Psychologin erklärt„Klimaangst ist eine normale Reaktion auf Bedrohung“
Lesezeit 6 Minuten
Wir leben in sorgenvollen Zeiten: Etliche Frauen und Kinder fliehen gerade aus der Ukraine, aus Angst vor den russischen Soldaten, die in ihre Heimat einmarschieren, um dort Krieg zu führen. Zeitgleich infizieren sich weiterhin Tausende Menschen mit dem Coronavirus und erkranken dabei teilweise so schwer, dass sie um ihr Leben fürchten müssen. Und dann ist da noch der Klimawandel, eine Krise, die derzeit vielleicht in den Hintergrund gerückt ist, deren Folgen aber immer mehr spürbar werden, wie die Berichte des Weltklimarats verdeutlichen.
Doch auch die Klimakrise bereitet den Menschen Sorge. Das bestätigte eine repräsentative Umfrage mit 17.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus 17 Ländern, die das Meinungsforschungsinstitut Kantar im Auftrag des Vodafone Instituts jüngst durchgeführt hat: Rund 27 Prozent der Befragten stuften dabei die globale Erwärmung als „sehr große Bedrohung“ ein, etwa 37 Prozent hielten sie zumindest für eine „ernste Bedrohung“. Nur circa 5 Prozent gaben an, dass die Erwärmung „überhaupt keine Bedrohung“ sei.
Die Angst vor dem Klimawandel und seinen Folgen wird umgangssprachlich als Klimaangst bezeichnet. Eine eher irritierende Bezeichnung, findet Psychologin Katharina van Bronswijk. Denn sie könne leicht mit einer Störung in Verbindung gebracht und die Angst vor dem Klimawandel somit als Krankheit abgestempelt werden. „Dabei ist Klimaangst eine rational absolut nachvollziehbare, emotionale Reaktion auf die Bedrohung durch die Klimakrise“, sagt van Bronswijk, die Sprecherin der Bewegung „Psychologists for Future“ ist.
Ängste sind ein evolutionär wichtiger Teil des Menschen. Sie helfen uns dabei, schnell auf potenziell gefährliche und bedrohliche Situationen angemessen zu reagieren. Ohne diesen Überlebensreflex wäre die Menschheit wohl schon längst ausgestorben. War es früher noch der zähnefletschende Säbelzahntiger, vor dem sich unsere Vorfahren fürchteten und Reißaus nahmen, treiben die Menschen heute eher die Arbeitslosigkeit, steigende Lebenshaltungskosten, Naturkatastrophen oder eben der Klimawandel um.
Wie bei allen Ängsten äußert sich auch die Klimaangst bei jedem Menschen auf unterschiedliche Art und Weise. Eine genaue Definition gibt es nicht. Bei den einen verursache sie eher körperliche Beschwerden wie Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Verspannungen oder Schlafprobleme, erklärt Psychologe Felix Peter, der sich ebenfalls bei „Psychologists for Future“ engagiert. Andere berichten hingegen eher über subjektive „Symptome“ wie Unruhe, Nervosität oder verstärktes Grübeln über die Bedrohungen durch die Klimakrise.
Auch andere Emotionen mit der Klimakrise verbunden
„Klimaangst kann sich auch so äußern, dass man exzessiv nach Informationen zur Klimakrise sucht“, sagt van Bronswijk. Genauso kann Klimaangst dazu führen, dass Nachrichten und Neuigkeiten zum Klimawandel gemieden beziehungsweise verdrängt werden, „weil man sagt: ‚Das ist so unangenehm, da möchte ich mich nicht mit beschäftigen.‘“ Dieser Verdrängungsmechanismus ist eine normale Reaktion des Menschen. „Wenn wir uns über alles Sorgen machen würden, würde uns das massiv überfordern.“
Angst ist aber nur eines von vielen Gefühlen. Die Klimakrise kann auch Wut, Trauer oder Hoffnungslosigkeit hervorrufen. Letztendlich seien Menschen, die „Klimagefühle“ haben – wie van Bronswijk und Peter derartige emotionale Reaktionen bezeichnen –, „angemessen sensibel dafür, dass auf der großen Ebene etwas schiefgeht“.
Klimaangst ist unter Kindern und Jugendlichen verbreitet
Es gibt vor allem eine Gruppe, die besonders von Klimaangst betroffen ist: Das sind die Menschen, die sich besonders intensiv mit der Klimakrise auseinandersetzen wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Klimaaktivistinnen und -aktivisten. „Je mehr man sich mit dem Thema beschäftigt, desto größer kann die emotionale Betroffenheit ausfallen“, weiß Peter. Er nennt noch eine weitere Personengruppe, die sich vermehrt um den Klimawandel sorgt – und zwar die Kinder und Jugendlichen, die ohnehin besonders viel über ihre Zukunft nachdenken. Doch wie spricht man mit ihnen am besten über die Klimakrise?
