AboAbonnieren

Kommentar

Kolumne zu Anti-AfD-Demos
Ein Weckruf, der nicht verpuffen darf

Ein Kommentar von
Lesezeit 5 Minuten
Mit bundesweiten Demonstrationen setzen Hunderttausende Menschen in Deutschland ein Zeichen des Widerstands gegen Rechtsextremismus.

Mit bundesweiten Demonstrationen setzen Hunderttausende Menschen in Deutschland ein Zeichen des Widerstands gegen Rechtsextremismus.

Was bewegt Menschen, gegen die AfD auf die Straße zu gehen? Und was machen die Demos mit AfD-Anhängern? Eine Studie gibt Aufschluss.

Die Medienberichte zur Potsdamer Runde von Rechtsextremisten mit ihren völkischen „Remigrations“-Fantasien waren für viele Menschen eine Art Weckruf. Der Tabubruch macht deutlich, dass Demokratie und Menschenwürde in Deutschland gefährdet sind, und motiviert viele zum Handeln.

Die tieferen Beweggründe der Demonstrierenden und die Auswirkungen der Demonstrationen auf Sympathisanten der AfD haben wir gerade in einer aktuellen „rheingold“-Studie auf Basis von psychologischen Explorationen und einer Online-Befragung mit mehr als 1000 Teilnehmenden untersucht.

Potsdam als Weckruf – Neues Gefühl der Zusammengehörigkeit

Die Demonstrierenden beschreiben, wie sie durch Potsdam aus ihrer Lethargie und eher passiv-resignativen Stimmung gerissen wurden, die sie angesichts der multiplen Krisen in den letzten Monaten verspürt haben. Sie sehen jetzt wieder ein klares Ziel, für das sie persönlich etwas investieren wollen. Eine lange Zeit brachliegende Bewegungs-Energie wird nun kanalisiert und vermittelt das befreiende Gefühl wiedererlangter Handlungsmacht und Zusammengehörigkeit.

Alles zum Thema Hendrik Wüst

Ähnlich wie in der Energiekrise 2022 sehen viele jetzt die konkrete Chance, gemeinsam mit anderen etwas zur Krisenbewältigung beitragen zu können. Voller Stolz blicken viele Teilnehmende auf das Erreichte, wenn sie abends in den Nachrichten die Bilder einer Massenbewegung sehen, die sie mitgetragen haben.

Neues „Wir-Gefühl“

Das gemeinsame Aufstehen für die Demokratie schafft ein lange vermisstes gesellschaftliches Wir-Gefühl – auch bei Menschen, die sich im Vorfeld der Demonstrationen politisch heimatlos gefühlt haben. Heimatlos, weil sie einerseits mit der Ampel fremdelten und sich andererseits nicht mit den lautstarken und politisch extremen Diskursen in den sozialen Medien verbunden fühlten. Auf den Demos finden sie jetzt eine temporäre politische Heimat. Sie fühlen sich dieser außerparlamentarischen Mitte zugehörig. Vor allem, wenn sie während der Kundgebungen mit unbekannten Gleichgesinnten ins Gespräch kommen.

Allerdings haben die Teilnehmenden auch Störgefühle, wenn sie bei den Demonstrationen mit radikalen Transparenten oder Parolen konfrontiert werden. Sie fühlen sich dann in ihrer moderaten demokratischen Grundhaltung nicht mehr repräsentiert. Gleichzeitig werden so bereits bestehende Ängste vor einer weiteren Radikalisierung und Entzweiung der Gesellschaft geschürt. Und diese Ängste verstärken die Sehnsüchte vieler Wählerinnen und Wähler nach Einheit und Gemeinschaft, die wiederum von ultrarechten und völkisch gesinnten Parteien aufgegriffen und bedient werden können.

Die meisten Demonstrierenden und ihre Sympathisanten hoffen darauf, dass eine Art große und konstante Bürgerwelle entsteht – nicht nur gegen rechtsradikale Umtriebe, sondern auch gegen alles, was in der Politik schief läuft. Allerdings beschreiben vor allem diejenigen, die an den Demonstrationen teilgenommen haben, dass deren bestärkende und tröstliche Wirkung schnell wieder verpufft. Dann fühlen sie sich wieder in den alten Zwängen gefangen, unter den Alltagslasten leidend, auf sich allein zurückgeworfen, den Krisen ohnmächtig ausgeliefert.

