Der Jesuit und katholische Priester Jörg Alt gehört zu den radikalen Klima-Aktivisten, die sich bei Straßenblockaden festkleben. Im Interview erklärt er sein Engagement.
Jörg Alt zur „Letzten Generation“„Dann gehe ich auch ins Gefängnis“
- Jörg Alt (61) ist Sozialwissenschaftler, Sozialethiker, katholischer Priester und Mitglied des Jesuitenordens
- Er ist engagiert bei der „Letzten Generation“ und einer der Straßenblockierer, über die Deutschland in diesen Tagen streitet
- Im Interview erklärt er seine Beweggründe
Herr Alt, gegen Sie laufen mehrere Strafverfahren, in den sozialen Netzwerken nennen Sie sich „Gefährder“. Die Bezeichnung verbinde ich mit Terrorverdächtigen. Sind Sie, ein Pater, Jesuit und Publizist, jetzt auch ein Terrorist?
Jörg Alt: Der Staat sieht mich als solchen. Jedenfalls erhielt ich für meine Straßenblockade die „Gefährderansprache“. Was mich und die Aktivistinnen und Aktivisten der „Letzten Generation“ zu Gefährdern macht, ist, dass wir es wagen, mit zivilem Ungehorsam und zivilen Widerstand auf ein Problem aufmerksam zu machen, welches Gesellschaft und Politik seit Jahrzehnten ignorieren. Das ist ja der Kern zivilen Widerstands: Dass man Regeln und Gesetze bricht, um auf ein größeres Rechtsgut aufmerksam zu machen. Und das ist in diesem Fall einfach die Lebensgrundlage der Menschheit.
In wie vielen Verfahren wird zurzeit gegen Sie ermittelt? Und was haben Sie mit den Taten ausgelöst?
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Bis jetzt gibt es vier Ermittlungsverfahren. Zwei waren Straßenblockaden, zwei sind andere. Das erste war das ‚Containern‘, um auf Lebensmittelverschwendung aufmerksam zu machen. Das war ein klarer Zusammenhang zwischen Problem und Aktion und es gab eine extrem hohe Zustimmung. Dann bin ich öffentlich angekündigt schwarz gefahren, um eine Verlängerung des 9-Euro-Tickets zu fordern. Auch dazu gab es sehr viel Zuspruch und es war eine leicht verständliche Protestform. Das Verfahren wegen schweren Diebstahls nach der Containeraktion sollte eingestellt werden, dagegen habe ich mich erfolgreich gewehrt. Ich möchte die Bühne des Gerichtssaals, weil ich denke, letzten Endes ist das, was wir tun, durch den in Paragraf 34 Strafgesetzbuch enthaltenen rechtfertigenden Notstand abgedeckt, was heute erstmals von einem Gericht als Grundlage für einen Freispruch anerkannt wurde. Und ich suche meinerseits den Gerichtssaal und den Richter, dem ich das erklären kann.
Was rechtfertigt es, Straßen zu blockieren und Tausende Menschen täglich mit Staus zu nerven?
Auch die Straßenblockaden haben einen ganz klaren Zusammenhang zwischen Problem und Aktion: Wir müssen auch im Verkehrssektor die Klimaziele erreichen. Verkehrsminister Wissing und sein Ressort scheitern daran kläglich. Und seine Vorgänger aus der CSU und haben auch nicht viel anderes getan, als Autos zu fördern. Die Klimaziele im Verkehrssektor erreichen wir nur durch weniger individualisierte Mobilität und mehr sowie besser ausgebauten, zuverlässigen und preiswerten öffentlichen Personennahverkehr. Ich sehe mittlerweile keine Alternative zu einer Blockade, um im Verkehrssektor den Finger in die Wunde zu legen. Reden wir über das Anliegen, warum wir auf der Straße sitzen und nicht die Aktion, dass wir auf der Straße sitzen.
Deutschland streitet über Letzteres. Die Union fordert Haftstrafen für Straßenblockierer. Bayerische Richter verhängen Polizeigewahrsam. Nehmen Sie für Ihre Aktionen auch eine Haftstrafe in Kauf?
Ich würde lieber woanders hingehen, als in den Knast. Aber wenn Gesellschaft und Politik mich lieber wegsperren, als auf mich zu hören, dann gehe ich auch ins Gefängnis.
Ziviler Widerstand, ziviler Ungehorsam hat eine lange Geschichte. Im Gedächtnis bleiben spektakuläre, einmalige Aktionen mit großer medialer Wirkung. Wenn Aktivistinnen und Aktivisten jeden Tag irgendwo eine Kreuzung blockieren, entsteht dann nicht ein Gewöhnungseffekt und eine Form von negative Solidarisierung? Wann überlebt sich diese Protestform?
Wie jeder Aktivist frage auch ich mich: Was ist das Beste, was du in dieser Situation, wo wir nur noch drei Jahre Zeit haben bis zum möglichen Klimakollaps, tun kannst? Diese Frage stelle ich mir jeden Tag neu. Ich schaue in den Spiegel, dann blickt mich das Gewissen an und sagt: Ja, das und das ist heute angesagt. Und dann tue ich, weil es richtig ist, ohne darauf zu schauen, wie viele andere das ähnlich sehen.
Kritisieren Sie damit auch jene aus der „Letzten Generation“, die sagen, wir müssen die Blockaden täglich wiederholen, um irgendwann durchzudringen?