Der Generalsekretär der Weltwetterorganisation, Petteri Taalas, warnte Mitte Februar davor, jungen Leuten nicht zu viel Angst zu machen. „Wir müssen vorsichtig sein, wie wir über die Ergebnisse der Wissenschaft berichten, über Kipppunkte und ob wir über einen Kollaps der Biosphäre oder das Verschwinden der Menschheit sprechen“, sagte er.
Istzustand des Klimawandels muss mit Lösungen präsentiert werden
Nicht die Informationen seien das eigentliche Problem, sagt jedoch Psychologe Peter, sondern der Ursprung der Ängste seien die bedrohlichen Folgen der Erderwärmung selbst. „Die Kommunikation zur Klimakrise stellt zunächst nur da, was ist – und das sollte auch geschehen“, findet er. Dabei sei es jedoch wichtig, nicht in einen Katastrophenalarm zu verfallen. „Die nüchterne Darstellung dessen, was ist, sollte begleitet werden von Möglichkeiten und Informationen, wie die Menschen damit umgehen können“, empfiehlt er. „Denn es wäre fatal, die Menschen mit den Informationen hilflos zurückzulassen.“
Das gilt auch für Kinder und Jugendliche. „Man darf Kinder nicht unterschätzen, darf sie aber auch nicht überfordern“, sagt Peter. Wichtig sei in jedem Fall, das Alter des Kindes und seine emotionale und kognitive Entwicklung zu berücksichtigen. „Mit einer Siebenjährigen spreche ich anders über die Klimakrise als mit einer 17-Jährigen.“ Kleineren Kindern könnte das Thema beispielsweise mit altersgerechten Büchern nähergebracht werden, die an ihren alltäglichen Erlebnissen ansetzen, rät „Psychologists for Future“-Sprecherin van Bronswijk.
Ältere Kinder und Jugendliche könnten hingegen auch aktiv etwas für den Umwelt- und Klimaschutz tun, zum Beispiel indem sie sich an Klimaaktionen oder Umweltprojekten beteiligen. Das könne dabei helfen, die Klimaangst zu bewältigen, sagt die Psychologin. Manchmal reiche es dafür aber auch schon aus, einfach über die Sorgen mit anderen wie Freunden oder der Familie zu sprechen. „Wir reden generell zu wenig über Gefühle in unserer Gesellschaft.“
Klimaangst kann lähmen, aber auch motivieren
Es könne auch vorkommen, dass sich eine Klimaangst zu einer Depression oder Angststörung entwickelt, wenn uns die Gefühle überwältigen oder lähmen und wir keinen Umgang damit finden, warnt van Bronswijk. Dann sollten sich Betroffene therapeutische Hilfe suchen. Bislang sei der Anteil der Menschen, die infolge einer emotionalen Reaktion auf die Klimakrise psychisch krank werden, aber noch „schwindend gering“.
Klimaangst muss zudem nicht unbedingt negativ sein. Sie kann auch motivierend wirken, wie eine Studie von Forschenden der Umweltpsychologie der Universität Koblenz-Landau im Oktober vergangenen Jahres zeigen konnte. Diese umfasste mehr als 1000 Menschen aus Deutschland, die zum Thema Klimaangst befragt wurden. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer berichteten insgesamt nur über ein geringes Maß an Klimaangst. Diejenigen, die sich verstärkt vor dem Klimawandel und seinen Folgen fürchteten, hatten wiederum stärkere umweltfreundliche Absichten und unterstützten klimarelevante Maßnahmen mehr als Personen, die eine geringe Klimaangst aufwiesen. Unangenehme Gefühle wie Angst können also auch eine handlungsleitende Funktion haben.
Gleichzeitig wiesen die Umweltpsychologinnen und Umweltpsychologen darauf hin, dass es weitere Forschungsarbeiten zur Klimaangst brauche. Denn bisher gibt es nur wenige Daten zu diesem Phänomen. Fest steht schon jetzt: Je stärker die Menschen die Folgen des Klimawandels zu spüren bekommen, desto verbreiteter werden Phänomene wie Klimaangst werden. „Ich glaube, dass es schwerer wird, das Thema zu verdrängen“, sagt Psychologin van Bronswijk. Vielleicht bedeutet das dann aber auch, dass sich zukünftig mehr Menschen aktiv für Klimaschutz und Nachhaltigkeit einsetzen. (rnd)