Wenn die Bürgerbewegung versanden sollte, besteht eine Gefahr

Wenn die gerade entstandene Bürgerbewegung in den nächsten Wochen versanden sollte, wird sich eben dieses Gefühl noch verstärken: festzustecken und wirkungslos zu sein. Dann besteht auch die Gefahr, dass die momentane Bewegungs-Energie umkanalisiert wird und sich zunehmend gegen die Ampel richtet: „Wir haben der Regierung durch die Demos das Leben leichter gemacht, jetzt sind sie dran und müssen auch liefern.“

Die Auswirkungen der Demonstrationen auf die Haltung und das Wahlverhalten der AfD-Sympathisantinnen und -Sympathisanten hängt vor allem davon ab, inwieweit sie in der Partei bereits ihre politische Heimat gefunden haben. Noch nicht gefestigte Wähler auf der Suche nach einer neuen politischen Heimat für ihre sehr konservative beziehungsweise weit rechts angesiedelte Weltsicht kommen gerade ins Grübeln und überdenken ihr Kokettieren mit der AfD. Den Bruch mit der demokratischen Mitte wollen sie nicht riskieren.

Überzeugte AfD-Wähler lassen sich von Demos nicht beeindrucken

Zudem realisieren sie, dass mit der AfD extrem rechte Positionen verbunden sind, die sie inhaltlich nicht teilen. Selbst wenn sie sich letztlich nicht völlig von der AfD abwenden, hoffen sie darauf, dass sich die radikalen Kräfte in der AfD nicht durchsetzen werden.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst hält bei einer Demo gegen die AfD ein Handylicht hoch.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst hält bei einer Demo gegen die AfD ein Handylicht hoch.

Protestwählerinnen und -wähler, die die AfD wählen wollen, um der Regierung einen Denkzettel zu erteilen, die sich selbst aber nicht für rechtsradikal halten, fühlen sich durch die Demonstrationen oft gekränkt. Durch die klare Stoßrichtung gegen die AfD sehen sie sich noch weiter an die Wand gedrängt und persönlich diskreditiert. Sie entwickeln dann oft gemeinsam mit anderen AfD-Sympathisanten oder -Wählern eine Art Wagenburg-Mentalität.

Überzeugte AfD-Wähler wiederum zweifeln eine durch die Demonstrationen ausgelöste Massenbewegung an. Die verstärkte Berichterstattung in den Medien ist für sie oft ein weiterer Beweis für deren „weitgehende Gleichschaltung“. Die etablierten Parteien und hier vor allem die Grünen sind für viele dieser Wähler zum Feindbild geworden. Sie beklagen die Überheblichkeit der „Eliten“, die ihre Alltagsprobleme nicht sähen und eine mangelnde Wertschätzung ihrer Lebenswirklichkeit an den Tag legten: „Flüchtlinge und Umwelt sind denen da oben doch wichtiger als meine Belange.“

Politik muss Erwartungen wieder gerecht werden

Insgesamt erwarten die Menschen von der Politik, dass sie die Wünsche nach sozialem Zusammenhalt und aktiver Mitgestaltung aufgreift. Die existierenden Probleme und das damit verbundene Gefühl der alltäglichen Ohnmacht sollen aufgegriffen werden. Krisen sollen nicht beschwichtigend klein geredet, sondern der verspürte Ernst der Lage soll – ähnlich wie bei der Energie-Krise – klar benannt und mit konkreten Handlungsaufforderungen für alle verbunden werden.

Es wird außerdem erwartet, dass die Ampel Einigkeit zeigt und eine Haltung produktiver Problemlösung vorlebt. Sie soll aber auch Begegnungsräume eröffnen, die den Austausch und das Gespräch zwischen Andersdenkenden ermöglichen und somit der wachsenden gesellschaftlichen Entzweiung entgegenwirken.