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Laumann im Interview„Anstieg über 100 kann man natürlich nicht ausschließen“

Lesezeit 5 Minuten
Karl-Josef Laumann

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann

  1. Der NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann spricht über die neuen Corona-Beschlüsse in NRW, das Impfen durch Hausärzte und die Gefahr steigender Inzidenzen.

In der NRW-Koalition hieß es, man soll nicht nur auf Inzidenzen gucken. Jetzt wurden in der MPK aber wieder nur Inzidenzen als Grenzwerte festgelegt. Ist das richtig? Karl-Josef Laumann: Da kann ich gut mit leben. Die Inzidenzwerte sind schon wichtig um einschätzen zu können, wie die Lage in einer Region ist. Sie helfen uns zu erkennen, ob zum Beispiel ein diffuses Ausbruchsgeschehen vorliegt. Wir müssen aber auch auf den R-Wert achten. Wenn der über 1,2 geht, kann es sehr gefährlich werden.

Der Inzidenzwert 35 ist aus den Planungen verschwunden. Hat die Politik vor dem Virus kapituliert?

Ich war nicht der Erfinder der 35. Wir können verantwortungsvoll auch bei einer Inzidenz von 50 öffnen, wenn wir wirksame Gegenmaßnahmen ergreifen. Dazu brauchen wir einen Vierklang: Mehr impfen, mehr testen, starke Gesundheitsämter, die Infektionen auch mit digitalen Mitteln erfolgreich nachverfolgen und konsequent genutzte Hygieneregeln.

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Die Inzidenzahlen schwanken, steigen trotz der Mutationen aber nicht exponentiell. Wundert Sie das?

Das ist eine gute Nachricht. Dass die Zahlen nicht explodieren, zeigt, dass die Maßnahmen wirken, trotz der Mutationen. Wir sind noch nicht in einer dritten Welle. Und wir haben es selbst in der Hand, diese aufzuhalten. Es ist gut, Öffnungen mit Auflagen zu verbinden.

Würden die Todeszahlen in einer dritten Welle erneut stark steigen?

Nein, das glaube ich nicht. Die Altenheime sind durch unsere Priorisierung der über 80-Jährigen beim Impfen gut geschützt. Ich höre zudem, dass die Krankheiten mittlerweile nicht mehr so schwer verlaufen.

Wie groß ist die Gefahr, dass die Inzidenz in NRW wieder über 100 steigt?

Wir haben jetzt eine kluge Strategie, die uns aus der Krise führen kann. Einen Anstieg über 100 kann man natürlich nicht ausschließen, dafür wurde ja die Notbremse eingebaut. Wenn man steigende Inzidenzen ausschließen will, darf man gar nichts öffnen. In der Abwägung der anderen Schäden, die bei der Fortsetzung des harten Lockdown entstehen würden, haben wir uns jetzt bewusst dafür entschieden, ein gewisses Risiko einzugehen.

Sollen die Inzidenzen denn landesweit oder pro Kommunen gelten?

Die Öffnungsschritte orientieren sich grundsätzlich an der landesweiten Inzidenz. Wir prüfen darüber hinaus, inwieweit für Kreise und kreisfreie Städte mit einem nachhaltig geringeren Infektionsgeschehen – auch unter Berücksichtigung der Situation in den umliegenden Regionen – zusätzliche Öffnungen möglich sind.

Auch die Hausärzte sollen künftig mitimpfen. Haben Sie Sorge, dass sich ein Schwarzmarkt für Impfstoffe bilden könnte?

Mein Vertrauen in die Ärzte ist groß. Die Mehrzahl der Ärzte möchte doch ihre kranken Patienten mit einer Impfung schützen und nicht den fitten 30-Jährigen. Aber mir ist auch klar, dass der Impfstoff derzeit ein wertvolles Gut ist, das viele Menschen gern so schnell wie möglich bekommen würden. Kriminelles Verhalten kann man nie ausschließen. Wahr ist auch: Natürlich ist die Sozialkontrolle in 53 Impfzentren größer als in 11.000 Hausarztpraxen. Die Ärzte werden von uns die Vorgabe erhalten, dass sie sich strikt an die Priorisierungsstufen halten müssen. Bei einem Verstoß gegen das Berufsrecht drohen den Medizinern harte Konsequenzen.

Jeder soll einen Gratistest pro Woche bekommen. Wo bekommen die Bürger die Tests her?

Das werden wir jetzt organisieren. Ich setze dabei stark auf die 4000 Apotheken in NRW. Wir wollen ermöglichen, dass die auch Zelte aufstellen können oder in Räumen außerhalb der Apotheke testen können.

Wäre es nicht sinnvoll, die Kinder zu Hause zu testen, bevor sie sich auf den Schulweg machen?

Es wird viele Familien geben, in denen das gut laufen würde. Es wird aber auch Familien geben, in denen sich da kein Teufel drum kümmert. Es gibt für beide Orte gute und richtige Argumente. Aber mehr Sicherheit bei den Ergebnissen hätte man in der Schule.

Wie verändert die Verfügbarkeit von AstraZeneca für Ältere das Impftempo in NRW?

Die Empfehlung der Ständigen Impfkommission, AstraZeneca auch für Menschen ab 65 zu empfehlen, ist eine gute Nachricht, auch für NRW. Denn AstraZeneca ist ein vergleichsweise anspruchsloser Impfstoff, was Lagerung und Transport angeht. Wenn wir mit unserer Impfkampagne in das Hausärztesystem gehen, erhöht das unsere Flexibilität. Wir planen, dass die Hausärzte in NRW schon Ende März mit der Impfung der chronisch Kranken in NRW beginnen. Sie sollen anhand der ICD-Codes in den Patientenakten, infrage kommende Patienten identifizieren und anschließend verimpfen. Wir werden jetzt jede Chance nutzen, das Impftempo zu erhöhen.

Wie viele Impfungen sind in NRW geplant?

Nach bisherigen Planungen wollen wir im März insgesamt 830.000 Dosen von AstraZeneca und 520.000 Dosen von Biontech verimpfen. Bis April rechnen wir mit insgesamt mehr als zwei Millionen Erstimpfungen. Wenn wir im zweiten Quartal noch den Impfstoff von Johnson&Johnson bekommen, werden wir perspektivisch einen weiteren Impfstoff haben, der für die Verimpfung im häuslichen Bereich gut geeignet ist und nur einmal geimpft werden muss. Dies wird uns nochmal mehr Flexibilität in der Impfkampagne geben. Der Bund will bis September allen Bürgern ein Impfangebot machen. Wenn aber natürlich die Impfstofflieferungen schneller wachsen als geplant, besteht die Chance, auch etwas früher jedem Menschen in NRW ein Impfangebot zu machen.

In Düsseldorf werden Menschen von der Polizei ermahnt, nicht stehen zu bleiben. Was halten sie davon?

Ich verstehe schon, dass man die Menschen entzerren will, wenn es bei gutem Wetter Gedrängel gibt. Aber der Ton macht die Musik. Die Entscheidung, eine Oma von der Bank aufzuscheuchen, habe ich nicht getroffen, sondern die Kommunen. Düsseldorf und Köln haben sehr kompetente Gesundheitsämter. Die werden sich die Maßnahme gut überlegt haben, müssen das aber auch verantworten.