- Die Kölner Klimaaktivistin Kathrin Henneberger war bis vor Kurzem Pressesprecherin von „Ende Gelände“.
- Das Aktionsbündnis wurde vom Berliner Verfassungsschutz als linksextrem eingeschätzt - eine Darstellung, gegen die Henneberger sich wehrt.
- Außerdem spricht die 33-Jährige im Interview über die Inbetriebnahme des Kraftwerks Datteln 4 und Protest in Corona-Zeiten.
Köln – Frau Henneberger, zu Beginn dieser Woche kam die Nachricht, dass das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 am Samstag seinen regulären Betrieb aufnimmt. Traf Sie das unvorbereitet?
Nein, wir wussten, dass der Termin für Juni geplant war. Nur eben nicht, an welchem Datum genau. Die Klimabewegung ist mittlerweile aber so organisiert, dass wir sehr schnell mobilisieren können. In dem Moment, als die verifizierte Information kam, haben wir alles stehen und liegen gelassen und begonnen, die Aktionen für den kommenden Samstag zu planen und zu koordinieren.
Und die Corona-Krise schränkt Sie da nicht ein?
Doch, natürlich. Wir waren bereits am vergangene vor Ort, anlässlich der Aktionärsversammlung des Betreiberkonzerns Uniper. Eigentlich war geplant, das Kraftwerk mit tausenden Aktivistinnen zu umzingeln. Das geht jetzt, während der Corona-Krise, natürlich nicht. Denn auch wir sind besorgt, dass es eine zweite Welle des Virus geben könnte und gehen deswegen kein Risiko an. Genauso wie wir Verantwortungsbewusstsein in Klimakatastrophe zeigen, übernehmen wir auch die Verantwortung, unseren Protest nun so zu organisieren, dass wir keine Menschen gefährden.
Aber lebt Protest nicht gerade von der großen Zahl an Teilnehmern, von den Emotionen vor Ort?
In normalen Zeiten tut er das. Jetzt gerade überlegen wir, wie wir die gleiche Aufmerksamkeit bekommen, auch wenn wir eben nicht mit vielen Menschen vor dem Kraftwerk auflaufen können. Wichtig ist die Bildsprache. Am letzten Wochenende haben wir ein Schwimmbanner auf dem Kanal vor dem Kraftwerk ausgebreitet. Ein anderer Aktivist ist mit einem Gleitschirm über die Kühltürme geflogen. Für diesen Samstag sind ähnliche Aktionen geplant. Es ist ein bisschen Hambi-Feeling, wenn ich ganz ehrlich bin.
Hat Datteln 4 das Potenzial, der zweite Hambacher Forst zu werden?
Datteln 4 ist etwas anderes als der Hambi. Es ist kein Wald, den wir beschützen. Sondern ein Kohlekraftwerk, das wir versuchen, zu verhindern. Aber so ähnlich wie der Hambi, ist Datteln 4 ein sehr starkes Symbol der Klimabewegung. Samstag wird ein historischer Tag. Der Tag, an dem unsere Zukunft verraten wurde. Datteln 4 ist das Symbol dafür, dass wir im Stich gelassen werden von der Politik. Wir werden ihr das nicht durchgehen lassen. Es geht einfach nicht, dass 2020 noch ein neues Kohlekraftwerk ans Netz geht.
Das zudem seine Kohle importieren muss, weil es keine Zeche mehr in der Nähe gibt.
Wir nennen die Steinkohle, die in Datteln 4 verfeuert wird, auch Blutkohle. Weil sie aus Regionen kommt wie Sibirien und Nordkolumbien. Dort gibt es riesige Tagebaue, wie wir sie hier im Rheinland auch kennen. Dort wird die lokale, größtenteils indigene Bevölkerung umgesiedelt. Etwa die Gemeinden der Wayuu in Kolumbien. Uniper sorgt also durch Datteln 4 dafür, dass die Steinkohle aus diesen Regionen Wettbewerbs fähig bleibt. Dass indigene Völker für unseren Strom ihre Lebensgrundlage verlieren, ist für mich fortlebender Kolonialismus.
Die Bundes- und Landesregierung führen als Argument für das neue Kraftwerk an, dass Uniper bis 2025 vier ältere Kraftwerke abschaltet. Es würde also effektiv CO₂ durch Datteln 4 eingespart.
