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„Übergriffig und rechtswidrig“Woelki blockt Berufung von unliebsamem Bonner Professor

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Kommentar Woelki1

Der Kölner Erzbischof Rainer Woelki

Köln – Nihil obstat – das klingt nach einem Nasenspray oder einem Grippemittel vielleicht. Tatsächlich macht die kirchliche Unbedenklichkeitserklärung im Berufungsverfahren für Professoren (siehe Infobox unten), vielen Theologen in Deutschland Kopfschmerzen. Sie müssen sich auf Rechtgläubigkeit und Lebenswandel durchleuchten lassen. Bei Joachim Negel, der Professor für Dogmatik in Bonn werden sollte, fand der zuständige Ortsbischof, der Kölner Kardinal Rainer Woelki, keine dunklen Flecken.

Woelkis Favorit wurde nicht berücksichtigt

Wie Woelki den 56 Jahre alten Paderborner Priester dennoch verhinderte, ist – wie Negel jetzt offenlegt – ein Lehrstück kirchlichen „Machtgebarens“ und „Ausdruck genau jenes Klerikalismus in der katholischen Kirche, der zurzeit angeprangert wird“.

Berufung von Theologieprofessoren ist völkerrechtlich geregelt

Beteiligt am Verfahren zur Berufung von Professoren an den theologischen Fakultäten staatlicher Universitäten sind das Kultus- oder Wissenschaftsministerium und der Ortsbischof des Hochschulstandorts sowie die Fakultät oder der Fachbereich. Letztere beurteilen die wissenschaftliche Eignung von Bewerbern. Dem Erstplatzierten erteilt der Uni-Rektor einen Ruf. Das Ministerium holt parallel das „Nihil obstat“ des Bischofs ein. Liegt es vor, kann der Rektor den Berufenen ernennen.

Für die katholisch-theologischen Fakultäten an den NRW-Universitäten Bonn und Münster gilt das „Preußenkonkordat“ von 1929. Im Schlussprotokoll verlangt dieser für das Land Nordrhein-Westfalen fortgeltende völkerrechtliche Vertrag vor der Berufung eines Professors die Anhörung des Bischofs zu der Frage, „ob er gegen die Lehre oder den Lebenswandel des Vorgeschlagenen begründete Einwendungen zu erheben habe“. (jf)

Woelki sei 2016 hoch verärgert darüber gewesen, dass die Fakultät den von ihm favorisierten, in Augsburg lehrenden Theologen Thomas Marschler bei ihrer Vorauswahl nicht berücksichtigt hatte. Marschler ist Kölner Priester und schon aus seiner Zeit als Messdiener mit dem heutigen Erzbischof bekannt.

Kraft kam zur Hilfe

Woelki wandte sich an NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD). Die Beziehungen zur damaligen Landesregierung unter Hannelore Kraft (SPD) waren herzlich. Besonders in der Flüchtlingsfrage funkten Kardinal und Ministerpräsidentin auf einer Wellenlänge. Der gute Draht sollte sich von Vorteil erweisen.

So fand Woelki in Düsseldorf ein offenes Ohr, als er im Wissenschaftsministerium vortrug, Negel sei fachlich nicht geeignet. Da er seine Habilitation als Fundamentaltheologe erworben habe, könne er keinen Dogmatik-Lehrstuhl besetzen. Die Ministerin gab Woelkis „Monita“ (Bedenken) an die Universität weiter, woraufhin die Berufungsliste nach anfänglicher Gegenwehr und einigem Hin und Her nicht weiterverfolgt wurde. Stattdessen begann die Berufungsprozedur noch einmal von vorn. Negel war aus dem Rennen, der Fall erledigt.

Woelki rechtfertigt sich

Auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ ließ Woelki erklären, die Bonner Fakultät habe ihre Verpflichtung zur Bestenauslese im Berufungsverfahren verletzt. Hierauf zu bestehen, sei keine Einmischung der Kirche in die Belange der Universität. „Der wissenschaftlichen Vermittlung der Glaubenslehre und der Ausbildung des priesterlichen Nachwuchses wäre es in höchstem Maße abträglich, wenn hiermit nicht die am besten qualifizierten Hochschullehrer betraut würden.“