Ich kritisiere das überhaupt nicht. Ich bewundere diese Leute unendlich für ihren Mut und ihre Selbstlosigkeit. Aber ziviler Ungehorsam und ziviler Widerstand ist eine Entscheidung, die jeder persönlich treffen muss. Ich versuche immer noch daran zu glauben, dass das, was ich 35 Jahre lang versucht habe, mit Vorträgen, Publikationen, Diskussionen, Petitionen, auch noch einen Sinn hat. Insofern versuche ich hin und wieder einen Akzent zu setzen, indem ich zivilen Ungehorsam begehe. Aber ich gebe eben auch nicht auf den Versuch auf, Leute an einen Tisch zu bringen, ins Gespräch zu bringen und Mittel der etablierten Kampagnen und Öffentlichkeitsarbeit weiter zu verfolgen.
Sie lösen Abneigung bis hin zum Hass aus mit dieser Protestform. Nicht nur ein bisschen Hupen, sondern konkrete Gewaltandrohungen und tausendfach geteilte Gewaltfantasien. Schaden Sie damit nicht Ihrem Anliegen?
Kennen Sie eine Bewegung zivilen Ungehorsams in der Menschheitsgeschichte, die nicht polarisiert hat? Sie werden keine finden. Es geht hier um Polarisierung. Und ich kriege auch Zuspruch und auch Spenden für meine Anwaltskosten. Ich war anfänglich sehr gegen diese Straßenblockaden aus all den Gründen, die Sie auch genannt haben, die ich damals geteilt habe. Aber ich muss der „Letzten Generation“ recht geben. Sie haben‘s richtig gemacht, weil diese Straßenblockaden sich dem Auto in den Weg zu stellen, dem Symbol für unser fossiles Weiter-So. Das hat die Diskussion hervorgerufen, die wir brauchen und die es geschafft hat, trotz Corona, Ukraine-Krieg und allen anderen Sachen, die auch wichtig sind, das Klimathema wieder auf die Top-Agenda zu schieben.
Diskutiert wird über die Protestform, nicht über das Klimathema. Orange Farbe auf Parteizentralen, ein mutwillig ausgelöster Feueralarm im Bundestag, das ist keine intelligente Grenzüberschreitung, sondern relativ hirnlose, billige Symbolik - oder etwa nicht?
Was soll man sonst machen, was besser funktioniert? „Fridays for Future“ hat über die Jahre Millionen auf die Straße gebracht. Jeder Politiker, jeder Unternehmer redet mittlerweile wie ein „Fridays for Future“-Vertreter, aber keiner handelt entsprechend. Ich glaube, wir haben im Moment wirklich noch mal eine ganz andere Ernsthaftigkeit in der Diskussion. Es ist eine ganze Bandbreite von Aktionen, die darauf abzielen, das Thema ins Gespräch zu bringen. Monets „Heuschober“ im Potsdamer Barberini-Museum wurde ja nicht zufällig als Ziel der Kartoffelbrei-Attacke ausgewählt. Die Botschaft war: Wenn wir so weitermachen, wird es nicht nur keine Kunst, sondern auch kein Getreide mehr geben. Ähnlich die Aktion an Cranachs „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“: Machen wir so weiter, gibt‘s bald massive Fluchtbewegungen weg aus den Weltteilen, die unbewohnbar werden weil beispielsweise die Meeresspiegel ansteigen.
„Fridays for Future“ wird immer noch gehört. Luisa Neubauer ist während der Weltklimakonferenz in Scharm el Scheich auf allen Kanälen.
Ich habe nichts dagegen. Die Frau kann klasse reden, also das ist ihr Job, dann soll sie das tun. Aber ich bewundere genauso gut die Aktivistinnen der letzten Generation, die wirklich unermüdlich sich auf die Straße setzen, beschimpfen lassen und einsperren lassen. Von der Klimakonferenz in Scharm el Scheich erwarte ich überhaupt nichts. Das wird genau wieder so eine Jubelveranstaltung wie all die Konferenzen zuvor und alle werden nach Hause gehen und sagen, die anderen waren an dem erneuten Fehlschlag schuld. „Fridays for Future“ zerfällt gerade in drei Teile. Ein Teil resigniert und wird krank und depressiv, weil sie sagen, mein Engagement war umsonst. Die zweite Gruppe ist nach wie vor bereit, zu demonstrieren und zu argumentieren. Und der dritte Teil denkt eben auch über radikalere Ansätze des Protests nach. Wir müssen die Gewissensentscheidungen der verschiedenen Akteure respektieren. Aber wir müssen schauen, dass wir uns nicht auseinanderdividieren lassen, sondern bestmöglich ergänzen.
Nach der Debatte um den Tod der Radfahrerin in Berlin und versperrte Rettungswege hat Neubauer angemahnt, die Bewegung müsse die Sicherheit bei Protestaktionen stärken. Die Antwort der „Letzen Generation“ war, noch mehr zu blockieren. Ist der Appell ins Leere gelaufen?
Ich kann nur für mich sprechen. Ich habe die zwei Stellen, wo ich blockiert habe, so ausgesucht, dass der Verkehr relativ schnell abgeleitet werden konnte. Kein Auto hat länger als 20-30 Minuten gestanden. Und selbstverständlich war bei „meinen“ Blockaden auch vorgesehen, wo die Rettungsgasse sein kann, wenn sie gebraucht wird. Und die Polizei wurde umgehend informiert, wo diese Öffnung ist.
Wie geht es weiter – für Sie und die radikalen Teile der Klimabewegung?
Wie immer bei zivilem Ungehorsam und Widerstand lautet die Frage: Was ist der Preis, den man bereit ist zu zahlen? Wir tun das, weil es getan werden muss und weil es kein anderer tut. Wir wollen nicht geliebt werden, sondern wir glauben, dass es das Richtige ist. Ob da eine Massenbewegung draus wird oder ob wir wirklich irgendwann alle weggesperrt werden und mundtot gemacht werden, das ist nicht die entscheidende Frage. Wenn Sie eine besseren Vorschlag haben, her damit.