Das ist eine Milchmädchenrechnug. Die alten Kraftwerke wären eh abgeschaltet worden, weil sie sich wirtschaftlich nicht mehr rentieren. Und sie laufen schon lange nicht mehr auf Hochbetrieb. Nun kommt aber ein neues Kohlekraftwerk dazu, dass beständig und mit hoher Last fahren wird, weil ein großer Teil des Stroms, der dort produziert wird, an RWE und die Deutsche Bahn verkauft wird. Das sind feste Verträge, die geschlossen worden sind, schon vor einem Jahrzehnt. Bevor der Kohleausstieg beschlossen worden ist.
Also hätte Datteln 4 gar nicht verhindert werden können?
Doch, natürlich hätte etwa Ministerpräsident Armin Laschet die Inbetriebnahme verhindern können. Stattdessen tut er so, als habe er keine Ahnung, was er dort anrichtet. Aus meiner Sicht ist er deswegen zentral dafür verantwortlich, dass dieses Kohlekraftwerk ans Netz geht. Und so auch zentral dafür verantwortlich, dass die kommenden Generationen im Stich gelassen werden. Das wird seiner Regierung nicht vergessen werden.
Sie glauben, das wird Auswirkungen auf kommende Wahlergebnisse haben?
Ich bin keine Politikwissenschaftlerin. Ich hoffe es aber.
Die Grünen NRW haben angekündigt, dass auf ihren Kandidatenlisten für die Kommunalwahl viele Aktivistinnen von „Fridays For Future“ stehen. Dabei hat die Umweltbewegung stets betont, sich keiner Partei zugehörig zu fühlen. Auch nicht den Grünen.
Wir brauchen Menschen, die Kohlekraftwerk besetzen und wir brauchen Menschen, die in den Parlamenten eine gute Klimapolitik machen. Ich finde, wenn junge Menschen sich für Klimagerechtigkeit politisch engagieren wollen, dann sollen sie selbst entscheiden, wo sie das tun. Dass sie sich engagieren, finde ich großartig.
Verliert aber eine Bewegung nicht an Glaubwürdigkeit, wenn sie plötzlich wie eine Vorfeldorganisation einer Partei scheint?
Ich bin selbst Mitglied bei den Grünen, seit ich 15 bin. Und mit Anfang 20 habe ich als Bundessprecherin der Grünen Jugend Kohlekraftwerke besetzt. Für mich war das nie stark voneinander getrennt. Für mich ist die Klimabewegung aber eine große, vielfältige Bewegung, mit sehr unterschiedlichen Akteuren, die nicht alle einer Meinung sind. Und man braucht natürlich auch immer Akteure, die sehr viel radikaler sind, als Parteien das sein könnten.
Die Berliner Gruppe des Bündnisses Ende Gelände wurde vor kurzem vom Berliner Verfassungsschutz als linksextrem eingestuft.
Das wiederum ist einfach gezielte Einschüchterung. Und Teil des Machtkampfes. Als Ende Gelände sich vor fünf Jahren gegründet hat, gab es noch keine Diskussion um einen Kohleausstieg. Heute kennt jeder die Bilder der Tagebaue. Jetzt gibt es einen Konsens, dass wir raus aus der Kohle müssen. Die Mächtigen haben Angst vor uns, weil sie sehen, dass die Klimabewegung Einfluss hat. Deswegen wird sich nun ein besonders unbequemer Akteur herausgepickt und diffamiert.
Sie sagen, der Verfassungsschutz handle politisch motiviert? Ernsthaft?
Natürlich arbeitet der Verfassungsschutz in einer gewissen Art und Weise auch politisch. Offensichtlich geht ja auch die Meinung des Verfassungsschutzes mit der einer breiten Öffentlichkeit auseinander. Sowohl „Fridays for Future“ als auch die Jusos und die Grüne Jugend haben sich umgehend mit Ende Gelände solidarisiert.
CDU-Politiker aus NRW hingegen haben der Einstufung des Berliner Verfassungsschutz zugestimmt. Etwa, weil Aktivistinnen von Ende Gelände Polizisten im Hambacher Wald mit Fäkalien beworfen hätten.