Der Vorsitzende der „Arbeitsgemeinschaft katholische Dogmatik und Fundamentaltheologie“, der Bochumer Dogmatiker Georg Essen, nennt diese Argumentation „aberwitzig“. Die Auswahl und fachliche Beurteilung von Professoren stünden einzig der Universität zu. Woelki habe seine Befugnisse überschritten und damit gegen das „Preußenkonkordat“ verstoßen, das in NRW Angelegenheiten zwischen Staat und Kirche regelt. Die Intervention bei Schulze sei „ein Unding, übergriffig und rechtswidrig“, so Essen. „Ärgerlich und unverständlich ist es, dass das Ministerium ein solches Ansinnen nicht entschieden abgewehrt hat. Hier wird das hohe Gut einer intakten Rechtskultur beschädigt, auf der die Legitimität staatskirchenrechtlicher Verträge beruht.“

Keine Stellungnahme aus Düsseldorf

Es sei in ganz Deutschland gängige Praxis, Fundamentaltheologen auf Dogmatik-Lehrstühle zu berufen und umgekehrt, führt Essen weiter aus. Die beiden Disziplinen seien nicht zu trennen, die alte formale Unterscheidung gelte bereits seit Jahrzehnten als überholt. „Mit Kardinal Woelkis Argumentation hätte schon der damalige Bonner Fundamentaltheologie Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., 1963 nicht Dogmatik-Professor in Münster werden dürfen.“

Nach einer Stellungnahme gefragt, zogen sich sowohl das Ministerium in Düsseldorf als auch der Dekan der Fakultät, Claude Ozankom, und das Rektorat auf ihre Verschwiegenheitspflicht in Personalangelegenheiten zurück. Negel spricht von einer „Instrumentalisierung“ des Staatskirchenrechts durch den Erzbischof mit dem Ziel, dessen persönlichen Wunschkandidaten in Bonn durchzusetzen.

„Gesetztes Recht wurde missachtet“

Mit anderen Kennern der Materie ist er überzeugt, dass er „in eine Strafaktion des Kardinals gegen »seine« Bonner Fakultät geraten“ sei. „Und auch mir ist schleierhaft, warum sich das Land NRW willfährig auf diese Art politischer Kungelei eingelassen hat.“ Innerlich habe er mit Bonn abgeschlossen, nicht zuletzt, weil er im Sommer 2015 an der Universität Fribourg (Schweiz) eine Professur angetreten habe, mit der er hoch zufrieden sei. „Aber ich bin schon gelinde erschüttert darüber, mit welcher Selbstherrlichkeit hier gesetztes Recht missachtet worden ist.“

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Negels Kollege Essen sagt, Woelki verwechsle offenbar den Ruf nach Auslese der Besten mit der Auswahl des für ihn Besten. Die ganze Widersprüchlichkeit werde daran deutlich, dass der Erzbischof seine eigene Forderung durch die zwingende Vorgabe blockiert habe, die Bonner Professur mit einem Priester zu besetzen. „Die Kirche hat mit dieser Vorschrift eine wissenschaftsfremde Bedingung eingeführt, durch die wissenschaftliche Grundsätze der Bestenauslese eingeschränkt und der Fakultät die Hände gebunden sind.“

Übergriffe gehen offenbar weiter

Woelkis Vorgehen habe „unter den Theologen einhellig zorniges Kopfschütteln“ ausgelöst, so Essen weiter. Ein führender Vertreter der theologischen Zunft sagt unter Verweis auf Woelkis Vorsitz in der Kommission für Wissenschaft der Deutschen Bischofskonferenz: „Da haben sie den Bock zum Gärtner gemacht.“

Und dem Vernehmen nach gehen die Übergriffe weiter. Auch auf das neu aufgenommene Verfahren zur Besetzung des Bonner Lehrstuhls, das nach Negels verhinderter Berufung erforderlich wurde, soll Woelki massiv Einfluss genommen haben – wiederum mit dem Versuch, Marschler in Bonn zu installieren. Dem widersetzte sich die Fakultät zwar auch diesmal: Vor wenigen Wochen reichte sie in Düsseldorf eine Kandidatenliste ein, die unterdessen auch dem Erzbischof vorliegt. Darauf steht nach zuverlässigen Informationen nur ein einziger Name – und zwar nicht der von Marschler, Woelkis Mann. Der Kandidat der Fakultät aber kann derzeit noch nicht zum Zuge kommen. Was fehlt, ist das „Nihil obstat“ des Erzbischofs. Der spielt möglicherweise auf Zeit. Und er könnte auf eine „Killerfrist“ spekulieren: Nach vier Monaten nämlich verliert die Berufung ihre bindende Wirkung.

Die Fakultät lehnte auch dazu jede Stellungnahme ab. Hierin ausnahmsweise einig mit dem Erzbischof in Köln.