal um den Versuch der SPD, den Instagram-Account der minderjährigen Tochter Heinen-Essers nach kompromittierenden Urlaubsbildern abzusuchen, gefolgt von einem Reigen gegenseitiger Beschuldigungen etwa auf Twitter. „Die Betroffenheitsinszenierungen der Beteiligten gerade in den sozialen Medien ist in weiten Teilen peinlich“, giftet Stamp.

Und doch steht für den Spitzenkandidaten der Liberalen fest: Er kämpft für eine Fortsetzung des schwarz-gelben Bündnisses. Ob es dafür wirklich eine Mehrheit geben wird, ist allerdings mehr als fraglich. In den Umfragen steht die FDP derzeit bei etwa sieben Prozent, Tendenz sinkend. Bei den Landtagswahlen vor fünf Jahren waren es 12,6 Prozent. Die CDU dagegen ist im Aufwärtstrend. Die jüngste Erhebung sieht die Christdemokraten bei 32 Prozent, ein Punkt weniger als 2017.

Hoffnung auf Wiederholung von 2017

Mit Argwohn dürfte Stamp daher auf die Annäherungsversuche der CDU an die Grünen blicken. Der Konkurrent käme im Moment auf satte 17 Prozent. Von den Zahlen aber will sich Stamp nicht schrecken lassen. „Die Grünen waren zuletzt immer Umfrage-Weltmeister. Auch 2017 gab es vor der Wahl angeblich keine Mehrheit für Schwarz-Gelb. Am Ende hat es dann doch gereicht.“

Stamp ist bemüht, sich von den Grünen abzugrenzen. Eine Partei, die auf „Degrowth“, also auf Anti-Wachstum setze, könne ein Land nicht nach vorne bringen. Im Gegenteil: „So verlieren wir die Mitte der Gesellschaft.“ Wie CDU und SPD will auch die FDP das Thema Transformation und Energie nicht allein den Grünen überlassen. Auch Stamp plädiert für einen schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien. Vor dem Hintergrund der Energiekrise und explodierender Preise aber, sollte eine längere Laufzeit von Atommeilern nicht ausgeschlossen werden.

Zwei Töchter, zugewandt und menschlich

Stamp lobt die schwarz-gelbe Regierungsbilanz: Es sei gelungen, das beim Thema Wachstum abgeschlagene Land von den hinteren Plätzen wieder ins Mittelfeld zu befördern. 400.000 neue Arbeitsplätze, Bürokratieabbau, Wirtschaftswachstum. Dann zeigt er auf den Slogan eines Wahlplakats: „Von hier aus weiter.“ So soll es gehen.

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Stamp kümmert sich als Familienminister in NRW auch um die Kindertagesstätten.

Im Landtag genießt der Vater zweier Töchter einen guten Ruf. Er gilt als zugewandt und menschlich. Ganz gute Eigenschaften also für einen Minister, der im Kabinett für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration zuständig ist und mit Pandemie und nicht zuletzt mit den Folgen des Ukraine-Kriegs und der Unterbringung der etwa 13.000 Geflüchteten in NRW alle Hände voll zu tun hat.

Dazu kommt gerade noch der Streik der Kita-Beschäftigten und den damit verbundenen Unmut der Eltern kleiner Kinder. Er selbst versucht im Gespräch mit dieser Zeitung elegant zu beschwichtigen: „Wichtig ist mir, dass Kinder und Familien nicht unter dem Arbeitskampf leiden“, sagt Stamp. Als Minister aber könne und dürfe er sich nicht in die Tarifautonomie einmischen. „Klar ist aber, dass die Beschäftigten in der Kindertagesbetreuung nicht nur in der Pandemie Großartiges leisten und das auch honoriert werden muss.“

Zwist beim Thema Impfpflicht

Gerade die mitunter höchst konträren Auffassungen im Kampf gegen Corona haben den Koalitionsfrieden in den vergangenen zwei Jahren immer wieder auf die Probe gestellt. Zuerst der Öffnen-Schließen-Schlingerkurs von Armin Laschet, dann die auf Sicherheit bedachte Strategie seines Nachfolgers Hendrik Wüst. Dazwischen eine FDP, die getreu ihrer Parteiphilosophie die Freiheitsrechte in den Vordergrund gerückt und damit auch die CDU immer wieder unter Druck gesetzt hat. Auch beim Thema Impfpflicht lagen die Bündnispartner weit auseinander. Wüst wollte sie, Stamp nicht. Letztlich ist sie im Bundestag gescheitert.

Mit Yvonne Gebauer hatte die FDP zudem eine hoch umstrittene Schulministerin, die in der Pandemie dem Ansehen der Partei nicht gerade nützlich war. Viele Eltern und Lehrer fühlten sich von ihr im Stich gelassen. In den sozialen Medien wurde sie für ihren Kurs regelrecht angefeindet. Sogar Ministerpräsident Hendrik Wüst stichelte zuletzt im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Wir haben beim Thema Schule noch eine ganze Menge Luft nach oben.“ Dennoch zieht Stamp eine positive Bilanz: „Insgesamt sind wir ganz ordentlich durch die Pandemie gekommen, besser als viele andere Bundesländer“, sagt er. „Wir haben schwierige Entscheidungen mitgetragen und dabei immer auf die Verhältnismäßigkeit geachtet.“

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Und doch setzt sich Stamp für eine Aufarbeitung des Geschehens ein. Er habe kürzlich dazu mit Thomas de Maizière, dem ehemaligen CDU-Verteidigungsminister, gesprochen. Beide würden sich demnach eine unabhängige Expertenkommission wünschen, die die politischen Prozesse in der bisherigen Pandemiezeit analysiert und auch die Frage beantwortet, welche Fehler gemacht wurden und wie Krisenstäbe künftig besser zusammenarbeiten könnten.

Weg von einer Überakademisierung

Im Townhall-Meeting in Mülheim setzt Stamp auf FDP-Kernthemen: Digitalisierung, Selbstbestimmung, aber auch Ausbau von Talentschulen, die auch sozial Benachteiligten bessere Bildungschancen eröffnen sollen. Zugleich betont er energisch, dass das Land weg müsse von einer Überakademisierung. Auch ein Realschulabschluss mit anschließender Ausbildung verdiene Akzeptanz und die Aussicht auf einen verantwortungsvollen Beruf. „Wenn meine Töchter Tischlerinnen werden möchten, dann darf das nicht als Bildungsabstieg gewertet werden.“ Es gehe um „Lust auf Selbstentfaltung und Leistung und darum, das Leben nicht zu verdaddeln.“

Wie Stamps politisches Leben weitergehen wird, entscheidet sich am 15. Mai. Bei der WDR-Wahlkampfarena, bei der am Dienstag die fünf Spitzenkandidaten der Parteien aufeinandertrafen, zeigte er sich durchaus selbstbewusst. Seine Partei twitterte im Anschluss ein Bild ihres Vorsitzenden – mit einer montierten Krone auf dem Kopf. Dazu der Satz: „Klarer Sieger.“ Stamp als liberaler Monarch. Dass ihm eine solche Darstellung gefallen könnte, ist eigentlich auszuschließen.