Das waren keine Aktivistinnen von Ende Gelände. Die CDU-Politiker, die jetzt darüber sprechen, waren nicht im Hambi, die haben sich kein Mal dort blicken lassen und sich angesehen, was dort passiert. Sie haben die Räumung des Hambacher Walds angeordnet, aber sich nicht darum gekümmert, wie die Situation dort eskaliert ist. Sie haben den sozialen Frieden geopfert und in Kauf genommen, dass Menschen verletzt und traumatisiert werden.
Auch Polizisten. Bei einem Sturm von Ende Gelände auf den Tagebau Garzweiler im vergangenen Jahr wurden 16 Beamte verletzt. Finden Sie das okay?
Nein. Ich bin Pazifistin. Wir haben auch einen Aktionskonsens, der besagt: Von uns geht keine Eskalation aus. Wir verhalten uns ruhig und fließen in die Tagebaue. So ist jede unserer Aktionen abgelaufen. Und auch ganz klar ist, dass kein einziger Aktivist von Ende Gelände in NRW bisher verurteilt worden ist. Warum auch? Für uns ist die Polizei in keiner Weise der Feind. Für uns geht es darum, die Klimakrise zu stoppen. Und das machen wir vor allem aus Verzweiflung. Wissen Sie, es macht keinen Spaß in die Tagebaue zu gehen, wirklich nicht. Es macht überhaupt keinen Spaß. Aber wir müssen es tun, weil nichts anderes gerade passiert.
Laut Verfassungsschutz wurde Ende Gelände auch als linksextrem bewertet, weil die Gruppe „Interventionistische Linke“ (IL), die sich selbst als linksradikal bezeichnet, auf ihrer Webseite behauptet, Ende Gelände sei eines ihrer Projekte.
Ende Gelände ist ein breites Bündnis. Da sind Leute von den grünen Jugend dabei, von „Fridays For Future“, freie Aktivistinnen. Ich habe keine Ahnung, ob und warum die IL so etwas behauptet. Wenn Sie etwas über die IL wissen wollen, müssen Sie die IL fragen.
Sie waren Pressesprecherin von Ende Gelände. Wenn Ende Gelände ein Projekt der IL wäre, müssten Sie das doch wissen.
Dann wäre mir das bekannt, ja. Ich bin und war nie bei der IL. Ende Gelände wurde gegründet von vielen unterschiedlichen Aktivistinnen und natürlich waren und sind unter anderem auch Aktive der IL dabei.
Warum sind Sie bei Ende Gelände eigentlich ausgestiegen?
Ich bin nicht ausgestiegen.
Sondern?
Ich bin nicht mehr die Pressesprecherin.
Warum?
Das Amt wechselt regelmäßig. Bei mir war es zudem so, dass ich massive Repressionen erleben musste. Meine Privatadresse und entsprechende Drohungen wurden auf Social Media veröffentlicht. Ich wollte mich weiter politisch engagieren, aber in einer Weise, in der ich meine Familie keiner Bedrohung aussetze.
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Was bringt ihrer Erfahrung nach eigentlich mehr, Politik oder Protest?
Beides ist wichtig. Ohne Protest hätten wir es nicht geschafft, dass der Hambi noch steht. Ohne Protest werden wir es nicht schaffen, dass alle Kohlekraftwerke so schnell wie möglich abgeschaltet werden.
Um dann den Kohlestrom aus dem Ausland einzukaufen? 30 Prozent des deutschen Stroms wird noch immer aus der Kohle gewonnen.
Ja, aber wir produzieren eben auch mehr Strom, als wir brauchen. Deswegen exportieren wir allein neun Prozent unseres Stroms. Es wäre kein Problem, heute das Kraftwerk Neurath abzuschalten. Beispielsweise.
Und Datteln?
Datteln muss gar nicht erst angeschaltet werden. Und das Kraftwerk wird auch wieder abgeschaltet werden. Vor 2038. Dafür werden wir sorgen. Das lassen wir nicht durchgehen.
Uniper hat sehr viel Geld in das Kraftwerk investiert. Klingt nach keiner einfachen Aufgabe.
Leider ist die Klimakrise aufzuhalten, keine einfache Aufgabe. Aber wir tun unser Bestes.